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Würzburg: Josef Schuster: "Die AfD ist keine Partei für Juden"

Würzburg

Josef Schuster: "Die AfD ist keine Partei für Juden"

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    Engagierter Streiter gegen den Hass: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
    Engagierter Streiter gegen den Hass: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Foto: Thomas Obermeier

    Der letzte Patient an diesem Nachmittag hat die Praxis soeben verlassen. Josef Schuster nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit dem Reporter. "Aber bitte nicht länger als 45 Minuten." Hinterher folgt nämlich schon der nächste Termin, Schuster ist diesmal als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Würzburg gefragt. Wer ihn erlebt, dem fällt schnell auf, wie strukturiert der 64-Jährige Beruf und Ehrenamt in Einklang bringt. An diesem Sonntag kandidiert der Internist aus Würzburg für weitere vier Jahre als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein Gegenkandidat ist nicht in Sicht. Seit Ende 2015 hat Josef Schuster das Amt inne. Vorgänger waren unter anderem Heinz Galinski, Ignatz Bubis, Charlotte Knobloch und zuletzt Dieter Graumann. 

    Alle Zentralratspräsidenten haben sich als Mahner verstanden, als moralische Instanz in einer Gesellschaft, die die Verantwortung für die größte menschliche Katastrophe der Neuzeit trägt, für den Mord an sechs Millionen Juden in Europa. Josef Schuster hat diese Rolle wie seine Vorgänger ausgefüllt - und trotzdem war zuletzt Vieles anders. Er hätte es bei seinem Amtsantritt nicht für möglich gehalten, dass mit der AfD eine rechtspopulistische Partei nicht nur zweistellig in den Bundestag einzieht, sondern auch in sämtlichen 16 Landtagen vertreten ist.

    Schuster: "Dinge, die unsagbar schienen, werden heute gesagt"

    Ja, es gebe einen Rechtsruck in Deutschland, sagt Schuster, die roten Linien in der gesellschaftlichen Debatte hätten sich verschoben. "Dinge, die unsagbar schienen, werden heute gesagt." Antisemitische Klischees werden unter Nennung des vollen Namens in den sozialen Medien verbreitet. "Früher hätte man sich das nicht getraut." Gewählte Abgeordnete nennen das Mahnmal für die ermordeten Juden ein "Denkmal der Schande" oder verharmlosen die Zeit des Nationalsozialismus als "Vogelschiss  der Geschichte". Ebenso unaufgeregt wie unmissverständlich bezieht Josef Schuster gegen solche Tabubrüche Stellung.Er erhebt seine Stimme für die Demokratie.

    Josef Schuster im Gespräch mit Redakteur Michael Czygan.
    Josef Schuster im Gespräch mit Redakteur Michael Czygan. Foto: Dita Vollmond

    Gleichzeitig warnt er Politiker und Medien davor, auf jede Provokation seitens der AfD anzuspringen. Ein schwieriger Spagat, das räumt er ein. Wachsamkeit sei richtig, manchmal aber sei weniger mehr. Dass die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft "Juden in der AfD" ein Thema für eine Nachrichtensendung ist, leuchte ihm ein, sagt  Schuster. "Aber dass diese kleine Gruppe von 15 Aktiven gleich die erste Meldung in den ARD-'Tagesthemen' war, hat mich doch gewundert." In der Sache selbst kennt der Zentralratspräsident kein Vertun: "Nein, die AfD ist keine Partei für Juden." Da reiche ein Blick ins bayerische Wahlprogramm, wo unter anderem ein Verbot des Schächtens und der Beschneidung von Jungen gefordert werde. Und auch von AfD-Angriffen gegen den Islam distanziert sich Schuster. Heute würden Muslime attackiert, beim nächsten Mal sei es womöglich eine andere (religiöse) Minderheit. 

    "Früher hätte man sich das nicht getraut."

    Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, über Tabubrüche in sozialen Netzwerken 

    1450 antisemitische Straftaten bilanziert die Kriminalstatistik deutschlandweit für 2017, zuletzt sind die Zahlen weiter gestiegen.  Die Frage, wie sicher jüdisches Leben in Deutschland ist, habe an Aktualität gewonnen, erklärte Schuster kürzlich beim Gedenken an die NS-Pogrome von 1938. Bei aller Kritik auch an Sicherheitsbehörden, die manchmal leider nicht mit der notwendigen Konsequenz und Härte gegen Übergriffe ermittelten, betont der Zentralratspräsident aber auch: Während es sich bei den Geschehnissen vor 80 Jahren um staatlich initiierte und gelenkte Gewaltakte gegen Juden gehandelt habe, stellten sich der Staat und die Mehrheit der Bevölkerung heute schützend vor  Minderheiten.  Die Zivilgesellschaft zeigt Gesicht, wenn es Übergriffe wie zuletzt in Chemnitz gibt. Führende Repräsentanten, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sitzen Seite an Seite neben Schuster in der ersten Reihe, wenn in der Berliner Synagoge der Übergriffe von 1938 gedacht wird. Der Draht zu den Politikern in Berlin und München sei gut und kurz, betont Schuster. Er finde dort jederzeit Gehör.

    Josef Schuster kommt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags der Pogromnacht.
    Josef Schuster kommt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags der Pogromnacht. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Politischer Mahner zu sein, ist das eine. Schuster hatte vor vier Jahren angekündigt,  er wolle sein Amt darüberhinaus nutzen, die Vielfalt jüdischen Lebens bekannter zumachen. Erste Erfolge gebe es schon, sagt er. So seien die Planungen für eine Jüdische Akademie in Frankfurt als gesellschaftlicher Diskussionsort - vergleichbar mit katholischen und evangelischen Akademien - weit vorangeschritten. Mit der Bundeswehr rede man über den Einsatz von Rabbinern in der Militärseelsorge. Schuster: "Sie könnten im Rahmen der politischen Bildung jüdische Geschichte und Ethik vermitteln." Eine Erfolgsgeschichte sei das Projekt "Likrat" (hebräisch: aufeinander zu): Schon 160 junge Jüdinnen und Juden wurden vom Zentralrat ausgebildet, um in Schulklassen ihr Jüdischsein, ihren Alltag vorzustellen - und Fragen zu beantworten. "Einen gleichaltrigen Juden zu treffen und zu erleben, ist eben etwas anderes, als Bücher über das Judentum zu lesen."

    Was Regierungspräsident Beinhofer an seinem Freund schätzt

    Mit seiner ruhigen und sachlichen Art habe Schuster in den vergangenen 20 Jahren Großes für die "Wiederverwurzelung der jüdischen Gemeinschaft in unserem Land" geleistet, nicht zuletzt auch bei der Integration jüdischer Kontingent-Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, sagt Paul Beinhofer. Der Regierungspräsident von Unterfranken ist ein Freund Schusters. Er schätze ihn als einen "äußerst liebenswerten, freundlichen und hilfsbereiten Menschen mit Humor, der um die Bedeutung seiner Person nicht viel Aufhebens macht", so Beinhofer auf Nachfrage. 

    Josef Schuster mit Kardinal Reinhard Marx (links) und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in Würzburg.
    Josef Schuster mit Kardinal Reinhard Marx (links) und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in Würzburg. Foto: Thomas Obermeier

    Als Zentralratspräsident vertritt Schuster rund 100.000 deutsche Juden, die in 105 jüdischen Gemeinden organisiert sind. Insgesamt leben hierzulande rund 150.000 Juden, schätzt der 64-Jährige. Es sei wie bei den Christen auch: Manch einer wolle sich nicht einer Gemeinde anschließen, andere wollten die sogenannte Bekenntnis-Steuer, die Juden analog der Kirchensteuer bezahlen müssen, nur umgehen. Schuster selbst sieht sich als eher traditionell geprägten Juden, der aber auch liberalen Strömungen aufgeschlossen ist. Regelmäßig besucht er den Schabbat-Gottesdienst in der Würzburger Synagoge, er feiert die Feste mit der Gemeinde. Im Hause Schuster wird koscher gekocht. Um an Fleisch und Wurst von Tieren zu kommen, die gemäß der jüdischen Speisegesetze geschlachtet wurden, fährt die Familie regelmäßig ins elsässische Straßburg, wo es einen koscheren Supermarkt gibt. 

    Schuster: "Als Arzt verdiene ich meine Brötchen"

    Schuster will auch künftig weiter als Mediziner arbeiten. Vier Tage die Woche sei er durchschnittlich in der Praxis. "Zentralratspräsident ist ein Ehrenamt, als Arzt verdiene ich meine Brötchen", sagt er. Dank seiner langjährigen Mitarbeiterinnen gelinge das Zeitmanagement. Man glaubt es dem 64-Jährigen gern. Häufig hält er am Morgen seine Sprechstunde, um mittags dann zu Terminen in Berlin oder München aufzubrechen. 

    Dass er zu den am meisten gefährdeten Persönlichkeiten in Deutschland gehört, daran hat sich Josef Schuster gewöhnen müssen. Immer, wenn er sich in der Öffentlichkeit bewegt, sind Sicherheitsbeamte an seiner Seite. Mal mehr, mal weniger erkennbar. Details sollen nicht öffentlich werden. Ein paar Freiräume für Familie und Freunde will sich der Vater zweier erwachsener Kinder erhalten.

    Josef Schuster Geboren 1954 im israelischen Haifa, kam Josef Schuster im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Würzburg. Seine Vorfahren stammen aus dem Raum Bad Brückenau. 450 Jahre Familiengeschichte lassen sich zurückverfolgen. Großvater Julius Schuster war in der kleinen Kurstadt als Stadtrat und Gastronom aktiv. 1933 beschlagnahmten die Nazis sein Hotel. 1937 wurden Julius und David Schuster inhaftiert. Den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald entkamen sie 1938 unter der Auflage, nach Palästina zu emigrieren.    Die Sehnsucht nach der Heimat blieb groß. Julius Schuster kehrte 1954 nach Unterfranken zurück. Sohn David kam mit seiner jungen Familie zwei Jahre später. Um die über 80-jährigen Eltern nicht allein zu lassen, aber auch um den Deutschen nicht den Triumph zu lassen, ihr Land sei nun "judenfrei", erzählt Josef Schuster. Weil es in Bad Brückenau keine jüdische Gemeinde mehr gab, wurde Würzburg zum Lebensmittelpunkt der Familie. Schnell wuchsen David Schuster in der jüdischen Gemeinde Aufgaben zu. Von 1958 bis 1996 war er ihr Vorsitzender. Ein Höhepunkt war der Bau der Synagoge Ende der 1960er Jahre.  Josef Schuster, der in Würzburg zur Schule ging und an der Universität Medizin studierte, übernahm die Führung der Jüdischen Gemeinde 1998, ein Jahr vor dem Tod seines Vaters. 2002 wurde er zum Präsidenten des bayerischen Landesverbands der israelitischen Kultusgemeinden und 2010 zum Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Seit 2014 steht er an der Spitze des Zentralrats.

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