Er denkt so schnell wie er läuft. Seine Hände können sprechen, seine Augen verraten Stimmungen und sein Lachen ist ansteckend. Dieser Mann dümpelt nicht im stillen Wasser. Wer an ihn gerät weiß, woran er ist. Nun tritt Peter Wohlfahrt, einst Strafrichter am Landgericht, Staatsanwalt, Familienrichter und seit 2003 Jugendrichter am Amtsgericht Würzburg in den Ruhestand.
Fast 6000 Verfahren hat er als Jugendrichter bearbeitet. Wer vor ihm stand, war Schwarzfahrer oder Dieb oder Betrüger. Einbrecher oder Vandale. Dealer, Erpresser, Schläger, Vergewaltiger … Viele haben auf "cool" gemacht, sich grinsend auf den Stühlen in seinem Sitzungssaal gelümmelt, Kaugummi gekaut, auf ihren Handys gedaddelt. Keiner hat das lange getan. Peter Wohlfahrt hat ihnen allen unmissverständlich klar gemacht, wo der Hammer hängt: am Richtertisch.
"Wer Ernst macht, wird ernst genommen"
"Erst fordern, dann fördern" ist seine Devise. "Ich will was sehen", sagt er, "dann helfe ich". Jugendrichter müssen für die jungen Delinquenten glaubwürdig sein. Und Glaubwürdigkeit ist für Wohlfahrt gleichbedeutend mit Konsequenz: "Nur wer Ernst macht, wird ernst genommen."
Es bringt ihn auf die Palme, wenn die Leute sagen, das Jugendstrafrecht sei zu lasch. "Das stimmt nicht", schimpft er, "90 Prozent der Sanktionen sind härter als bei Erwachsenen". Bei über 21-Jährigen könne der Richter "nur Geld- oder Freiheitsstrafen" verhängen. "Ein Erwachsener klaut, zahlt seine Strafe und die Sache ist erledigt." Über jugendrichterliche Weisungen aber könne man "zwei Jahre lang das Leben" eines jungen Menschen bestimmen.
Richterliche Weisungen können weh tun
Wohlfahrts "Weisungen" waren immer sehr kreativ. Und sie taten den Übeltätern richtig weh. Da bekamen junge Männer, die sich auf Kiliani geprügelt hatten, ein Verbot, im nächsten Jahr das Volksfest zu besuchen. "Und das wurde streng überwacht." Neonazis mussten geführte Rundgänge in ehemaligen Konzentrationslagern mitmachen. Vandalen schickte Wohlfahrt zu den Leuten, deren Eigentum sie beschädigt hatten, um sie um Verzeihung zu bitten. Jugendliche Linke, die Polizeibeamte angepöbelt hatten, ließ er Aufsätze zum Thema "So schützt die Polizei die Demonstrationsfreiheit" schreiben.
"Fünf Seiten lang und handschriftlich". Und wenn der Jugendrichter der Meinung war, "dass da nur Bla-Bla kam, dann wurden sie dazu verdonnert, es nochmal zu machen". Junge Suffköpfe belegte er mit einem Alkoholverbot. "Da fährt dann zu allen möglichen Zeiten eine Polizeistreife vorbei und macht einen Alkotest." In Extremfällen müssen die Delinquenten sogar "jeden Sonntagmorgen in der Inspektion antanzen und sich testen lassen".
"Heute fliegen die Fäuste schneller, auf am Boden Liegende wird eingetreten."
Jugendrichter Peter Wohlfahrt
Die Straftaten junger Menschen sind intensiver geworden, seit Wohlfahrt 2003 Jugendrichter wurde. "Geprügelt wurde schon immer", sagt er, "aber heute fliegen die Fäuste schneller, es gibt keine Regeln mehr, auf am Boden Liegende wird eingetreten."
Der Grund dafür? "Es fehlt an Werteerziehung und humanistischer Bildung." Viele Eltern, egal in welcher Bildungsschicht, machten ihre Kinder nur noch "durchsetzungsfähig". "Aber dieser extreme Individualismus ist schädlich", sagt der Jugendrichter. Kinder müssten lernen, die Freiheit des Anderen zu akzeptieren.
"Nicht alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt, es gibt kein Recht ohne gegenüber stehende Pflicht und man muss auch Sachen zu Ende führen, die einem nicht gefallen." Was er jungen Leuten wünscht, sind echte Vorbilder, wie seine Generation sie zum Beispiel in charismatischen Politikern gefunden habe. "Nicht Superstars und Top Modells."
Von Justiz und Gerechtigkeit
Von sich selbst sagt Wohlfahrt, dass er alles, was er getan hat, gern gemacht habe. Egal, ob er als Strafrichter am Landgericht Augsburg tätig war oder in Würzburg als Staatsanwalt, Familienrichter, Jugendrichter, stellvertretender Amtsgerichtsdirektor oder Vollzugsleiter der Jugendarrestanstalt, wo er auch schon mal einen Breakdance-Workshop veranstaltet hat. "Das hat da ganz schön die Hierarchie durcheinander gebracht. Da haben die großen Kerle mit den dicken Muskeln kapiert, dass auch die Kleinen, Schmächtigen zur Hochform auflaufen können."
Und was hat Peter Wohlfahrt in seinem langen Berufsleben gelernt? Seine Antwort kommt, wie immer, prompt: "Die Gerechtigkeit bewohnt eine Etage, zu der die Justiz keine Zugangsberechtigung hat. Verletzungen werden nicht durch Richter ausgeglichen."
Der Abschied fällt ihm nicht schwer
Der Abschied von der Justiz falle ihm nicht schwer, sagt Wohlfahrt. "Seit ich vor einem Jahr beschlossen habe, in den Ruhestand zu gehen, laufe ich durch einen Tunnel und entferne mich immer weiter von der Arbeit." Viel lesen will er, wenn er ab dem 1. November zu Hause ist. "Zeit zum Nichtstun haben". Im "Garten sitzen und den Vögeln zuhören". "Ein bisschen Sport treiben." Und mit seiner Frau, mit der er seit 44 Jahren zusammen und seit 35 Jahren verheiratet ist, "an die Ostsee fahren".
Der Mann, der so schnell denkt wie er läuft, sagt von sich, dass er "kein Aktivist" sei. "Ich habe nie das Gefühl, etwas zu versäumen." Er will auch diesen Artikel nicht nutzen, um etwas los zu werden, was er immer schon mal loswerden wollte. "Da gibt es nichts", sagt Peter Wohlfahrt, "was ich zu sagen hatte, habe ich stets im Gerichtssaal gesagt".