Im April 2009 kam er aufs Käppele in Würzburg, im Oktober geht er nach Frankfurt und wird Guardian (Leiter) des Liebfrauen-Klosters: Bruder Paulus Terwitte, einer der bekanntesten Ordensmänner in Deutschland. Er hat in seinem Leben an vielen Stationen gewirkt. In Gera war er Krankenhausseelsorger in einer fast atheistischen Umgebung. Von 1998 bis 2006 war er schon einmal Guardian des Liebfrauen-Klosters in Frankfurt, mitten im Trubel der Bankenstadt. Danach leitete er das Kloster der Kapuziner in Dieburg bei Darmstadt.
Frage: Bruder Paulus, wir sitzen hier im Garten des Käppele hoch über Würzburg. Sie müssen diesen wunderbaren Ort nach eineinhalb Jahren wieder verlassen. Tut Ihnen das weh?
Bruder Paulus Terwitte: Nein, es gehört zum Ordensleben, dass wir auf Wanderschaft sind, dass wir Pilger sind. Obwohl wir Brüder oft in schönen Kloster-Immobilien wohnen, gehört uns persönlich ja nichts davon. Ich bin immer Gast, egal wo ich wohne. Aber das ist meine Lebenswahl. Das Pilgersein gehört heute mehr denn je zur Kirche. In den Pfarrgemeinden müssen die Gläubigen in die Nachbarkirche zum Gottesdienst fahren, auch sie müssen Gewohntes verlassen. Christen sind immer im Aufbruch.
Sie hatten hier eine Aufgabe übernommen, die Nachwuchsförderung für den Orden.
TERWITTE: Ich habe gemerkt, dass man einen langen Atem braucht, um das aufzubauen. Jetzt bin ich schon 51 Jahre alt und ich habe mich gefragt, ob ich das mit 60 auch noch machen will. Da habe ich gesagt, ich lege es früh genug in jüngere Hände. Bruder Jeremias als mein Nachfolger hier kann das mit neuem Elan angehen.
Hat der Orden angeordnet, dass Sie nach Frankfurt gehen?
Terwitte: Die deutschen Kapuzinerprovinzen haben sich im Mai zusammengeschlossen und dabei wurden die Karten neu gemischt. Es hat sich herausgestellt, dass in Frankfurt Liebfrauen ein Bruder notwendig ist, der in diese Großstadtseelsorge eine besondere Farbe bringt und da kann ich mit meinem Leben diese Farbe wohl einbringen.
Sie haben ja schon viele Aufgaben übernommen, die aus dem Rahmen fallen, und Sie sind in den Medien sehr präsent. War es Ihnen in Würzburg ein wenig zu ruhig?
Terwitte: Ich glaube, dass Würzburg durchaus seine pastoralen Herausforderungen hat. Wir Kapuziner haben im Konzert der pastoralen Veranstalter die besondere Position auf dem Käppele und haben die Berufung, hier oben zu warten und nicht in der Stadt drunten mitzuspielen. Dazu sind andere Ordensgemeinschaften da. Meine Berufung ist aber eher, im Zentrum, auf dem Marktplatz zu sein. So haben das die Brüder in der Ordensleitung wohl auch gesehen. Wenn wir hier in Würzburg eine Zentrumskirche hätten, würde das wohl anders aussehen.
Wie ist Ihre neue Aufgabe in Frankfurt?
Terwitte: Ich bin Hausoberer der Brüdergemeinschaft im Liebfrauen-Kloster. Die Kirche ist Klosterkirche und zugleich Pfarrkirche einer kleinen Innenstadtpfarrei. Ein Bruder kommt dort neu als Pfarrer hin, und mit ihm und den fünf weiteren Brüdern wirken wir dort ganz zentral zwischen Zeil und Römer. In der Nähe kreuzen sich an der U- und S-Bahn-Station Hauptwache die Gleise. Täglich gehen von dort bis zu 300 000 Leute in die Stadt. Wir machen geistliche Angebote für Menschen, die tastend und suchend sind, damit sie neu zu Gott und zur Kirche finden. Und geben über 160 Obdachlosen morgens ein Frühstück.
Wie viel Mitspracherecht haben Sie bei so einer Veränderung?
Terwitte: Bei mir ist das so gelaufen: In Gera war ich mit zwei Brüdern Wohnungsnachbar von mehrfach zwangsgeräumten Familien. Von dort bin ich nach Frankfurt gegangen. In den acht Jahren als Guardian des Klosters habe ich zu den Medien gefunden. Weil ich das Charisma der Kapuziner mit Büchern und in Radio, Fernsehen und Internet zu verbreiten versuche, hat man mich von dort zur Nachwuchssuche beauftragt, wofür ich in Dieburg und jetzt in Würzburg ansässig wurde. Jetzt war die Frage, wie ich meinen Willen, die Botschaft vom Reich Gottes über die Medien in die Gesellschaft zu tragen, weiter umsetzen kann. Ich bin gefragt worden, wie ich mir das vorstelle, wovon ich träume. Plötzlich war von Frankfurt die Rede. Die Aufgaben der Gemeinschaft in Frankfurt und die Medien – das passt gut zusammen. Und schon war ich mit den Oberen einig. Ich war super überrascht. Es kommt so gut wie nie vor, dass jemand dahin zurückgeschickt wird, wo er schon einmal war.
Die katholische Kirche war in der ersten Hälfte dieses Jahres durch das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen massiv unter Druck geraten. Auch die Orden und selbst das Käppele waren davon betroffen. Wie gehen Sie damit um?
Terwitte: Es weiß doch jeder, dass auch ein Priester und ein Ordensmann Mensch bleibt und das Menschlich-Allzumenschliche auch bei ihnen zu finden ist. Am Fest der Maria-Schmerzbruderschaft habe ich gepredigt: Mir ist ein Schwert durch die Seele gestoßen worden, als ich erfuhr, dass von Brüdern aus der eigenen Ordensfamilie sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die ja besonders abstoßend und abscheulich ist, verübt wurde. Ich glaube, dass die Kirche jetzt gelernt hat, dass sie ihre Fehler und Schwächen offen zeigen kann und muss. Wir brauchen nicht so zu tun, als ob unser Glanz von uns käme. Der kommt allein von Gott. Wir reden nicht von Gott, weil wir die Guten sind, sondern weil Gott der Gute ist. Wir sind sein Werkzeug, auch wenn wir selbst manchmal schlecht sind. So zu reden müssen wir wieder ganz neu lernen. Gerade in einer Barockstadt wie Würzburg, wo die Kirche den Eindruck von Glanz und Gloria erweckt, als wären wir eine Kirche der Reichen, der Glänzenden, des Goldes. Letztlich geht es aber nur um Glanz und Gloria Gottes und nicht der Menschen.
Höre ich da Kritik speziell am katholischen Kirchenbild?
Terwitte: Die katholische Kirche, das ist das Werk von Mutter Teresa, das ist der Obdachlosentreff in Liebfrauen in Frankfurt, den ich bald leiten werde, das sind die vielen Angebote der Caritas. Als Medienmann weiß ich, dass das medial nicht so verwertbar ist. Medien wollen natürlich lieber den Priester im Rotlichtmilieu. Aber die Leser und Hörer wissen, wie das funktioniert. Wenn Leute mir sagen, sie seien aus der Kirche ausgetreten wegen dieser ganzen Vorfälle, dann sage ich, wie oft wäre ich schon gerne aus der Menschheit ausgetreten, wenn ich an die Atombomben denke und dass wir Millionen Menschen hungern lassen und die Umwelt zerstören. Da schäme ich mich manchmal auch, Mensch zu sein. Die Kirche mit ihren hoch aufgerichteten Türmen hat die Aufgabe, die frohe Botschaft zu verkünden, dass wir alle auferstehen werden.
Die Kirche und auch der Orden hier sind über Jahrzehnte mit den Tätern sehr gnädig umgegangen. Vielleicht sollte man den braven Katholiken auch mal sagen, dass Kirche nicht nur Forderungen und Vorschriften machen heißt, sondern vor allem, ihnen Zuspruch geben, ihnen sagen, dass sie erst mal ganz okay sind.
Terwitte: Da muss man zwei Aspekte sehen. Die Kirche ist mit den Tätern nicht gnädig umgegangen, sondern ängstlich. Damit hat sie auch den Tätern nicht gedient. Wenn sie jemanden nicht unterstützen, in der Wahrheit zu leben, sondern ihm noch Zufluchtsorte geben, dann schädigen sie Täter und Opfer. Das Zweite: Sie haben recht, wir müssen das Evangelium der Gnade wieder ganz neu bekannt machen. Aber ich sage auch dazu: Wenn sie dem Wasser gnädig kommen und es grenzenlos laufen lassen, dann kommt es zur Katastrophe. Daher muss ich auch dem Menschen sagen, „du darfst nicht alles, was du kannst“. Das sehen wir bei der genetischen Forschung, bei der Euthanasie, beim Lebensschutz, bei allen moralischen Fragen. Können können wir viel: Du kannst untreu sein, du kannst leben wie du willst, du kannst saufen und dich im Internet verlieren, aber das ist keine Gnade. Gnade hat immer die Wahrheit zum Bruder. Und die Wahrheit tut weh. Man muss Konflikte wagen, wenn es um die Wahrheit geht. Gnade ist kein esoterischer Wohlfühlspaziergang, sondern Kreuzesnachfolge.
Was haben Sie gedacht, als der Skandal auch das Käppele erreicht hat?
Terwitte: Ich habe die Tragik gespürt, dass in meiner eigenen Ordensfamilie jemand ist, für den ich mich schämen muss. Aber: Haben Sie sich nie geschämt für etwas, das Sie selber oder ein Mensch getan hat, der ihnen nahesteht? Die große Lehre für mich ist: mehr Demut. Und mehr Mut, die menschlichen Schwächen zu zeigen. Wenn wir unsere Wunden zeigen, zeigen wir auch das Vertrauen auf die Heilkraft im Glauben.
Sie planen eine Mönchs-Talkshow. Was wird das?
Terwitte: Ich habe den Ordensgemeinschaften gesagt: Wir haben eine wundervolle Glaubenserfahrung, aber wir reden zu wenig darüber. Also lasst uns Medien produzieren. So ist eine Produktionsgesellschaft entstanden als Serviceagentur für die Ordensgemeinschaften: Fotos, Schriften, Dokumentarfilme, Internetpräsenzen, Fernsehformate. Wir haben eine Talkshow produziert mit dem Titel „Lebensweisen“. Ich rede jeweils mit einem Bruder oder einer Schwester, insgesamt drei, über Leben und Arbeit. „Der Name der Rose“ ist ein schöner Film, hat aber mit Ordensleben von heute nichts zu tun. Für den Pilotfilm suchen wir jetzt einen Fernsehsender. In der Talkshow sieht man nicht nur Kontroverse und gewollte Kontroverse, sondern man kann einmal ein paar Minuten einem Menschen zuhören, der von etwas begeistert ist. Gute Beispiele und Vorbilder, dafür kann man sich doch begeistern. Ich glaube fest daran: Die gute Nachricht – so heißt ja Evangelium übersetzt – kann heute noch Wunder im Leben der Menschen und in unserer Gesellschaft vollbringen.
Wie es weitergeht
Bruder Paulus Terwitte trat mit 19 Jahren in den Kapuzinerorden, eine franziskanische Gemeinschaft, ein. Jetzt ist er 51 Jahre alt und einer der bekanntesten Mönche in Deutschland. Er hat eine eigene Talkshow mit dem Titel „Um Gottes Willen“ auf dem Sender N24. An diesem Sonntag um 8.30 Uhr zum Beispiel spricht er mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Auch in Facebook und Twitter ist er dabei. Bruder Paulus wurde bekannt, weil er einige Jahre lang im Internet Kommentare zur täglichen Schlagzeile der „Bild“-Zeitung verfasste. Er bezeichnet sich selbst als „Kind des Marktes“ und will die Menschen erreichen, auch auf ungewöhnlichen Wegen. Die christliche Botschaft will er dabei nicht verleugnen: „Ich will katholisch sein und zwar fröhlich.“
Ab Mitte Oktober lebt Bruder Jeremias Borgards (42) im Käppele. Der gelernte Krankenpfleger wurde 2003 zum Priester geweiht. Nach sechs Jahren in der Seelsorge im Schwarzwald hat er den Auftrag, Angebote der Kapuziner für den Ordensnachwuchs zu konzipieren. Der Gemeinschaft am Käppele gehören künftig sechs Brüder an. Guardian ist Bruder Markus Thüer. Die Kapuziner wollen weiterhin Wallfahrer und trauwillige Brautpaare willkommen heißen, für Beicht- und Beratungsgespräche Zeit haben und mit dem Kirchenmusiker für ansprechende Gottesdienste sorgen.
Die Kapuziner sind ein katholischer Orden, der auf den heiligen Franziskus zurückgeht. In Deutschland leben rund 170 Brüder, weltweit über 10 000 Brüder in 147 Ländern. TEXT: SAN