Laugenbrezeln waren einmal Lino Wagners Lieblingsessen. Heute muss er darauf verzichten. Aber auch Nudeln, Schokolade oder die falsche Zahnpasta können ihm schwer zu schaffen machen. Denn Linos Körper reagiert empfindlich auf Gluten, ein sogenanntes Klebereiweiß. Das ist in vielen Lebensmitteln enthalten, aber auch in anderen Produkten, zum Beispiel in Kosmetika, kann es vorkommen.
Ob unterwegs oder zu Hause: "Wir müssen immer aufpassen, dass er nichts Falsches isst", sagt Julia Thomas, die Mutter des Zehnjährigen. Sonst drohen Lino schlimme Bauchschmerzen, aber auch Erbrechen, Durchfall und hohes Fieber. Denn der Grundschüler aus Randersacker hat Zöliakie, eine chronische Autoimmunerkrankung. Gelangt Gluten in den Dünndarm der Betroffenen, kommt es dort zu einer gefährlichen Entzündung und die empfindliche Darmschleimhaut wird angegriffen. Schon ein paar Brösel oder ein bisschen Mehl können dafür ausreichen. Wer sich nicht dauerhaft glutenfrei ernährt, riskiert Folgeerkrankungen wie etwa Darmkrebs.
Nach Angaben der Deutschen Zöliakie Gesellschaft ist in Deutschland etwa ein Prozent der Bevölkerung von Zöliakie betroffen. Allerdings sei die Dunkelziffer der nicht erkannten Fälle sehr hoch.
Ein halbes Jahr verging bis zur Diagnose
Vier Jahre ist es her, dass die Symptome von Linos Erkrankung zum ersten Mal aufgefallen sind. "Das war in der Weihnachtszeit", erinnert sich Thomas. Deshalb habe sie die Bauchschmerzen ihres Sohnes zuerst auf zu viel ungesundes Essen zurückgeführt. Doch von alleine verschwunden – so wie erhofft – seien die Schmerzen nicht. Bis zur richtigen Diagnose verging fast ein halbes Jahr.

Der Hausarzt habe zunächst auf eine Magenverstimmung getippt, berichtet die Mutter des damals sechsjährigen Jungen. Erst der Kinderarzt sei wegen auffälliger Blutwerte misstrauisch geworden und habe sie an die Gastroenterologie der Würzburger Uniklinik verwiesen. Dort habe nach einer Magenspiegelung sofort festgestanden: Es ist Zöliakie.
"Das war keine schöne Nachricht", sagt Julia Thomas. Gleichzeitig sei sie erleichtert gewesen, dass endlich die Ursache für Linos Probleme gefunden war. "Ich habe erstmal gar nicht gewusst, was das ist", sagt Lino. Heute ist der Viertklässler, der die Grundschule in Randersacker besucht, sehr gut über seine Erkrankung informiert, weiß genau, was er essen darf und was nicht. Damit auch seine Mitschülerinnen und Mitschüler besser verstehen, was mit ihm los ist, habe er sogar ein Referat über Zöliakie vorbereitet, sagt er.
Glutenfreie Produkte sind oft viel teurer
Denn seit seiner Diagnose muss Lino im Alltag vieles beachten. Das betrifft vor allem seine Ernährung. "Alles vom Bäcker ist schon mal komplett außen vor", sagt Julia Thomas. Denn Gluten ist ein natürlicher Bestandteil vieler Getreidesorten. Brot und Gebäck, aber auch Nudeln oder Müsli etwa sind deshalb für Lino tabu. Außerdem sei es in vielen Lebensmitteln, in denen sie das Klebereiweiß nicht unbedingt vermutet hätte, enthalten, sagt Thomas. In Schokolade etwa oder vielen Fertigprodukten. "Wir müssen überall auf die Rezeptur achten", sagt sie.

Zwar gebe es von einigen Produkten glutenfreie Alternativen, doch die seien oft viel teurer. "Etwa 100 Euro mehr zahle ich im Monat für Lino", sagt Thomas. Finanzielle Unterstützung bekomme sie dafür nicht.
Ein eigener Thermomix für Lino
Sie selbst sowie Linos Schwester Vivienne ernähren sich ganz normal. Deshalb gibt es in der Küche der Familie vieles doppelt. Lino hat nicht nur einen eigenen Toaster und eigene Schneidbretter. Speziell für ihren Sohn hat Julia Thomas auch einen Thermomix angeschafft. Das sei praktischer als eigene Töpfe für den Zehnjährigen, meint sie. Doch ist der Aufwand notwendig?
Ja, sagt Julia Thomas. Denn mit einer eigenen Mahlzeit ohne Gluten für Lino sei es noch nicht getan. Werden gleichzeitig glutenhaltige Lebensmittel zubereitet, könne sein Essen schnell kontaminiert werden. "Wenn ich Nudeln koche und mit demselben Kochlöffel in meinem Topf und in seinem umrühre, ist es schon vorbei", erklärt Thomas. Das nenne man einen "Glutenunfall", sagt sie. Vorgekommen sei das zum Glück schon länger nicht mehr.
Nicht nur in Lebensmitteln kann Gluten vorkommen. Buntstifte seien so ein Beispiel, sagt Linos Mutter. "Wenn Kinder daran nuckeln, ist das ein Problem." Eine Ernährungsberatung an der Uniklinik und Informationen von der Deutschen Gesellschaft für Zöliakie hätten ihr am Anfang geholfen, durchzublicken.
Alles muss gut organisiert sein
Schwieriger noch als zu Hause sei es unterwegs. Denn glutenfreie Restaurants seien selten. In Würzburg wisse sie von einem einzigen, sagt Julia Thomas. Ein Paradies hingegen sei Italien. "Da waren wir in einem McDonalds, der hatte alles auch ohne Gluten", erinnert sich Lino an den Sommerurlaub am Gardasee im vergangenen Jahr. Denn egal, ob für den Urlaub, den Aufenthalt im Schullandheim oder einen Kindergeburtstag – für Linos Ernährung bedarf es immer besonders viel Organisation. "Spontan geht nicht", sagt Julia Thomas.
Trotz allem: Ihre Familie sei mittlerweile gut eingespielt, so Linos Mutter. Lediglich, wenn die glutenfreie Ernährung als Lifestyle abgetan wird, dann ärgere sie das. "Es ist eben eine ernsthafte Sache und nichts, was wir gerne freiwillig machen."