Die Diagnose ist für Betroffene meist ein Schock: Fast eine halbe Million Deutsche erkranken jährlich an Krebs – und fast eine Viertelmillion stirbt daran. Jedes Jahr. Doch auch wer den Krebs "besiegt" hat, ist noch lange nicht über den Berg. Der Fall einer Seniorin aus Würzburg zeigt, wie heftig Neben- und Nachwirkungen sein können. Und was hilft.
Trotz regelmäßiger Kontrollen war bei der 75-Jährigen ein Tumor in der linken Brust gewachsen. Das bösartige Geschwür war groß, saß ungünstig und konnte in einer ersten Operation nicht ganz entfernt werden. In einer zweiten OP wurde die Brust komplett abgenommen. Eine Bestrahlung oder Chemotherapie war zwar nicht nötig. Doch was folgen sollte, ahnte die Patientin im Oktober 2019 nicht.
Heftige Schmerzen und Erschöpfung während der Hormontherapie
Um ein Rezidiv, einen erneuten Krebsbefall, zu verhindern, begann die Seniorin auf Anraten der Klinikärzte eine Hormontherapie. Im Fachjargon: eine endokrine Erhaltungstherapie. Bis zu zehn Jahre sollte sie die Tabletten schlucken. Nach zweieinhalb Jahren konnte sie nicht mehr.
Zu heftig seien die Nebenwirkungen der Medikamente gewesen. Gelenk-, Muskel-, Nervenschmerzen, Konzentrationsstörungen und permanente Erschöpfung: "Mir hat alles weh getan. Ich konnte gar nichts mehr tun." Selbst Aufstehen und Zähneputzen wurden für die Würzburgerin zum Kraftakt. "Ich bin depressiv geworden." Bis heute ist sie in psychotherapeutischer Behandlung.

Dazu quälte sie die Enttäuschung: "Ich dachte eigentlich, mit der Tumorentfernung ist alles vorbei." Doch laut der Deutschen Krebsgesellschaft leidet mehr als die Hälfte aller Krebspatienten an Langzeitfolgen – teils noch nach Jahrzehnten.
Der Ehemann wurde Teil der schweren Erkrankung. "Ich habe meine Frau nicht wiedererkannt", sagt der 76-Jährige. "Aber ich war hilflos." Er litt mit seiner Frau, übernahm immer mehr Aufgaben. Kochen, Einkaufen, Putzen – "alles, was etwas anstrengend war". Und der Pensionär schränkte sich an der Seite seiner Frau mit ein. An gemeinsame Ausflüge war kaum mehr zu denken. Bis zum Krebsbefund waren sie viel unterwegs gewesen, gingen wandern oder walken. Alles vorbei.
Von der Krebsberatungsstelle in Würzburg zur neuen integrativen Tagesklinik
Die Seniorin setzte die Hormontabletten schließlich auf eigenes Risiko ab und wandte sich an die Krebsberatungsstelle in Würzburg. Hier lernte sie über die Fatigue-Sprechstunde Dr. Anne Scherer-Quenzer kennen. Die Gynäkologin an der Uniklinik ist mit einer halben Stelle seit 2023 auch Leiterin einer neuen integrativen Tagesklinik für Krebspatienten in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis).
Schon in der Fatigue-Sprechstunde hätten sie wertvolle Tipps bekommen, berichtet das Ehepaar, etwa zum "Energiemanagement". Das Ziel: Krebspatienten sollen gar nicht mehr in den Zustand völliger Erschöpfung geraten. Von gedachten zehn "Energieeinheiten" täglich sollen immer zwei übrig bleiben, sagt Ärztin Anne Scherer-Quenzer. "Ist der Akku nämlich komplett leer, brauchen die Patienten oft Tage, bis sie sich erholen."
"Ich hatte keine Lebensqualität mehr."
75-jährige Patientin über die Folgen der Medikamenten-Therapie
Nach Einschätzung der Medizinerin könne die medikamentöse Erhaltungstherapie die Überlebenschance der 75-jährigen Krebspatientin um maximal fünf Prozent steigern. Der Preis dafür war für die Würzburgerin hoch: "Ich hatte keine Lebensqualität mehr."
Häufig sei nicht die akute Tumorerkrankung das Problem, sagt Scherer-Quenzer, sondern die Zeit danach. Die 34-Jährige, die eine ärztliche Weiterbildung in Naturheilkunde absolviert hat, setzt auf einen ganzheitlichen Weg. Die meisten Krebspatientinnen und -patienten, dies zeigten Studien, wollen aktiv etwas zu ihrer Genesung beitragen.

Wie dies gehen kann, das vermittelt Scherer-Quenzer mit achtwöchigen Kursprogrammen an der Tagesklinik in Bad Mergentheim. Sie gehört zur Hufeland Klinik, die seit Mitte der 80er Jahre Patienten mit einem ganzheitlichen Ansatz unterstützt – während der Therapie und in der Prävention. Das Konzept der integrativen Tagesklinik ist neu in der Region, Vorbild ist das Klinikum Essen-Mitte.
Ansatz der Tagesklinik: Schulmedizin und Naturheilkunde verbinden
Man sei nicht gegen die konventionelle Schulmedizin, versichert die Leiterin. Aber man wolle sie mit der auf wissenschaftlicher Evidenz basierten Naturheilkunde verbinden. "Die Onkologie bekämpft den Krebs. Die Naturheilkunde stärkt die eigenen Ressourcen, trainiert Selbsthilfestrategien und führt zu einem gesunden Lebensstil. Beides ist wichtig" erklärt Scherer-Quenzer das integrative Konzept.

Studien hätten belegt, dass Nebenwirkungen wie Übelkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen oder Depressionen damit verringert werden können. Ziel sei die Verbesserung der Lebensqualität – nach Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung.

Auch das Würzburger Uniklinikum unterhält eine ambulante, naturheilkundliche Sprechstunde für Krebspatienten. Das Besondere in Bad Mergentheim: Hier verbringen Patienten ganze Tage in der Klinik – zwei Monate lang jeweils einen Tag pro Woche. Zwischendurch wird das Gelernte im Alltag eingeübt.
Die 75-jährige Seniorin und ihr Mann haben an dem Programm teilgenommen. Sie hörten Kurzvorträge, erhielten Schlaftipps, probierten Akupunktur, Kneipp-, Aroma- und Bewegungstherapie aus. Und sie machten Module zur Stress- und Angstbewältigung mit.
Der 76-jährige Würzburger ist froh, dass er seine Frau zu dem Programm bewegen konnte. Und dass er selbst dabei war: "Ich habe meine Frau und ihre Krankheit oft nicht verstanden. Jetzt bin ich schlauer geworden." Auch Entspannungstechniken haben die beiden gelernt. Die 75-Jährige schwärmt vom Mind-Body-Verfahren, vergleichbar mit autogenem Training. Dessen Nutzen in der Onkologie sei wissenschaftlich nachgewiesen, sagt Medizinerin Scherer-Quenzer.
Würzburger Paar hat Lebensqualität zurückgewonnen
950 Euro inklusive Verpflegung kostet der zweimonatige Kurs mit maximal zehn Teilnehmern für Patientinnen und Patienten, die Begleitpersonen zahlen die Hälfte. Noch übernehmen die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten nicht. Die Klinikleiterin geht davon aus, dass dies – ähnlich wie bei der Vorbildklinik in Essen schon – bald der Fall sein wird.

Das Ehepaar hat viel mitgenommen für einen gesunden Alltag zu Hause. Dazu gehören nun Wickel, Achtsamkeitsübungen, Aromatherapie, Gymnastik – und mehr Gemüse und Vollkorn auf dem Speiseplan. Sie fühle sich kräftiger und nicht mehr so müde, sagt die 75-Jährige, und könne inzwischen wieder Kleinigkeiten im Haus erledigen. Und manchmal macht das Paar sogar Ausflüge, fast wie früher.
Die Krebspatientin hat ihr Leben wiedergefunden. Oder wie sie selbst sagt: "Die Zuversicht ist zurück!"