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Mainviertel: Die kleine Welt eines großen Dichters

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Mainviertel: Die kleine Welt eines großen Dichters

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    Würzburg "Auf den Spuren der Räuberbande" - unter diesem Motto führt der Historiker Hans Steidle (54) regelmäßig durch die "kleine Welt" des Leonhard Frank. Das Mainviertel hat das Wirken und das Werk von Würzburgs wohl bekanntestem Literaten nachhaltig geprägt. Im folgenden Essay spannt Steidle den Bogen aus der Zeit der Frank'schen Jugend vor 1900 in die heutige Zeit.

    "Über der Stadt lag Abendsonnenschein. Ein roter Wolkenballen hing über der grauen Festung auf dem Gipfel, und im steil abfallenden königlichen Weinberg blitzten die weißen Kopftücher der Winzerinnen - die Weinernte hatte begonnen. Es roch nach Wasser, Teer und Weihrauch." Mit diesem stillen Idyll, in das sich das Dröhnen der Domglocke und der 30 anderen Kirchenglocken mischt, stimmt Leonhard Frank seinen ersten, 1914 erschienenen Würzburg-Roman "Die Räuberbande" ein.

    Wir sind auf der Alten Mainbrücke. Die romanische, altersgraue, immer wieder aufgebaute Brücke mit den barocken Heiligen bildet den Treffpunkt einer Jugendbande im Jahre 1900, Heute trifft sich hier Würzburg und die Welt. Man spürt noch die Faszination, die diese Brücke für Leonhard Frank zum magischen, poetischen Mittelpunkt seiner Dichtung gemacht hat: Die Brücke spielt in allen vier Würzburg-Romanen mit.

    Das verwundert nicht, denn die Welt des einst weltweit geschätzten Dichters ist das alte Mainviertel. Leonhard Frank wird in der Zellerstraße als viertes Kind eines armen Schreiner-Gehilfen am 4. September 1882 geboren. Über die Mainbrücke geht er täglich zur evangelischen Volksschule, sieht die 30 Kirchturmspitzen als Siegeszeichen eines unduldsamen Katholizismus über ein Kleinbürgertum am Rande der Verarmung, lebensschlau oder religiös wahnhaft.

    "Würzburg - wo der Main seinen schönsten Bogen zieht"

    Leonhard Frank

    Er kennt es aus seiner kleinen Welt der Handwerker, Schiffer, Fischer, aber auch Geruch von Wasser, Teer, Weihrauch und Wein, Schweiß und Arbeit, drückende Armut, echte Liebe, Hoffnung auf bessere Welt und Verzweiflung bis in den Selbstmord. Liest man bei Frank nach, begegnet man ihnen wieder, den Menschen des Meeviertels, die es noch gibt, doch eher als eine aussterbende Gruppe.

    Ist das noch das Viertel von Leonhard Frank? Mit etwas Phantasie, vor allem in der Abenddämmerung und bei Nacht. Das Spitäle ist da, jetztb eine schöne Ausstellungs- und Veranstaltungshalle, mit viel Geschmack das Moderne und Geschichtliche vereinend. Frank hätte hier gerne vorgelesen, schleppend, mit tiefer, angenehmer Stimme, die auch noch in den letzten Jahren den Meeviertler nicht ganz verleugnete. Was würde ihn noch freuen: An der schönen Kirchenfassade leuchtet nachts wieder die Uhr, die als Erkennungszeichen um die ganze Welt ging. Für die Beleuchtung der Uhr am Türmchen hatten die Stadtväter - für Frank das Indiz von Kleinbürgerlichkeit, Schildbürgerstreichen - erst nach zweijährigem Streit die Jahreskosten von 20 Mark genehmigt. Von den fünf-zehn Fischlokalen, die dem Viertel früher das Flair gaben, besteht nur noch die "Schiffbäuerin" in der Katzengasse. Die Stammkneipe der jugendlichen Räuberbande "Lochfischer" in der Felsengasse findet man nur noch auf alten Fotos und in Geschichtsbüchern. Will keine Kneipe den Namen wieder aufnehmen?

    Franks Würzburg lag links des Mains, seine Würzburger waren Meeviertler. Man lese Franks poetische Beschwörung im Ochsenfurter Männerquartett: "In Würzburg, wo der Main die Stadt durchfließend, seinen schönsten Bogen zieht, wo (...) generationenlang sich nichts geändert hat, wo von alters her der Sohn, wenn der Vater starb, die Metzgerei übernahm und führte, bis auch er starb, waren durch den Krieg und seine Folgen Bankguthaben und Sparkassenbücher zu Papier geworden."

    Alles untergegangen? Nein, des Dichters Wort bewahrt die Menschen und ihr Viertel vor dem Vergessen - solange wir die Werke des Dichters lesen, nicht als Lob der guten alten Zeit, sondern als die poetische Verarbeitung eines kritischen, politisch wie moralisch überzeugten und standfesten Mannes. Eines Mannes, der so schrieb, wie die Handwerksmeister arbeiteten: er schaute genau hin, baute die Handlung auf, feilte und hobelte an den Worten und Sätzen, er war kein Holzarbeiter, sondern ein Wortarbeiter, ein Kunsthandwerker. Das Schreiben blieb ihm immer Leidenschaft, nicht nur Lust und Bedürfnis, sondern auch Frust und Mühe.

    Im Roman "Die Jünger Jesu" (1947) ist der schreckliche Traum wirklich geworden: "Würzburg am Main, die Stadt des Weins und der Fische, der Kirchen, gotisch und barock, wo jedes zweite Haus ein unersetzliches Kunstwerk war, wurde nach 1300-jährigem Bestehen in 25 Minuten zerstört. Den folgenden Morgen floss der Main, in dem sich die schönste Stadt des Landes gespiegelt hatte, langsam und gelassen durch Schutt und Asche hinaus in die Zeit." Das Viertel seiner Kindheit war nicht mehr. Was würde Leonhard Frank heute über sein Viertel schreiben? Die Saalgasse als Rennstrecke des Durchgangsverkehrs. Oder die stille alte Dreikronenstraße.

    Nach dem Tod Franks verwehrt ihm die Stadt eine richtige Straße aus weltanschaulichen Gründen. Inzwischen hat die Leonhard-Frank-Promenade an Charakter und als Treffpunkt jugendlicher Spontan-Partys an Beliebtheit gewonnen. Frank lächelt auf der Literatenwolke, denkt an erotische Abenteuer in dem Etablissement "Zum Mainblick" und dem Häuschen mit der roten Laterne.

    Man sucht diese Orte früher männlicher, anscheinend vergeblicher Reifung vergebens, vergebens sucht man ein Denkmal für den im besten Sinne fränkischen Mann. An der Stelle von Franks Geburtshaus unter der Deutschhauskirche hat die Erinnerungstafel an den Zigarette rauchenden "Schriftsteller, Pazifisten und Emigranten" 1992 nicht die Stadt, sondern der Verschönerungsverein angebracht - immerhin.

    Würzburger Bürger haben sich um ihn gekümmert und sie kümmern sich heute noch um ihn, in der Leonhard-Frank-Gesellschaft. Diese kulturelle Initiative will dafür sorgen, dass der Dichter und sein Werk auch im 21. Jahrhundert in seiner Stadt lebendig bleiben.

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