Nur eine Viertelstunde hat Natalie Leopold aus der Lindleinsmühle die Fenster zum Lüften gekippt. Zeit genug für die Marienkäfer, zu Hunderten in die Wohnung zu krabbeln. Kreischend flieht ihre zehnjährige Tochter plötzlich aus dem Kinderzimmer. Obwohl die Kleine die putzigen Marienkäfer eigentlich gerne mag – das ist des Guten zu viel. Das Kind versteckt sich.
Mutter Natalie greift zu Schaufel und Besen. Kein leichtes Unterfangen. Denn: Die Marienkäfer geben bei Berührung ein Sekret ab. „Das hat ziemlich komisch gerochen“, berichtet die junge Frau der Main-Post. Außer ins Kinderzimmer drangen die Insekten auch ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer ein – in alle Räume auf der Sonnenseite des Hauses. Auch aus dem Steinbachtal wurde der Redaktion ein ähnlicher Fall berichtet, ebenso aus Zell.
„Der asiatische Marienkäfer ist in unseren Gärten sehr nützlich“
Rainer Heß, Biologe und Marienkäfer-Experte
Für den Würzburger Rainer Heß (65) kommen die Berichte nicht überraschend. Er studiert seit dem Sommer 2007 den asiatischen Marienkäfer, den er salopp nur den „Chinesen“ nennt. Dieser wurde vor einigen Jahren als biologischer Schädlingsbekämpfer aus Asien nach Europa eingeführt – und vermehrt sich seitdem scheinbar ungezügelt. Er ist gefräßig, macht sich über Blattläuse, Flöhe und Larven her.
Vom bekannten deutschen Sieben-Punkt-Marienkäfer ist sein asiatischer Kollege gut zu unterscheiden: Er trägt eine prägnante M-Musterung am Halsschild und bis zu 19 Punkten auf seinen Flügeln. Manchmal ist er fast schwarz. Experten wie Heß befürchten, dass der Käfer aus Fernost aufgrund seiner Dominanz den deutschen Glückskäfer bald komplett verdrängt haben wird.
Eigentlich, sagt der Diplom-Biologe, war es kein gutes Jahr für den Chinesen. Denn es gab weniger Blattläuse als sonst. Sind diese reichlich vorhanden, können sich laut Landesbund für Vogelschutz bis zu 1000 Marienkäfer auf einem einzigen Baum tummeln. So fehlte es dem Marienkäfer aber heuer an Futter. Von einer explosionsartigen Vermehrung könne für die vergangenen Monate keine Rede sein. Nur weil die Tiere nun auf der Suche nach einem Winterquartier in größeren Schwärmen auch Wohnungen heimsuchen, macht sich schnell Hysterie breit.
Grund dafür gibt es nicht. Die Käfer sind nicht giftig, übertragen keine Krankheiten. Naturkundler Heß empfiehlt, die Marienkäfer vorsichtig mit dem Staubsauger (auf der kleinsten Stufe und einem frischen Beutel) einzusammeln und sie über Falllaub im Garten wieder auszuleeren. Dort könnten sie bestens überwintern. Es gebe keinen Grund, die Tiere zu töten, denn: „Sie sind in unseren Gärten sehr nützlich, weil sie viele Schädlinge vertilgen.“ Wer die Käfer einfach in seiner Wohnung hocken lässt, tut ihnen laut Heß nichts Gutes: „Sie können dort den Winter normalerweise nicht überleben.“
Grundsätzlich mit Sorge verfolgen die mainfränkischen Winzer die Ausbreitung der asiatischen Marienkäfer. Denn wenn zu viele von ihnen in die Lese geraten, kann der Geschmack des Weins verdorben werden. Für heuer freilich gibt Winzermeister Klemens Rumpel vom Bürgerspital Entwarnung: „In diesem Jahr sind die Käfer kein Thema.“ Sie seien bei der Lese praktisch nicht vorhanden. Nur in Rimpar hat er am vergangen Samstag mal einen Schwarm angetroffen: Der hatte sich in die wärmere Weinbergshütte zurückgezogen.