Drangvolle Enge, leere Näpfe, schmutziges oder gar kein Wasser. Dreck, keine Frischluft, kaum Tageslicht, Krankheiten – die vielen Hundert Meerschweinchen und Kaninchen, die in angemieteten Ställen in Reichenberg bei Würzburg und Euerfeld (Landkreis Kitzingen) untergebracht sind, führen ein sprichwörtliches Hundeleben.
„Den Tieren in Reichenberg geht es besonders schlecht“, informierten Tierschützer, deren Namen der Redaktion bekannt sind, unsere Redaktion. Von den geschätzten 150 Meerschweinchen und Kaninchen litten viele an Pilzerkrankungen, viele seien nicht kastriert und könnten sich unkontrolliert vermehren. Außerdem würden sie unregelmäßig versorgt. „Wenn man die Tür zum Stall öffnet, schlägt einem beißender Gestank entgegen.“
Vom 23. bis 28. März haben die Tierschützer das Anwesen, das mitten in Reichenberg liegt, beobachtet. „Fünf Tage lang wären die Tiere ohne Futter gewesen, wenn wir uns nicht um sie gekümmert hätten“, sagen sie. Erst am Samstagabend seien die Besitzerinnen, zwei Lehrerinnen aus Würzburg, zum Säubern und Füttern gekommen. Vermutlich ist den Schwestern ihr Tierbestand über den Kopf gewachsen.
Nach Angaben der Tierschützer sind die weit über 300 Tiere in Euerfeld in einem „minimal besseren Zustand als ihre Leidensgenossen“ in Reichenberg. Auch dort liegt der Stall in der Ortsmitte. Hier hätten die Schwestern die Vermieterin aber beauftragt, die Nager zu füttern und den Stall ab und an zu lüften.
Bei ihrem Besuch fanden die Tierschützer in einem der Käfige einen Meerschweinchen-Kadaver und wollten ihn entfernen. „Die Vermieterin wollte das verhindern“, erzählen sie, „die Lehrerinnen hätten ihr gesagt, dass die toten Tiere eine Weile im Käfig liegen bleiben müssten, damit die anderen Tiere sich von ihnen verabschieden können“.
In ihrem Wohnhaus in Würzburg halten die Lehrerinnen ebenfalls Nagetiere. Mindestens 200 sollen es sein. „Im Sommer können wir wegen der vielen Fliegen kein Fenster öffnen und nicht auf der Terrasse sitzen“, klagt ein Nachbar.
Durch die Aktion der Tierschützer sind die Schwestern offenbar aufgeschreckt worden. Seit dem Wochenende sollen sie sich wieder regelmäßiger und die Tiere kümmern.
Schon vor sechs Jahren war ihre ausufernde Tierliebe an ihre Grenzen gestoßen. Damals hielten sie in ihrem Haus über 1000 Nagetiere. Im Januar 2003 schritt das Veterinäramt ein, 800 Tiere wurden auf Tierheime in ganz Deutschland verteilt. Allein das Würzburger Tierheim nahm 50 Tiere auf.
Der Amtstierarzt ordnete an, dass die Lehrerinnen ihren Bestand auf 200 Tiere reduzieren müssen. „So viele wollen wir gar nicht behalten“, erklärte eine der Schwestern damals im Gespräch mit der Main-Post.
Ihre „Sammelleidenschaft“ erklärten die Frauen 2003 so: „Die Not ist groß, wir haben große Herzen und haben sie weit aufgemacht, wenn es galt, zu helfen.“ Deshalb kauften sie kranke Tiere in Zoohandlungen und fuhren regelmäßig zu polnischen Märkten, wo Händler oft viel zu junge Tiere verhökern.
Nun sind die für die Stadt Würzburg und die Landkreise Würzburg und Kitzingen zuständigen Amtsveterinäre wieder alarmiert worden. „Es ist geplant, dass wir uns miteinander abstimmen“, erklärt Dr. Suzanne Klug vom Landratsamt gegenüber dieser Zeitung. Lulu Broermann, Vorsitzende des Tierschutzvereins, hofft, dass Klug und ihre Kollegen eingreifen. „Das Würzburger Tierheim ist bereit, einen Teil der Tiere aufzunehmen und wird auch bei der Verteilung auf andere Tierschutzorganisationen helfen.“
Die Schwestern waren trotz vieler Versuche weder telefonisch noch persönlich zu erreichen. In Tierschützerkreisen befürchtet man, dass sie an einer Krankheit namens „Animal Hoarding“ leiden (siehe Stichwort) und eine Art „Tier-Messies“ sind. Die Zeitschrift „Psychologie heute“ hat sich in ihrer Dezember-Ausgabe mit diesem Thema beschäftigt. „Wenn die Zahl der Tiere die Fähigkeit des Tierhalters übersteigt, hygienische und tierärztliche Mindeststandards einzuhalten, spricht man von Animal Hoarding (Tierhorten)“, heißt es dort. Oft handele es sich bei den Erkrankten um „vereinsamte ältere Damen, die ihre Sehnsucht nach Nestwärme durch obsessiv betriebene Tierhaltung ausagieren und herrenlose“ Tiere sammelten wie andere Leute Modellautos. „Was aus der Ferne vielleicht noch liebenswert-exzentrisch wirkt“, entpuppe sich „bei genauerem Hinweisen oft als Tierquälerei.“