Fast mein ganzes Leben lang warst Du Mitglied des bayerischen Landtags. Wie sagtest Du immer wieder selbst: „Es war mir nicht in die Wiege gelegt, diesen Weg zu machen.“ Die „kleine“ Erzieherin ist 1976 in den Landtag nachgerückt für einen Mann, der nicht viel von der Nichtakademikerin gehalten hat. Doch im Laufe der Zeit hast Du ihm wie vielen anderen gezeigt, was für eine – wie sagt man so schön? – Vollblutpolitikerin Du bist.
Man brauchte ein „Bauernopfer“
In Deinem politischen Leben hast Du – wie in Deinem nicht politischen – alles mitgemacht: von der Berufung ins Kabinett unter Franz Josef Strauß bis zur stellvertretenden Ministerpräsidentin unter dem, den Du erst mit einigen wenigen zusammen zum Ministerpräsidenten gemacht hast, Edmund Stoiber. Doch dann brauchte man in einer Krise ein „Bauernopfer“, und Du musstest den Kabinettsposten räumen.
Dazwischen ein unanständiger Wahlkampf um den Oberbürgermeisterposten in Würzburg – so unanständig, dass ich wieder für Dich Wahlkampf machen wollte, obwohl ich politisch schon längst auf einer ganz anderen Linie war.
Wie kann das Ende Deiner politischen Karriere anders sein als das, was es jetzt ist? Als das Ende, dass Du bis zum Ende bis über Deine Kräfte für diese Partei kämpfst, mit der Du zuletzt auch mal öffentlich gefremdelt hast. Hoch und runter ging es noch mal durch Bayern, Franken, Schwaben und alle anderen Bezirke – in dem Wissen, dass Du dem neuen Landtag wohl nicht mehr angehörst.
„Du hast Dir die Sensibilität behalten“
In Deinem politischen Leben hast Du immer wieder dafür büßen müssen, dass Du Dir bei all der Professionalität, bei all den Jahren die Sensibilität behalten hast. Und Sensibilität hat ihren Preis, auch oder gerade in der Politik. Da muss man/frau eine starke Persönlichkeit sein, um beides miteinander zu verbinden: echtes Interesse für den anderen, Mitgefühl und Einsatz für die Menschen – und gleichzeitig Zielorientierung.
Im politischen Kampf zu bestehen und dabei nicht sein Herz zu verlieren. Du kannst das. Das hast Du gezeigt und bewiesen. Deswegen hast Du über alle Partei- und politischen Lagergrenzen hinweg, bei Frauen, bei Männern, echte Fans. Und ich gehöre da – bei aller unterschiedlichen Positionierung – auch dazu.
„Du hast mir den Mut vorgelebt“
Was Du mir an Entschiedenheit, Mut zum eigenen (politischen) Willen und Durchsetzungsfähigkeit vorgelebt und gleichzeitig abverlangt hast, sorgt dafür, dass es zwischen uns beiden immer wieder Konflikte gibt, heute noch. Immer weniger, aber trotzdem mal persönlich und politisch. Und das tut manchmal richtig weh – ich bin mir sicher, Dir auch.
Vielleicht bin ich aber gerade deshalb einer Deiner Fans. In all dem, was Du mir politisch vorgelebt und mitgegeben hast, will ich aber auch an dieser Stelle eines nicht vergessen: Meine Anerkennung gilt auch Deinem Mann, unserem Vater. Wie sagte mal eines meiner Kinder? Bei uns ist eigentlich der Opa die Oma, sprich, es zieht sich fort: Unser Vater war nicht nur der Mann neben der starken Frau, sondern er übernahm vieles – anders ließ es Dein Engagement gar nicht zu. Und das in der CSU der 1970er-Jahre.
„Es ist bewundernswert, wie Du ein anderes Rollenmodell vorgelebt hast“
Aber es ist vor allem nur bewundernswert, wie Du damals auch ein großes Stück weit ein anderes Rollenmodell vorgelebt hast. Wie oft haben wir beide erlebt, dass Menschen Dich oder mich aggressiv angegangen sind, mit der Frage, warum Du mich nicht zur richtigen Partei erzogen hast: Auch in Bayern gibt es Parteienvielfalt, auch in Bayern gibt es Demokratie, und wir als Familie sind gelebte Demokratie!
Als ich Dir erklärte, dass ich vorhabe, für den Landtag zu kandidieren, hast Du mich gefragt, ob ich damit nicht warten kann, bis Du aufhörst . . . Meine Antwort: „Nein, denn dann bin ich zu alt.“ Du hast trocken und ganz richtig festgestellt: „Das stimmt auch wieder!“ Jetzt scheiden wir beide gleichzeitig aus diesem Landtag aus.
Eine kleine Geschichte möchte ich am Schluss noch erzählen. Es war an einem Abend nach einer Veranstaltung, einer der Journalisten fragte mich: „Gehen Sie schon, Frau Stamm?“ Ich antwortete : „Nein, natürlich nicht!“ Daraufhin der Journalist: „Stimmt, ich habe gehört, dass die Äpfelin nicht weit von der Stämmin entfernt fällt.“
In diesem Sinne wünsche ich Dir noch viele lange Nächte – mit neuen Aufgaben, in anderer Funktion. Denn die wird es sicher geben.
Aber ich wünsche Dir noch viel mehr: Achte jetzt erst einmal auf Dich, Deine Gesundheit, und genieße etwas Zeit mit Deiner Familie. Das wird zunächst sicher ungewohnt sein für Dich, aber genieße es! Ich danke Dir für all das, was Du mir politisch wie privat gezeigt und gegeben hast, indem Du es vorgelebt hast!
Brief aus der Tageszeitung „Die Welt“:
Dieser offene Brief ist am Mittwoch in der überregionalen Tageszeitung "Die Welt" erschienen und wurde uns mit freundlicher Genehmigung der Chefredaktion zum Nachdruck überlassen.