Der Organismus der meisten Menschen orientiert sich an dem von der Sonne vorgegebenen 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht, der unser Leben seit Urzeiten bestimmt. Aber spielt auch der Mond als zweiter großer Taktgeber am Himmel in unserem modernen Alltag eine Rolle? An der Uni Würzburg erforscht Professorin Charlotte Förster, Inhaberin des Lehrstuhls für Neurobiologie und Genetik, die Funktionsweise von inneren Uhren. Jetzt hat die Chronobiologin eine Studie über den Zusammenhang von Mondphasen und Menstruationszyklus vorgelegt. Hat der Mond denn wirklich Einfluss darauf? Ein Gespräch über Mondphase, Rhythmen - und wie wir Menschen ticken.

Frau Professor Förster, am Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik beschäftigen Sie sich eigentlich mit Drosophila, der Taufliege. Wie kommen Sie auf das Thema Mond und weiblicher Zyklus?
Prof. Charlotte Förster: Ich interessiere mich für alle rhythmischen Vorgänge, die durch innere Uhren gesteuert werden. Als Chronobiologin beschäftige ich mich mit Tagesuhren, Jahresuhren, aber auch Monatsuhren – auch wenn ich am Lehrstuhl vorwiegend mit den inneren Uhren arbeite, die Tag-Nacht-Rhythmen steuern. Ich erforsche, wie sie auf molekularer und neuronaler Ebene funktionieren. Dafür ist der genetisch manipulierbare Modellorganismus Drosophila melanogaster am besten geeignet. Für Mond-Rhythmen ist die Taufliege natürlich kein geeignetes Untersuchungsobjekt. Aber das interessante ist, dass sich sehr viele verschiedene Tiere bei der Fortpflanzung nach dem Mond richten. Vor allem Meeresorganismen.
Eine Frage der Gezeiten, also von Ebbe und Flut?
Förster: Das, aber nicht nur. Bei Tieren im offenen Meer spielen Gezeiten weniger eine Rolle. Die haben das Problem, dass sie zur Paarung zusammenkommen müssen. Dies ist besonders bei einer Befruchtung der Eizellen außerhalb des Körpers kritisch. Spermien und Eier müssen sich im Wasser treffen, und da kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. So laichen Korallen nur einmal im Jahr zu einer bestimmten Mondphase ab, meistens kurz nach Vollmond. Bewegliche Meeresbewohner wie der atlantische Feuerwurm oder der Palolowurm treffen sich sozusagen zu Voll- oder Neumond zum Sex. Auch die Landkrabben auf der Weihnachtsinsel legen ihre Eier immer kurz vor Neumond ins Meer ab. Auch das geschieht nur einmal im Jahr, und zwar im November. Für viele Tiere ist also der Mond, die Mondhelligkeit, für Paarung oder Eiablage der Zeitgeber.
Für Tiere . . . aber für uns Menschen? Wir treffen uns ja nicht nur einmal im Jahr.
Förster: Ja, und wir Menschen verabreden uns auch nicht nur zu Voll- oder Neumond zum Sex. Aber warum haben wir Frauen dann eine Zyklus-Länge von etwa einem Monat? Ist das rein zufällig oder hat das doch einen Grund? Mir ist aufgefallen, dass meine eigene Menstruation für längere Zeit mit Vollmond synchron war. Also habe ich irgendwann meine Aufzeichnungen, die Kreuze, die ich im Kalender gemacht habe, angeschaut und wissenschaftlich ausgewertet.
Sie hatten Ihre Regel erfasst?
Förster: Von der ersten Periode an über mehr als 30 Jahre, ja. Und die Kalender hatte ich aufgehoben. Also konnte ich die Verläufe der Menstruation mit den Mondphasen vergleichen. Und vom Ergebnis war ich total fasziniert: Bevor ich auf Vollmond synchronisiert war, war ich zwei Jahre lang auf Neumond synchronisiert, ohne dass ich das gemerkt hatte.
"Dem Muster nach konnte das kein Zufall sein."
Neurobiologin Charlotte Förster über die Synchronität von Mondphase und Regelblutung
Mehr als Zufall?
Förster: Dem Muster nach konnte das kein Zufall sein. Aber weil ich das nicht geglaubt habe, habe ich andere Frauen nach Aufzeichnungen gefragt und bekam Unterstützung von meiner Kollegin Stefanie Monecke von der LMU München. Die Daten von 22 Frauen mit 4112 Menstruations-Zeitpunkten sind zusammengekommen, im Durchschnitt 15 Jahre von jeder Frau - insgesamt waren dies 339 Jahre an Aufzeichnungen. Die Frage: Ist das, was man sieht, statistisch signifikant? Meine Kollegen Oliver Mitesser und Thomas Hovestadt vom Lehrstuhl für Tierökologie halfen bei der komplizierten mathematischen Auswertung. Das Ergebnis: Diese synchronen Verläufe können kein Zufall sein.
Setzt die Regelblutung also immer zu Vollmond ein? Oder immer zu Neumond?
Förster: Interessant ist, dass in früheren Studien aus dem vergangenen Jahrhundert gezeigt wurde, dass die Fruchtbarkeit von Frauen besonders hoch ist, wenn die Zyklen genau 29,5 Tage dauern. Und dass bei diesen Frauen die Menstruation sehr häufig bei Vollmond beginnt. Was bedeutet: Die fruchtbare Zeit ist zu Neumond. In den ausgewerteten Daten der 22 Frauen meiner Studie war die Menstruation meist bei Vollmond – aber in vielen Fällen auch bei Neumond. Irgendetwas könnte sich geändert haben über die Zeit.
Was genau haben Sie „gemessen“?
Förster: Die Regelblutung erfolgte bei jüngeren Frauen im Durchschnitt alle 29,4 Tage - mit erheblichen Schwankungen von 20 bis 35 Tagen. Aber die durchschnittliche Zykluslänge stimmte recht genau mit der Länge des Mondzyklus von 29,5 Tagen überein, also der Zeit, die zwischen zwei Voll- oder Neumonden vergeht. Und im Durchschnitt war der Zyklus von Frauen unter 35 Jahren zu 23,6 Prozent der Zeit mit dem Vollmond oder dem Neumond synchronisiert, das heißt der erste Tag der Regelblutung fiel entweder auf den Vollmond oder auf den Neumond. Bei den über 35-Jährigen war das nur zu 9,5 Prozent der Zeit der Fall. Offensichtlich nimmt die Korrelation zwischen Mondphasen und Regelblutungen also mit dem Alter ab. Das könnte daran liegen, dass der Zyklus mit zunehmenden Alter kürzer wird.
Wie bewertet die Chronobiologin das? Der Mond hat Einfluss auf uns Menschen? Auf Frauen wie Männer?
Förster: Das würde ich nach dieser Studie auf jeden Fall sagen. In einer Parallelstudie haben Forscher in den USA und Argentinien die Schlafdauer untersucht– von Menschen aus drei Gruppen. Von einem Volk aus Argentinien, das ganz naturnah lebt, ohne elektrisches Licht. Von naturnah lebenden Menschen mit elektrischem Licht. Und von Studenten in Seattle, einer Großstadt mit jeder Menge Nachtbeleuchtung. Die Forschergruppe hat einen Einfluss des Mondes beobachtet – bei Männern wie bei Frauen.
Wie heißt die Kurzformel?
Förster: Zwei Tage vor Vollmond gehen wir später zu Bett und schlafen deswegen kürzer. Bei den naturnah lebenden Menschen ohne elektrisches Licht waren es 1,5 Stunden weniger Schlaf, bei den Studenten noch 20 Minuten. Kurz gesagt: Die Dauer der abendlichen Aktivitäten hängt auch von den Mondphasen ab. Aber es kommt noch etwas Interessantes dazu, denn der Mond erzeugt ja nicht nur einen Zyklus in der Nachthelligkeit, sondern auch in der Gravitation, um wieder auf die Gezeiten zurückzukommen. Zu Vollmond und zu Neumond – wenn Sonne, Mond und Erde in einer Linie stehen – sind die Effekte der Schwerkraft maximal.

Sie haben das in den Menstruationsdaten gesehen?
Förster: Dass die Menstruation sowohl zu Vollmond als auch zu Neumond auftritt, spricht dafür, dass die Gravitation einen Einfluss haben könnte. Auch die Schlafstudien sprechen dafür. Allein die Tatsache, dass die Probanden aus Seattle noch auf den Mond synchronisiert waren, zeigt dass die Mondhelligkeit nicht als Zeitgeber wirken kann, denn sie kann in der hellbeleuchteten Stadt nicht wahrgenommen werden. Außerdem haben manche Probanden aus Seattle nicht nur weniger gut bei Vollmond sondern auch bei Neumond geschlafen, was auch wieder für Gravitationseinflüsse des Mondes spricht. Diese sind ja zu Voll- und Neumond gleich groß. Mich würde brennend interessieren, wie der menschliche Körper diese winzigen Auswirkungen solcher langsamen, regelmäßigen Gravitationszyklen registriert. Mit Sicherheit nicht direkt, dazu ist der Körper des Menschen viel zu klein und wir haben keine Sinne dafür. Aber was ist es dann? Ich weiß es nicht.
Die Helligkeit des Mondes . . .
Förster: . . . ist eindeutig der stärkere Zeitgeber. In den Wintermonaten, wenn in den langen Nächten der Mond viel länger als in den kurzen Sommernächten scheint, ist der Zusammenhang zwischen Mondzyklen und Menstruationszyklen übrigens besonders auffällig. Was man auch unbedingt ansprechen muss ist die Lichtverschmutzung.
"Die Nachthelligkeit verkürzt offenbar unseren Menstruationszyklus."
Charlotte Förster über Lichtverschmutzung in Städten - und Fruchtbarkeit
Lichtverschmutzung? Weil elektrische Beleuchtung sich auswirkt?
Förster: Die Nächte werden immer heller, gerade in größeren Städten. Das wirkt sich nicht nur auf Tiere aus. Vögel beispielsweise, die zu brüten beginnen, obwohl eigentlich noch Winter ist. Was wir festgestellt haben: Die Nachthelligkeit verkürzt offenbar unseren Menstruationszyklus. Die Regelblutungen erfolgen schneller hintereinander. Bei den Frauen, die in Großstädten leben, betrug die Zykluslänge nur noch 24 bis 25 Tage und wir haben keinen Einfluss der Mondphasen mehr gesehen. Das könnte sich durchaus auch auf die Fruchtbarkeit auswirken. Es gibt bereits Fertilitätsprobleme in Großstädten, wer weiß, ob da der Mond nicht mit reinspielt. Das Leben im Einklang mit der Natur – und mit dem normalen Mondrhythmus – nutzt unserer Gesundheit durchaus.
Dann noch mal so gefragt: Was ist denn für uns Menschen der biologische Sinn dieses parallelen Verlaufs Mondphase – Menstruation?
Förster: Bei den Tieren wissen wir es: Weil das den Fortpflanzungs- und Reproduktionserfolg erhöht. Bei uns Menschen kann man nur spekulieren. Was ich mir vorstellen kann: In Vorzeiten waren wir Menschen in Vollmondnächten aktiv. Da ist es so hell – da kann man jagen, sammeln, feiern. Das hat auch die Studie der argentinischen Gruppe gezeigt: In Vollmondnächten sind die Menschen draußen. Bei Neumond ist es dunkel – und draußen gefährlich. Es empfiehlt sich, zu Hause zu bleiben, in der geschützten Höhle, mit dem Partner im Bett. Da ist es vorteilhaft, gerade dann schwanger werden zu können. In der Biologie ist alles darauf ausgelegt, sich möglichst effizient fortzupflanzen.