Zwischen 1946 und 2014 sollen bundesweit mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 Minderjährige missbraucht haben. Davon wurden im Bistum Würzburg 62 Kleriker des Missbrauchs beschuldigt, die Zahl der Opfer beläuft sich auf 157. Das ist das Ergebnis der am Dienstag veröffentlichten Missbrauchsstudie, die die Deutsche Bischofskonferenz in Auftrag gegeben hatte. Während in Fulda deren Vorsitzender Kardinal Reinhard Marx die Ergebnisse für das gesamte Bundesgebiet vorstellte, ging in Würzburg Generalvikar Thomas Keßler auf die Untersuchungen im Bistum ein.
Akten aus dem Geheimarchiv ausgewertet
Demnach sei bei 17 Beschuldigten ein kirchenrechtliches Vorgehen eingeleitet worden. Mit 28 Fällen lag die Zahl der Strafanzeigen bei staatlichen Behörden jedoch deutlich höher. Acht davon seien rechtskräftig abgeschlossen. Die Strafen reichten von Geldstrafen bis zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Der in Fulda weilende Bischof Franz Jung fand in einer Videobotschaft, die zu Beginn der Pressekonferenz eingespielt wurde, deutliche Worte. „Für uns gilt: keine Toleranz mit Straftätern“, sagte er und sprach von einer „Schuldgeschichte“ der Kirche.

Für die Studie wurden laut Keßler in der Diözese Würzburg unter anderem 1118 Personalakten von einer Anwaltskanzlei nach „Hinweisen auf sexuelle Missbrauchstaten“ durchforstet. Darunter befanden sich alle Personalakten von Klerikern, die zwischen den Jahren 2000 und 2015 in der Diözese „eine Funktion ausübten oder sich im Ruhestand befanden“, sowie „alle Handakten und Dokumente aus dem Geheimarchiv“ der Diözese, die sich auf Geistliche beziehen, die zwischen 1946 und 2015 im Bistum tätig oder im Ruhestand waren.
Generalvikar: „Beschuldigten wurde Neustart ermöglicht“
Keßlers Fazit fällt ernüchternd aus. „Die untersuchten Jahrzehnte zeigen uns heute folgenschwere Fehleinschätzungen und folgenschweres Fehlverhalten der Kirche“ auf. Als „Grundfehler“ bezeichnete der Generalvikar es, „dass der Schutz der Institution vor dem Schutz der Betroffenen und Opfer stand“. Weiter gestand er ein, dass im Bistum „Beschuldigten durch Versetzung ein Neustart ermöglicht wurde“ und betroffene Gemeinden „teils nicht umfassend, teils überhaupt nicht informiert“ wurden.
Bischof Jung kritisierte, Missbrauch sei oft bagatellisiert und nicht als das benannt worden, „was es ist: nämlich ein Verbrechen“. Zwar sprach er auch davon, dass Unterlagen, „aus denen ersichtlich gewesen wäre, dass missbräuchliches Handeln geschehen ist“, vernichtet worden seien. Generalvikar Keßler betonte allerdings, dass dies im Bistum Würzburg „nach unserer Kenntnis“ nicht der Fall gewesen sei.
Auseinandersetzung mit Zölibat und eigener Sexualität gefordert
Wie die stellvertretende Missbrauchsbeauftragte Sandrina Altenhöner erklärte, zahlte das Bistum seit 2011 an 21 Opfer sogenannte Anerkennungsleistungen – insgesamt 101 000 Euro. Der Bischof bat unterdessen alle Betroffenen „demütig um Vergebung“. Er kündigte für das Bistum an, alles zu unternehmen, „damit Missbrauch im Raum der Kirche unterbunden wird“. Dazu gehöre auch eine Überprüfung der bestehenden Präventionsbemühungen. Laut Keßler werde die Diözese unter anderem ein Seelsorgeteam für Betroffene einrichten und „die Entlassung aus dem Klerikerstand von Priestern wegen sexuellen Missbrauchs zukünftig vollständig“ vollziehen.
Mit Blick auf das Zölibat, in dem Kritiker einen Grund für die jahrzehntelange Vertuschung sexuellen Missbrauchs sehen, erklärte Jung, man habe erkannt, „dass die zölibatäre Lebensform (...) immer wieder neu der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität bedarf“. Jung appellierte weiter, die Kirche müsse „große Sorgfalt walten lassen bei der Auswahl unseres Personals“. Der für die Priesterausbildung im Bistum zuständige Regens Stefan Michelberger betonte, dass die Prävention sexualisierter Gewalt und die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ein gewichtiger Ausbildungsbestandteil sei. Es sei nicht so, „dass wir in Zeiten, in denen wir uns über jeden freuen, der zu uns kommt, auch jeden nehmen“.