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WÜRZBURG: Missbrauchsvorwurf: Schwierige Suche nach der Wahrheit

WÜRZBURG

Missbrauchsvorwurf: Schwierige Suche nach der Wahrheit

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    Justitia mit der Waage: Sie ist die Personifikation der Gerechtigkeit. Nicht immer ist es einfach, sie zu finden.
    Justitia mit der Waage: Sie ist die Personifikation der Gerechtigkeit. Nicht immer ist es einfach, sie zu finden. Foto: ILLUSTRATION: CHRISTINE BREY

    Der Fall hatte vor einem dreiviertel Jahr bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Nun ist er zu Ende. Auch der zweite Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, der gegen einen hochrangigen Geistlichen der Diözese Würzburg im Raum steht, wird vorerst nicht weiter untersucht. Dies teilte Klaus Laubenthal, der externe Missbrauchsbeauftragte der Diözese Würzburg, auf Anfrage mit.

    Auslöser für diese Ermittlungen des Missbrauchsbeauftragten war ein erster Vorwurf: Erhoben hat ihn Alexandra W. Anfang 2013. Sie lebt im Bereich der Diözese Würzburg und sagt, dass sie vor fast 30 Jahren von einem Geistlichen sexuell genötigt worden sei. Im Zuge dieser Recherchen stieß Klaus Laubenthal auf den Hinweis, dass es womöglich noch einen weiteren Vorfall im Exerzitienhaus Himmelspforten in Würzburg gegeben haben könnte. Und diese Prüfung hat Professor Laubenthal jetzt beendet.

    Derzeit gibt es keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen

    Der Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Würzburg bestätigt, dass er bereits Bischof Friedhelm Hofmann informiert hat. Den Angaben zufolge stellt Professor Laubenthal das Verfahren ein, weil es derzeit keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen gebe. Er ist in den vergangenen neun Monaten Hinweisen über ein mögliches zweites Opfer des beschuldigten Geistlichen nachgegangen – jedoch ohne Ergebnis beziehungsweise ohne dass sich die fragliche Person gemeldet hat.

    Der Strafrechtler untersuchte seit März 2010 im Auftrag des Würzburger Bischofs mehr als hundert Vorwürfe sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich. Er arbeitet unabhängig, ist aber an Vorgaben gebunden. Maßgeblich sind die von der Deutschen Bischofskonferenz beschlossenen „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“.

    Trotz der vielen durchgeführten Prüfungen stellt der aktuelle Fall für ihn eine Besonderheit dar: Er ist gekennzeichnet durch eine extrem lange Ermittlungsarbeit – und beim ersten Vorwurf (Fall „Alexandra W.“) durch völlig konträre Einschätzungen. Erstmals ist die Kirche der Plausibilitätsprüfung von Professor Laubenthal nicht gefolgt. Für den Missbrauchsbeauftragten gibt es Indizien, dass der Missbrauch stattgefunden haben könnte. Für die katholische Kirche dagegen nicht.

    Auch dass sich die Bistumsleitung dagegen entschieden hat, den Vorwurf von Alexandra W. der Staatsanwaltschaft zu übermitteln, hat Professor Laubenthal problematisch gesehen. Seiner Meinung nach sollten generell die staatlichen Strafverfolgungsbehörden informiert werden – auch wenn der Vorfall schon sehr lange zurückliegt.

    Die Würzburger Staatsanwaltschaft hat jedenfalls erst aus den Medien von den Beschuldigungen gegen den Geistlichen erfahren – und im April 2016 nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von Amts wegen die Verjährung festgestellt.

    Der Fall beziehungsweise Vorwurf Nummer eins bleibt somit für immer offen. Er zeigt zudem exemplarisch, wie schwierig die Suche nach der Wahrheit sein kann – und wie schwierig es werden kann, wenn rechtsstaatliche Mittel nicht mehr greifen können.

    Generell stellen in Missbrauchsfällen die Verjährungsfristen ein Hindernis bei der Aufklärung vieler Vorwürfe dar. Sie wurden zwar zwischenzeitlich verlängert, weil die meisten Opfer viele Jahre brauchen, bis sie über ihren Missbrauch reden können oder bis die Erinnerungen an ihn wiederkehren. Aber sie werden aller Voraussicht nach nicht gänzlich fallen – wie das Professor Laubenthal seit Jahren fordert. Er berät seit 2015 das Bundesjustizministerium bei der Reform des Sexualstrafrechts.

    Kirchenrecht untersucht auch verjährte Fälle

    Das Kirchenrecht geht zwar einen Schritt weiter als das staatliche Recht. Es untersucht auch verjährte Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, kann aber laut Professor Laubenthal keine staatlichen Sanktionen oder einen Freispruch durch ein staatliches Gericht erwirken. Denn ein Strafanspruch steht ausschließlich dem Staat zu, so Laubenthal.

    Für Opfer sexuellen Missbrauchs sind die kirchenrechtlichen Vorgaben aber eine Chance, dennoch eine Art Entschädigung zu erfahren: in finanzieller Form von normalerweise bis zu 5000 Euro, die von der Kirche in „Anerkennung des Leids“ gezahlt werden. In Härtefällen ging es bereits um höhere Summen – auch im Bistum Würzburg. Zusätzlich werden meist auch therapeutische Maßnahmen finanziert.

    Im Fall von Alexandra W. gibt es jedoch weder eine „Anerkennung des Leids“ noch eine Therapiekostenübernahme. Das Metropolitangericht in München, das vor etwa drei Jahren im Auftrag der Diözese Würzburg die kirchenrechtliche Voruntersuchung durchgeführt hat, schloss die Wahrscheinlichkeit, dass die behauptete Straftat begangen wurde, nahezu aus. Und die höchste Instanz, die Glaubenskongregation in Rom, empfahl der Würzburger Bistumsleitung, die Kirchenakte zu schließen. So ist es im Herbst 2015 geschehen.

    Fall öffentlich gemacht

    Letztlich wurden einige Monate später nur deshalb Einzelheiten bekannt, weil Alexandra W. ihren Fall daraufhin öffentlich gemacht hat. Zuerst erschien ihre Geschichte Ende März 2016 im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Anschließend berichtete auch diese Redaktion mehrfach darüber – ebenso, dass Professor Laubenthal Hinweise auf ein mögliches weiteres Opfer prüft.

    Für Klaus Laubenthal ist dieses Verfahren zwar jetzt ebenfalls beendet. Aber er schließt nicht aus, dass er die Ermittlungen wieder aufnimmt, wenn sich neue Anhaltspunkte ergeben, die dann auch zu einer Wiederöffnung der Kirchenakte führen könnten. „Ich habe immer wieder erlebt, dass ein abgeschlossener Fall plötzlich eine andere Wendung nimmt.“

    Unschuldsvermutung gilt für beide Seiten

    So lange aber bleibt der Status quo bestehen. Es gilt die Unschuldsvermutung – für den Beschuldigten, dass er den ihm vorgeworfenen Missbrauch nicht begangen hat. Allerdings gilt die Unschuldsvermutung auch für das mutmaßliche Opfer – dass es den Geistlichen nicht fälschlicherweise des Missbrauchs bezichtigt.

    Dies kommt ohnehin kaum vor. Im Bistum Würzburg werden seit 2010 laut aktualisierten Angaben von Professor Laubenthal bei insgesamt mehr als hundert durchgeführten Plausibilitätsprüfungen lediglich drei Falschbeschuldigungen aufgelistet.

    Kontakt zum Missbrauchsbeauftragten:

    Professor Dr. Klaus Laubenthal, persönlich/vertraulich, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg; Tel. (09 31) 318 23 72. E-Mail: kls.lbnthl@googlemail.com

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