In der vergangenen Woche hat die Staatsanwaltschaft Würzburg auf Nachfrage dieser Redaktion bestätigt, dass der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen einen Geistlichen der Diözese Würzburg verjährt ist. Dazu hat die Diözese eine Stellungnahme veröffentlicht. Der Würzburger Strafrechtsprofessor und seit 2010 Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs, Klaus Laubenthal, erläutert die juristische Lage.
Frage: Dass der Vorwurf verjährt ist, war Ihnen sicher bereits vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft klar.
Klaus Laubenthal: Ich bin in der Tat davon ausgegangen, dass der Vorwurf bereits verjährt war, als er an die Staatsanwaltschaft gegangen ist.
- Weg mit den Verjährungsfristen! Unser Standpunkt von Main-Post-Redakteurin Christine Jeske
Hätte die Staatsanwaltschaft bei der Frage der Verjährung nicht von vornherein eingeschaltet werden müssen?
Laubenthal: Es obliegt allein der Staatsanwaltschaft – als Ermittlungsbehörde –, die Verjährungsfrage zu prüfen, ob ein Strafverfolgungshindernis aus ihrer Sicht gegeben ist oder nicht. Über diese Frage zu befinden, liegt nicht in der Kompetenz anderer. Kirchengerichte zum Beispiel haben keinerlei Befugnis, allgemeingültige Entscheidungen zu treffen.
Nun konnte die Staatsanwaltschaft erst tätig werden, als sie durch die Medien von dem Fall erfahren hat. Haben Sie die Bistumsleitung nicht darauf hingewiesen, dass sie nicht nur ein kirchenrechtliches Verfahren einleiten soll?
Laubenthal: Nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz obliegt seit September 2010 der Kontakt zu den Strafverfolgungsbehörden der Bistumsleitung beziehungsweise anderen kirchlichen Dienstgebern.
Das war nicht immer so.
Laubenthal: Als der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hierzulande 2010 seinen Höhepunkt erlebte, reagierte die Deutsche Bischofskonferenz. Sie beschloss, ab März 2010 nicht mehr nur interne Missbrauchsbeauftragte – wie bis dahin üblich – mit der Prüfung der Vorwürfe zu beauftragen, sondern auch externe Personen. Damals waren die externen Beauftragten auch die Kontaktpersonen zur Staatsanwaltschaft. Ab September 2010 nicht mehr. Damals traten reformierte Leitlinien in Kraft. So gesehen, wurden die Kompetenzen der Missbrauchsbeauftragten wieder beschnitten.
Sie sind aber als Strafrechtsprofessor ein Experte auf diesem Gebiet. Hat die Bistumsleitung Sie nicht um Rat gefragt?
Laubenthal: Ich bin diesbezüglich nicht gefragt worden. Für mich war der Fall abgeschlossen, als ich meine Plausibilitätsprüfung beendet hatte und den Bericht an den Würzburger Bischof übergeben habe. Damit waren meine Kompetenzen zunächst einmal beendet.
Wenn die Bistumsleitung Sie gefragt hätte, hätten Sie befürwortet, den Vorwurf an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten?
Laubenthal: Wenn man mich um meine Einschätzung und meinen Rat nachgefragt hätte, hätte ich angeregt, den Vorgang zunächst an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Die Diözese Würzburg schreibt in ihrer Stellungnahme: „Die Feststellung der Staatsanwaltschaft zeigt, dass die Entscheidung der Diözese Würzburg, den Vorwurf eines offensichtlich verjährten mutmaßlichen Geschehens nicht zur Anzeige zu bringen, kein Vertuschungsversuch ist.“
Laubenthal: Wir müssen sauber trennen zwischen der Frage der Verjährung und der Frage der Stellung einer Strafanzeige bei den Strafverfolgungsorganen. Das eine hängt nicht notwendigerweise mit dem anderen zusammen.
Es obliegt allein der Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde, die Verjährungsfrage zu klären. Also zu prüfen, ob ein Strafverfolgungshindernis aus ihrer Sicht gegeben ist oder nicht. Über diese Frage zu befinden, liegt nicht in der Kompetenz anderer.
Die Diözese Würzburg schreibt weiter zum Punkt Vertuschung: „Aufgrund der sofortigen Weitergabe des Vorwurfes zur Aufklärung an den Missbrauchsbeauftragten Professor Dr. Klaus Laubenthal gingen und gehen alle Vorwürfe, die in diese Richtung laufen, ins Leere.“
Laubenthal: Es trifft zu, dass die Bistumsleitung in dieser Sache die Übermittlung eines zunächst sehr vagen Vorwurfs an mich veranlasst hat und ich mit meinen Ermittlungen im Rahmen der Plausibilitätsprüfung beginnen konnte. In welchem Zusammenhang dies mit späteren Entscheidungen der Bistumsleitung bezüglich des Stellens einer Strafanzeige stehen soll, erschließt sich mir nicht.
Nun kann durch die Verjährung als Strafverfolgungshindernis weder Schuld noch Unschuld festgestellt werden.
Laubenthal: Vonseiten der staatlichen Strafverfolgungsbehörden bleibt dieser Fall offen. Er wird in der Sache nicht weiter aufgeklärt – und in der Sache auch nicht entschieden. Es ist ein strafrechtliches Vakuum aufgrund der Verjährungsbestimmungen entstanden.
Das ist für Alexandra Wolf, die den Geistlichen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt, und sicher auch für den Beschuldigten eine sehr unbefriedigende Situation.
Laubenthal: Das ist natürlich misslich: einerseits für ein mögliches Opfer. Es kann nicht die Genugtuung erfahren, dass der Vorwurf in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung aufgeklärt wird und es gegebenenfalls zu einer Verurteilung kommt. Misslich ist es aber auch für die beschuldigte Person. Sie hat keine Chance, sich in einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung zu rechtfertigen und aus ihrer Sicht Dinge klarzustellen und zu erläutern. Sie hat auch keine Chance, zu einem Freispruch zu kommen, wenn das Gericht der Auffassung ist, sie sei unschuldig.
Aber es gab von Ihrer Seite plausible Gründe beziehungsweise Indizien, die dafür sprechen, dass der Vorwurf „erlebnisbasiert“ sein könnte – sonst wäre Ihre Prüfung ja anders ausgefallen?
Laubenthal: Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung damals beruht darauf, dass ich diesen Vorwurf für plausibel gehalten habe und zusätzlich mehrere Indizien dafür sprachen. Und mir konnte zwischenzeitlich keiner weitere Indizien präsentieren, die mich veranlasst hätten, Gegenteiliges zu äußern.
Sie setzen sich für die Abschaffung der Verjährungsfristen ein, beraten seit Anfang 2015 die Bundesregierung beziehungsweise Justizminister Heiko Maas bei der Reform des Sexualstrafrechts.
Laubenthal: Ich fordere seit Jahren die Abschaffung aller Verjährungsfristen bei sexualbezogenen Straftaten zum Nachteil von Minderjährigen. Denn die Opfer brauchen nun mal Jahre und Jahrzehnte, bis sie in der Lage sind, darüber zu sprechen. Meist gelingt das erst, wenn sie ihren Missbrauch mithilfe von Therapeuten aufgearbeitet haben. Seit Anfang 2015 gibt es ja durchaus Verbesserungen seitens des Bundesgesetzgebers in diesem Bereich. Es wurde neu eingeführt, dass der Lauf der Verjährung ruht bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers.
Wenn sich die Rechtslage ändert, was würde das für diesen Fall bedeuten?
Laubenthal: Wenn ein Vorwurf verjährt ist, wie wir das gerade in dieser Konstellation haben, dann nützt auch keine Aufhebung der Verjährungsfristen. Verjährt bleibt verjährt.
In einem früheren Gespräch sagten Sie, es gibt einen Hinweis auf ein weiteres Opfer.
Laubenthal: Ich habe, bezogen auf einen Hinweis, Unterlagen von der Bistumsleitung erhalten. Ich werde jetzt die Prüfung beginnen. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.