Die Geschichte könnte man nicht schräger erfinden: Da wächst einer im Dschungel Surinams in Südamerika auf, liest ein Buch in dem alles über das Mittelalter, seine Burgen und Ritter, erzählt wird – schon ist der Kindertraum perfekt. Einige Jahrzehnte später wird er in die Tat umgesetzt: Seit 2006 lebt der Niederländer Lenny Vries mit seiner Lebensgefährtin Christel Dattler auf oder in seiner eigenen Burg. Die hat er sich – kein Witz – auf einem 50 Meter langen Binnenschiff gebaut, fährt damit auf Flüssen durch Europa und lässt sein Lebenswerk bestaunen.
Leider ist Lennys Freude derzeit etwas getrübt. Er bereist seit einigen Wochen den Main, war unter anderem in Aschaffenburg, Lohr, Marktheidenfeld und Karlstadt. Überall hat er einen Liegeplatz bekommen – nur in Würzburg nicht. An der Leonard-Frank-Promenade in Würzburg wollte er ankern, was das Wasser- und Schifffahrtsamt in Schweinfurt nicht erlaubte. So bleibt ihm derzeit nur das weniger publikumsträchtige Mainufer gegenüber von Zell am ehemaligen Raiffeisenwerk unterhalb der Laurentiusbrücke. Eine Möglichkeit in Veitshöchheim hat sich nach dem Einwand eines Schiffseigners auch nicht ergeben.
Surinam war bis 1975 niederländische Kolonie. Anfang der 80er Jahre kam er von dort ins Mutterland nach Europa und schmiedete fortan seine mittelalterlichen Pläne. Lenny quasselt in einer Tour, ohne Punkt und Komma, wenn er seinen Gästen das Innere der „Vlotburg“ zeigt. Seit den 80er Jahren hat er jede Menge Exponate gesammelt. Es ist keine wissenschaftliche Ausstellung, die auf diesem Museumsschiff präsentiert wird – an Originalität allerdings kaum zu überbieten.
Da ist einfach alles, was mit dem Mittelalter zu tun hat, mehr oder weniger ein Sammelsurium: Geschirr, Möbel, Kleidung, Rüstungen, Kettenhemden, Waffen, Tierpräparate von Fuchs und Wiesel, ein Pferdekopf, eine Handtasche aus Ziegeneuter (mitsamt Zitzen) und, und, und . . .
Selbstverständlich dürfen die Folterwerkzeuge und –maschinen nicht fehlen. Inspirieren ließ sich Lenny Vries im Mittelalterlichen Foltermuseum in Freiburg. Einige Stücke hat er selbst hergestellt, wie etwa die Streckbank mit Nagelrollen oder den Beichtstuhl, ebenfalls mit Nägeln. Sogar eine Schandgeige ist zu sehen. Die bekamen früher faule Musiker um den Hals gekettet und wurden öffentlich zur Schau gestellt.
Das ist noch nicht alles. Lenny und Christl leben nicht allein auf der Vlotburg. Da gibt's noch den 15-jährigen, zotteligen Wachhund namens Gremling. Auf dem Oberdeck des zweistöckigen Aufbaues residieren die Hengste Wodan und der kleine Hercules. Beide können natürlich Multiplizieren, Dividieren, Wurzelziehen und Küsschen geben. Auch bei Ritterkämpfen sind sie im Einsatz.
Apropos Aufbau: Drei Jahre hat's gebraucht, um mit einem befreundeten Schreiner diese schwimmende Burg zu schaffen. Die ganze Statik lastet auf rund 60 Tonnen Eichenbalken. Die meisten stammen aus alten Bauernhöfen im Schwarzwald. Die Stockwerke sind über zwei elegante Wendeltreppen zu erreichen.
Jetzt fehlen also nur noch die Besucher. Dennoch bleibt Lenny fröhlich und redet lustig weiter. „Bring‘ mal was in Deiner Zeitung, damit die Leute kommen. Das wäre gut.“ Der Liegeplatz kostet immerhin 250 Euro pro Woche.
Bis Samstag, 7. Juli, bleiben Lenny und seine Burg noch im Raum Würzburg – egal wo. Seine nächsten Ziele sind schon ausgemacht. Anschließend geht es mainaufwärts mit Zwischenstationen bis Bamberg, dann über Nürnberg zur Donau nach Linz, Melk, Wien – so weit‘s halt geht. Und wie lange noch? „Bis ich sterbe“, sagt Lenny Vries und quasselt weiter.
Die Vlotburg
Das Museumsschiff „Vlotburg“ ist täglich – auch Samstag und Sonntag – von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Weitere Informationen gibt es telefonisch oder im Internet unter: Tel. 0172/254 96 13 bzw. www.vlotburg.nl