WÜRZBURG (TAP) "Und Sie meinen, ich kann das tatsächlich?" Ziemlich unsicher sitzt Beate an dem runden Tisch des Kaufhauses "Sportarena" Thomas Kopp, Leiter des Würzburger Tanzspeichers und Organisator der Würzburger Biennale "Tanzlandschaft 2006", gegenüber. Die Mittfünfzigerin würde sich gerne eine Choreographie "auf den Leib schneidern" lassen, weiß aber nicht, ob sie wirklich das Talent für zeitgenössischen Tanz hat.
Im Beratungsgespräch am Servicepoint des Projekts "Cash & Carry Dance" versucht Kopp Beate zu helfen, ihre Hemmungen zu überwinden. Jeder Mensch, so der Tänzer, kann sich bewegen - und ist damit auf dem besten Weg zum Tanz. Tanzinteressierte müssten sich ohnehin keine Gedanken machen, ob sie tanzen können: "Denn jeder, der Tanz ansieht, tanzt bereits mit."
"Am Anfang fand ich es schon komisch, diese skurrilen Bewegungen des zeitgenössischen Tanzes auszuführen", erzählt Theresa, die sich vor einer Stunde zusammen mit ihrer Freundin Anna-Lena für 25 Euro eine Choreographie bei Thomas Kopp gekauft hat. Jetzt stehen Theresa und Anna-Lena dem Choreographen Hannes Langolf gegenüber und sagen, welche Assoziationen ihnen zu Buchstaben wie "H" oder "U" kommen. Anna-Lena lacht, ihr fällt gerade kein U-Wort ein, Theresa hilft ihr auf die Sprünge: "Das ist doch u-nglaublich!"
Der in Würzburg bei Thomas Kopp ausgebildete, inzwischen international renommierte Tänzer und Choreograph Thomas Langolf versucht, Tanzinteressierte über Worte und ihre Assoziationskraft zum zeitgenössischen Tanz hinzuführen. Noch wissen Theresa und Anna-Lena nicht, dass sie die zehn Wörter zu ihren Lieblingsbuchstaben in Kürze tanzen sollen. "Sonst hätte ich mir nie so viele Adjektive überlegt", sagt Theresa, die sich soeben daran macht, mit ihrem Körper, mit Armen und Beinen Eigenschaftswörter wie "toll", "blöd", "albern" und "süß" auszudrücken.
Mit ihrer Umsetzung von Wörtern - damit also von abstrakten Ideen oder ganzen Geschichten - in Tanz, sind Theresa und Anna-Lena dem auf der Spur, was Hannes das "Geheimnis des Tanzes" nennt. Tanzen ist für den Bewegungskünstler eine ganz eigene Form der Kommunikation. Der Unterschied zwischen dem Austoben in der Disco und dem artistischen Tanz besteht nach Hannes Meinung in der bewussten Botschaft, die der Tänzer dem Publikum vermittelt.
Theresa und Anna-Lena sind entschlossen, das ungewohnte Experiment zu wagen, konzentriert stehen sie vor den großen Spiegelwänden in Kopps Tanzschule "Tanzwerkstatt" und versuchen, die Wörter in Bewegung umzusetzen und fließend miteinander zu verbinden. Theresa streckt den Arm weit nach rechts aus, lässt den Daumen hochschnellen - "toll", drückt die Geste aus. Anna-Lena fasst ihr ins Gesicht, zum Buchstaben "N" kam ihr die Assoziation "Nase".
Hinterher sagen die Freundinnen, die schon seit vier Jahren zeitgenössischen Tanz trainieren: "Das war wirklich ein besonderes Erlebnis." Noch nie habe sich ein Choreograph so intensiv um sie gekümmert. Und nichts entging Hannes, jede Geste, jede Bewegung der kurzen Choreographie verbesserte der Tänzer so, dass sie an Dynamik gewann und sich nahtlos an die nächste "Wort-Bewegungs-Einheit" fügte.
Er wolle mit dem Projekt auf die Kommerzialisierung der Kunst reagieren, erklärt Thomas Kopp, der "Cash & Carry Dance" während des fünftägigen Tanzfestivals "Tanzlandschaft" als - liebevolle - Persiflage auf den Warencharakter von Kunst und Kultur inszenierte. Nicht umsonst befand sich der Servicepoint mit dem Beratungstisch in einem Kaufhaus. Tanz, so Kopp, sei aufgrund zurückgehender öffentlicher Zuschüsse wie die meisten anderen Lebensbereiche gezwungen, seinen Marktwert zu ermitteln.
Am Sonntag, 23. Juli, sind um 11 Uhr einige der bei "Cash & Carry Dance" entstandenen Choreo- graphien bei der "offenen anPro- be" im Tanzspeicher zu sehen.