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LENGFELD: Moleküle auf der Leinwand

LENGFELD

Moleküle auf der Leinwand

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    Malen zur Medizin: Dr. Michael Imhof, Gutachter und Experte für Behandlungsfehler, beschäftigt sich auf der Leinwand mit Krankheit, Heilung und der Schönheit des Lebens.“
    Malen zur Medizin: Dr. Michael Imhof, Gutachter und Experte für Behandlungsfehler, beschäftigt sich auf der Leinwand mit Krankheit, Heilung und der Schönheit des Lebens.“ Foto: Foto: ALICE NATTER

    Das Bild hat etwas Symbolhaftes, Archaisches. Unten ein Dreieck in Gold, darin ein Kreis. Erwachsend daraus ein Rückgrat aus blauen Quadraten, rote Rippen drum herum. Und oben in mattgelb ein zellförmiges Oval mit opalblauem Kern. Ein paar Haare wie Nerverfasern. Oder Nervenfasern wie Haare?

    Man muss nicht wissen, dass die griechische Schrift auf dunklem Grund neben der Figur eine Passage des Eids des Hypokrates ist. Den medizinischen Bezug des Bilder erkennt man auch so. Rippenbögen, Nervenzellen, das Verständnis des Arztes. „Ich will die ungeheure Kraft der Lebensmaterie zeigen“, sagt Michael Imhof, der Maler, der Mediziner. „Die Bewegung der Zellen, Geist, Zeit, Neuronen – das ist mein Thema.“

    Der Arzt wird zum Maler

    Viele Jahre lang war Michael Imhof Oberarzt an der Universitätsklinik in Würzburg. Sein Spezialgebiet: entzündliche Darmerkrankungen und Onkologie. Man sieht eine Menge als Chirurg an der Universitätsklinik, erlebt eine Menge Leid. Erlebenisse, die prägen und nahe gehen. Die Mediziner gehen professionell damit um. „Aber manches bleibt dann doch“, sagt Michael Imhof. „Es gibt Menschen, die werden vom Schicksal geschurigelt. Ich habe mich immer gefragt: Wo ist der Sinn?“.

    Vor 20 Jahren, beim Urlaub an der Nordsee, ließ ihn der „wahnsinnige“ Himmel dort nicht mehr los. „Ich muss das jetzt malen“, sagte sich der Würzburger Arzt – und begann. Erst brachte er den Nordseehimmel auf die Leinwand. Dann seine Gedanken, Fragen über das Leben, die Natur der Dinge, das Menschsein, über Krankheit und Heilung. Über das Wechselspiel von Gutem und Bösen. Er versucht hinter allem den Sinn, das Schöne hinter dem Hässlichen zu sehen. Und sei es in der Gallenblase. „Die Anatomie, das ist Harmonie“, sagt der 60-Jährige Chirurg. „Wenn sie die Gallenblase präparieren, das ist Schönheit.“

    Stammzellen, in denen die Möglichkeiten des Lebens steckt, arbeitet der 60-Jährige mit goldfarbenem Sand und Acryl auf die Leinwand. Auf kräftigem Blau leuchten gelb Nervenzellen – „Geist im Netz“, hat Michael Imhof das Bild genannt. Er malt Moleküle, Antikörper und weiße Blutkörperchen in Bewegung. Er bringt die Grundbausteine des Lebens in Rot, Blau, Gelb zum Leuchten. Und er malt Menschen als Maschinenwesen, die zu Objekten der „neuen, schönen Medizinwelt“ geworden sind. Menschen, die bedroht sind vom „biotechnologischen Totalzugriff“.

    Risiken moderner Medizin

    Michael Imhof blieb nicht im Operationssaal, nicht in der Klinikmaschinerie. Nach zwölf Jahren als Oberarzt an der Uniklinik ließ er sich in Lengfeld mit eigener Praxis als Berater für Behandlungsfehler und Medizinrecht nieder. Er erstellt Gutachten, wenn Knie- oder Hüftendoprothesen falsch implantiert wurden, wenn sich nach einem Eingriff das Bauchfell entzündete, wenn Patienten lebenslang unter einem falsch verordneten Medikament zu leiden haben. In seinen Büchern und Ratgebern gibt er Einblick in die schwierigen Auseinandersetzungen der Patienten mit Ärzten, Kliniken, Versicherungen und Gerichten und Schadensersatz und Schmerzensgeld.

    Mit Risiken und Nebenwirkungen der modernen Medizin beschäftigt sich der Fachmann für „Kunstfehler“ und Ärztepfusch eben auch in seinen Gemälden. Vorzwei Jahren begleitete er den Deutschen Chirurgenkongress in München mit einer Ausstellung. Einige seiner großformatigen Bilder sind derzeit in den Vivantes-Kliniken in Berlin zu sehen. „Krankheit ist Chaos, Katastrophe, aber auch Chance zugleich“, sagt Michael Imhof. „Auch in den glänzenden supermodernen, hotelähnlichen Hight-Tech-Kliniken wird immer noch gelitten und gestorben.“ Die Medizin müsse angesichts der Komplexität von Leben und Krankheit bescheiden bleiben, dürfe den Menschen nicht „zum Wohle der Technik und der eigenen Bereicherung ausnutzen“, sagt Imhof – und mahnt mit dem Pinsel.

    Kunst und Medizin

    Und er fasst seine Sorge um die Medizin auch in Worten: Immer wieder schreibt Michael Imhof für das Feuilleton der FAZ, bespricht Bücher. Sitzen im Wartezimmer heute auch die Gesunden? Verändern die Ökonomisierung und der wachsende Gesundheitsmarkt die Aufgaben der Medizin? Gerät das Lindern von Leid aus dem Blickfeld? Medizinische Wissenschaft, Philosophie und Ethik, Malerei – für Michael Imhof ist das „immer eine Einheit“. Der Kalender für 2012, den der Schultz-Kirchner Verlag mit Bildern des Würzburger Arztes gerade herausgebracht hat, hat denn auch einen schlichten Titel: „Kunst & Medizin“. Auf dem Titelbild? Die archaisch wirkende Figur mit roten Rippenbögen und der Zelle als Kopf.

    Kunst und Medizin – Kalender 2012, Schulz-Kirchner Verlag, 29,99 €

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