Bei der Wahrheitssuche müssen sich die Richter am Landgericht Würzburg im Prozess um den Mord am türkischen Wirt Edip Saraç wie Sisyphus fühlen: Mühsam rollen sie Verhandlungstag für Verhandlungstag den Fall auf und hören dabei Zeugen, die immer wieder sagen: "Das weiß ich nach 26 Jahren nicht mehr."
Bekannte des Opfers haben vieles vergessen oder wollen sich nicht mehr erinnern. Allein an diesem Montagmorgen, am vierten Tag, hörte man das mehr als ein Dutzend Mal. Dabei hat das Gericht noch rund 40 Prozesstage vor sich.
Geduldig versucht die Justiz dennoch, das Beziehungsgeflecht in der türkischen Gemeinde in Würzburg zu entwirren. Die Frage: Wer hatte ein Motiv, am 5. Januar 1999 den Gastwirt mitten im Lokal vor seinen Gästen zu erschießen?
Angeklagter Sohn schweigt - und ruft von Zeugen provoziert zwei heikle Sätze
Auf der Anklagebank sitzt der 67 Jahre alte Geldverleiher, der beschuldigt wird, seinem Sohn mit dem Tötungsauftrag losgeschickt zu haben. Der heute 49-Jährige ist wie der Vater wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt. Beide schwiegen zunächst eisern. Doch dann provozierte ein Zeuge in der vergangenen Woche - mit wenig schmeichelhaften Charakterisierungen des Opfers - einen Zwischenfall vor Gericht.
Es kam zu lautstarken, hitzigen Wortgefechten zwischen Angehörigen des Wirts und dem mutmaßlichen Schützen. Der Angeklagte ließ sich einer Zuhörerin zufolge zu zwei erregten Sätzen auf Türkisch Richtung Sohn und Enkel des Getöteten hinreißen: "Ich war es nicht", soll er der Prozessbeobachterin zufolge gesagt und dann einen anderen Namen genannt haben.
Gericht erwartet von Zeugin, die hinhörte, "keine neuen Erkenntnisse"
Die heikle Aussage zu einem anderen Schützen war offenbar zunächst im Geschrei im Saal untergegangen. Sie wurde vom Gericht nicht protokolliert, die Verhandlung war zeitweise unterbrochen. Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster gab die Angabe der Zuhörerin deshalb aus Gründen der Transparenz an diesem Montag im Prozess allen Beteiligten bekannt.
In einer ersten Bewertung betonte der Richter: Er sehe derzeit keinen Anlass, von sich aus dieser Aussage nachzugehen oder die Zuhörerin als Zeugin zu vernehmen. Er erwarte davon "keine neuen Erkenntnisse" für die Klärung des Mordfalles. Offenkundig geht er von einer Schutzbehauptung und einem Ablenkungsversuch des Angeklagten aus.
Drei mögliche Männer genannt: Wer drohte 1999 dem Wirt?
Unbekannt ist der genannte Name indes nicht. Zeugen zufolge soll der Wirt selbst zwei Tage vor dem Mord nach Drohanrufen drei Männer genannt haben, denen er einen Anschlag auf sich zutraute: den jetzt angeklagten Geldverleiher, seinen hoch verschuldeten, inzwischen verstorbenen Freund und eben den jetzt genannten türkischen Geschäftsfreund. Mit diesem soll der Wirt zeitweise Streit gehabt haben.

Das Problem: Dieser Geschäftsfreund aber ist ebenfalls inzwischen gestorben. Stattdessen sind der Geldverleiher und sein damals 23 Jahre alter Sohn angeklagt. Saraç hatte dem Verleiher gegenüber für einen Kredit seines Freundes gebürgt. Als die Rückzahlung stockte, soll es der 67-Jährige laut Anklage leid geworden sein, immer wieder zu mahnen. Zwei Tage vor dem Mord hatte der Wirt dann im Januar 1999 bei der Polizei Anzeige erstattet: Der Sohn des Geldverleihers habe ihm am Telefon mit Mord gedroht.
Schwestern sollen aussagen: Alibi des Angeklagten wurde fraglich
Doch der Beschuldigte bekam ein Alibi von seiner damaligen Freundin: Er sei zur Tatzeit bei ihr gewesen. Erst 25 Jahre später stellten seine zwei Schwestern, die sich um ihr Erbe betrogen fühlten, dies vor der Polizei infrage. Das damalige Alibi sei nur erfunden.
Mit Spannung wird die Aussage der Schwestern des mutmaßlichen Schützen im Laufe des Februars erwartet. Der Prozess am Landgericht Würzburg wird am Montag, 27. Januar, fortgesetzt.