Daniela F. wirkt gefasst. "Ich verstehe selbst nicht, warum ich noch nicht komplett zusammengeklappt bin", sagt sie immer wieder. "Vielleicht, weil dafür gerade kein Platz ist. Jetzt gerade muss ich kämpfen." Ruhig erzählt die 43-Jährige aus Höchberg bei Würzburg gegenüber der Redaktion, wie ihr Leben in den vergangenen Wochen komplett aus dem Takt geraten ist. Sei fast neun Wochen hat Daniela F. ihren achtjährigen Sohn und ihre sechsjährige Tochter nicht gesehen.
Der Vater der beiden Kinder, ein Afghane, hatte sie für einen Urlaub in die Türkei mitgenommen. Weder er, noch die Kinder kehrten bislang zurück. Die Staatsanwaltschaft Würzburg und das Polizeipräsidium Unterfranken bestätigten in dieser Woche: Gegen den Mann wird international wegen Kindesentziehung ermittelt.

Zu Beginn der Pfingstferien Mitte Mai habe ihr Noch-Ehemann die beiden gemeinsamen Kinder bei ihr abgeholt, erzählt Daniela F.. Sie und der Mann lebten seit 2022 getrennt, ein Scheidungsverfahren laufe. Zwar hätten sie und der Vater der Kinder das gemeinsame Sorgerecht. Über das sogenannte "Aufenthaltsbestimmunsgsrecht" verfüge aber nur sie, sagt die 43-Jährige. Der Sohn ist schulpflichtig, das Mädchen soll im September eingeschult werden.
Ehepaar stand schon wegen geplanter Reisen vor Gericht
"Mir war nie wohl dabei, wenn er mit den Kindern in den Urlaub gefahren ist. Ich hatte schon länger die Befürchtung, dass er irgendwann nicht mehr mit ihnen zurückkommt", sagt Daniela F.. Im Sommer 2023 stand sie deswegen mit dem Noch-Ehemann an ihrem früheren Wohnort Frankfurt vor dem Familiengericht.
Eine Einwilligung zu einer Auslandsreise hatte sie dem Vater zunächst verwehrt, er hatte dagegen geklagt. In einer eidesstattlichen Versicherung nannte Daniela F. vor dem Familiengericht diverse Gründe für ihre Befürchtung. Das Schreiben liegt der Redaktion vor, darin heißt es: "Ich befürchte, dass Herr ... die Kinder außer Landes bringen wird und nicht mehr zurück kehrt."
Das Gericht hingegen habe gegen eine Auslandsreise des Vaters mit den Kindern nichts einzuwenden gehabt, sagt die Mutter. "Mir blieb nur zuzustimmen, sonst hätte das Gericht geurteilt, dass er mit ihnen verreisen darf." Widerwillig stimmte sie einem Vergleich zu.
Zwei Mal sei der Afghane danach mit den Kindern in arabische Länder gereist - und wiedergekommen. "Mein Gefühl, dass irgendwann etwas Schlimmes passiert, konnte ich nie ablegen. Dazu kenne ich ihn zu gut und habe zu viel Vorgeschichte erlebt", sagt die berufstätige Mutter. Der Redaktion gegenüber schildert sie eine konfliktreiche Vergangenheit, berichtet von Drohungen des Mannes ihr gegenüber. Schon vor der Trennung habe er geplant, mit ihr und den Kindern in ein islamisches Land überzusiedeln. Immer wieder sei das Anlass für Streit zwischen ihnen gewesen.
Sprachnachricht des Vaters: Mit den Kindern im Nahen Osten - und er kommt nicht zurück
Als die Pfingstferien starten, habe sie sich von ihrer Tochter und ihrem Sohn mit "einem schlechten Gefühl" verabschiedet. Ein paar Tage habe sie noch sporadischen Kontakt mit dem Vater gehabt, dann sei er abgerissen, sagt die Höchbergerin.
Dann eine Sprachnachricht, der Vater macht klar: Er hat die Kinder, er ist nicht wie vereinbart in der Türkei, sondern in einem anderen Land im Nahen Osten - und er wird nicht mehr zurückkommen. Mal spricht er von Afghanistan, mal von Iran, dann bricht der Kontakt ab.
Daniela F. geht zur Polizei, erstattet Anzeige. Die Ermittlungen werden aufgenommen, der Fall landet bei der Kripo. "Hier wird auf Hochtouren ermittelt", sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken am Donnerstag. Auch die Würzburger Staatsanwaltschaft bestätigt, dass ermittelt wird - und zwar weltweit.
In Höchberg ist die Anteilnahme groß: "Uns kennt man hier als Dreiergespann"
Bevor Daniela F. den Schritt in die Öffentlichkeit wagt, igelt sie sich ein: "Ein paar Wochen lang habe ich kaum jemanden im Ort was gesagt und die Kinder in Schule und Kindergarten krankgemeldet und auf die Ermittlungen der Polizei gehofft." Sie sagt: "Irgendwie schämt man sich ja auch. Man will nicht zu den Menschen gehören, denen so etwas passiert." Sie habe gedacht, dass der Vater sich an ihr rächen wolle, die Kinder bald wiederbringe - und "irgendwann zur Vernunft kommt". Mittlerweile "habe ich diese Hoffnung aufgegeben".
An die Öffentlichkeit brachte die 43-Jährige den Fall erst in dieser Woche. Immer öfter sei sie in Höchberg angesprochen worden, warum man die Kinder im Ort nicht mehr sehe. "Uns kennt man hier als Dreiergespann, wir gehören zusammen", sagt sie. "Irgendwann hab ich allen Mut zusammengenommen und in die Schul- und Kindergartenverteiler in Höchberg geschrieben, dass meine Kinder entführt wurden."
Die Anteilnahme unter den Höchbergern sei "riesig". Viele Leute, gerade Mütter gleichaltriger Kinder, seien auf sie zugekommen: "Wir kennen uns nicht und sie bieten trotzdem Hilfe in dieser komplett hilflosen Situation an."
Die Mutter hat jetzt eine Spendenkampagne im Internet gestartet. Sie will Geld sammeln, um zusätzlich zu den polizeilichen Ermittlungen einen Privatdetektiv einzuschalten. "Ich möchte einfach nichts unversucht lassen." Über 90 Leute haben in den ersten Tagen rund 3000 Euro gespendet. Tag und Nacht rattere ihr Kopf, wie sie es schaffen könnte, den Aufenthaltsort ihrer Kinder herauszufinden, sagt Daniela F.. "Ich bin voller Adrenalin und gleichzeitig fokussiert. Vermutlich bin ich deshalb auch noch nicht komplett durchgedreht."
Besonders bedrückend für die Mutter: die Stille daheim
Daheim, allein, hält sie es nicht lange aus: "Zuhause ist es so leise. Wenn man zwei Kinder im Grundschulalter hat, ist es eigentlich nie leise, es gibt immer was zu tun. Und jetzt ist da seit Wochen einfach Stille."
Ihre Familie und ihre Freunde geben ihr gerade großen Halt, sagt die 43-Jährige. Den brauche sie auch. "Denn wenn ich kurz innehalte, begreife ich: Mein Sohn kichert nicht mehr im Treppenhaus, wenn er mit seinem Freund zur Schule aufbricht. Und da steht eine funkelnagelneue Büchertasche in unserer Wohnung für meine kleine Tochter, die eigentlich im September ein Höchberger Schulkind werden soll."