Der Fasching kennt viele Narreteien. Doch wo lassen Bonbon-Salven gerne Sektgläser zerspringen lassen? In der Heidingsfelder Klingenstraße – bei Dagmar Pfriem. Seit über 25 Jahren betreibt Pfriem dort eine Praxis für Krankengymnastik, die an jedem Faschingsdienstag zur Narrenstube wird.
Dann gibt's Sekt und Krapfen statt Massage, Luftballons und Luftschlangen statt Dehnübungen. Die Pfriemsche Praxis im ersten Stock ist eine beliebte Loge, wenn der Hätzfelder Faschingszug in der Klingenstraße auf die Zielgerade geht. Doch nach dem Zug ist mit dem Straßenfasching, der heuer sein närrisches Jubiläum von 111 Jahren feiert, noch lange nicht Schluss. Dafür sorgt nicht zuletzt die Hätzfelder Traditions- und Lästerfigur „Die Alte“.
„Hier ist die Hölle los“, beschreibt Priem das Treiben in der Klingenstraße, das sie mit Freunden und Bekannten auch an diesem Faschingsdienstag wieder in der ersten Reihe erleben wird, wenn die Fensterfront wieder Treffpunkt wird – vom jubelnden Narrenvolk und besagten Bonbon-Salven aus den vorbeifahrenden Zugwagen. Dass sich die Süßigkeiten werfenden Faschingsjünger „bei mir besonders ins Zeug legen, liegt auf der Hand“, sagt Pfriem. Schließlich ist die Krankengymnastin die Frau von Gilde Giemaul-Chef Benni Jensen. Mit ihm war sie vor acht Jahren zudem das Giemaul-Paar, also oberste Regentin im Hätzfelder Fasching.
Wie dieser nach dem Zug weitergeht? Die Narren – Zugteilnehmer wie Zuschauer – strömen dann zum Feiern in zahlreiche Lokalitäten wie in das Gasthaus „beim Seppi“, in die Giemaul-Schänke, zu den Freien Turnern in die Eisenbahnstraße, zur Turngemeinde, zum Gilde Giemaul-Vereinsheim Schulzenmühle und nicht zuletzt zum beliebten Treffpunkt Winzerkeller beim Zehnthof.
Auch Dagmar Pfriem und ihre Faschingsrunde gehen dann auf die Piste, während es manche nach dem Zug auch gedämpfter angehen – in privater Runde. Bei Helga Beck zum Beispiel trifft sich traditionell eine Damengruppe bei Sekt und Kaffee.
Auch wenn „im Städtle“ eine Menge los ist, bis um Mitternacht der Fasching beerdigt wird, ging's früher noch viel wilder zu. Und derber. Das berichtet jedenfalls Jochen Ohlhaut, ein Urgestein des Hätzfelder Faschings. 50 Jahre, von 1949 bis 1999 war er in der Zugleitung aktiv.
Wieso es früher wilder war? Mal davon abgesehen, dass es noch viel mehr Wirtshäuser, wie beispielsweise die früherer Narrenhochburg Reuterskeller, gegeben habe, sei halt viel mehr improvisiert worden und spontan gelaufen. Doch immer mehr Vorschriften beim Faschingszug und den Wagen, verstärkte Alkoholkontrollen und nicht zuletzt die Faschingsferien, die für einen Besucherschwund sorgten, hätten die wilden Zeiten etwas weniger wild werden lassen.
Deshalb will Ehrenzugleiter Ohlhaut aber nicht jammern oder meckern: „Es wird immer noch genügend gefeiert.“ Und noch immer gibt es eine traditionelle Besonderheit im Hätzfelder Fasching: „Die Alte“. Dahinter verbergen sich Frauen wie Männer, die in der Maske und im Gewand von alten Weibern von Wirtshaus zu Wirtshaus und Hätzfelder durch den Kakao ziehen. „Die Alte nimmt so manchen mit derben Späßen auf die Schippe, lästert ordentlich ab und klaut den Leuten gern ihren Schoppen“, erzählt Ohlhaut.
Früher hatten „Die Alte“, die gruppenweise durchs Städtle ziehen – früher auch öfters in Wohnungen einfielen – dazu einen kleinen Schlauch, um den Wein aus des Nachbars Glas abzuzapfen. Heute nehmen „Die Alte“ dazu einen Strohhalm.
„Jeder Hätzfelder ist eigentlich irgendwann mal ,Alte' gewesen, sagt Ohlhaut. Und wenn nicht, dann träumt er offenbar ein Leben lang davon. Er habe jedenfalls einen 90-jährigen getroffen, der den Wunsch hatte, wenigstens noch einmal „Alte“ zu sein. Wer sich hinter den Kostümen verbirgt, das wird erst bei der Faschingsbeerdigung deutlich, wenn sich die „Alte“-Truppe demaskiert.
Auch Dagmar Pfriem und ihre Narrenrunde hatten schon Besuch von„Die Alte“. Für sie ein doppelter Grund die Sektgläser in Sicherheit zu bringen. Damit sie kein Lästermaul leer saugt. Und damit sie nicht wieder in Bonbon-Salven zerspringen.