Der Gerbrunner Ehrenbürger Otto Fehrer (1912 bis 1994) spielte offenbar eine größere Rolle im Nationalsozialismus (NS) als bisher bekannt. Das haben Recherchen des promovierten Historikers Martin Finkenberger ergeben, der jetzt die NS-Karriere des ehemaligen Gerbrunner Bürgermeisters (1956 bis 1978) vom Eintritt in die Sturmabteilung (SA) bis hin zu seiner hauptberuflichen Tätigkeit für das nationalsozialistische Regime untersucht hat. Dass Fehrer dabei an einflussreichen Stellen saß, war bislang weniger bekannt. Seine Erkenntnisse hat Finkenberger im Ort vorgestellt. Als "Kleinigkeiten" hat sie ein Bürger nach dem Vortrag abgetan. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt der Historiker, den sozialen Aufstieg Fehrers im NS-Regime und weshalb er kein "gewöhnlicher" Mitläufer war.
Frage: Otto Fehrer ist seit 45 Jahren Ehrenbürger Gerbrunns. Warum haben Sie sich denn jetzt mit seiner NS-Vergangenheit beschäftigt?
Martin Finkenberger: Das war eher Zufall. Ich bin in Gerbrunn aufgewachsen, meine Eltern leben noch dort. Bei einem Besuch fiel mir die 1990 veröffentlichte Ortschronik auf und aus Neugierde habe ich darin geblättert. Weil ich selbst Historiker bin, hat mich das 20. Jahrhundert interessiert. Dabei ist mir aufgefallen, dass es einige Leerstellen gibt, die insbesondere Gerbrunn während der NS-Zeit betreffen. Das hat mich neugierig gemacht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es darüber nichts zu berichten gäbe.
Das erklärt aber nicht, warum Sie sich speziell auf Otto Fehrer konzentriert haben.
Finkenberger: Da kommt ein weiterer Zufall dazu. In einem Buch über Klara Oppenheimer, die seit 1918 in Würzburg als Kinderärztin praktiziert hat und als Jüdin 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, habe ich den Hinweis auf ein Dokument gefunden, das besagt, dass Otto Fehrer, wie es darin heißt, "im Einvernehmen mit dem stellvertretenden Gauleiter" Kühnreich das Haus von Klara Oppenheimer erworben hat. Da bin ich stutzig geworden.
Dass darüber in der Ortschronik nichts steht, ist das eher Zufall oder Absicht?
Finkenberger: Ich würde das darauf zurückführen, dass der Autor der Ortschronik, Georg Palitza, stellvertretender Bürgermeister und ein guter Freund von Otto Fehrer war. Vielleicht hatte er gewisse Hemmungen, seinen langjährigen Bürgermeisterkollegen bloß zu stellen. Das wäre Ende der 1980-er Jahre, anders als heute, ein Politikum gewesen und hätte sicher für ziemliches Aufsehen gesorgt.
Fehrer ist am 1. April 1933 in die NSDAP eingetreten. Blieb er nur einfaches Parteimitglied?
Finkenberger: Nein, und das ist genau der interessante Punkt in Fehrers Biographie. Er war, sieht man von einer kurzen Phase nach Kriegsbeginn 1939 in der Wehrmacht ab, während der ganzen NS-Zeit von 1933 bis Mai 1945 ein hauptberuflicher Parteifunktionär. Er begann bei der Deutschen Arbeitsfront – das war die Organisation, die sich aus dem beschlagnahmten Vermögen der zerschlagenen Gewerkschaften finanziert hat. 1938 wurde er in die Gauleitung der NSDAP befördert, wo er bis zum Leiter des Personalamtes aufstieg. Ein gewöhnliches Parteimitglied war er nicht.
Eine solche Karriere machten damals doch nur jene, die linientreu waren, oder?
Finkenberger: Davon ist auszugehen – und dazu kommt, dass Fehrer schon Anfang 1932 Mitglied der Sturmabteilung (SA) geworden war. Von dort trat er wenig später in die Schutzstaffel (SS) über, die er aber 1934 wieder verließ, angeblich im Streit. Trotzdem ist ein solcher Beitritt als ein Statement zu sehen. Das gilt auch für seinen Austritt aus der katholischen Kirche: Fehrer bezeichnete sich seit 1938 als "gottgläubig", ein Indiz dafür, dass er ein überzeugter Nationalsozialist war. Weshalb er das wurde, lässt sich am ehesten damit erklären, dass die NS-Zeit Fehrer, der aus ärmlichen Verhältnissen kommt, eine Chance zum sozialen Aufstieg bot, die er nutzte.

Welchen Einfluss hatte Fehrer im Nationalsozialismus?
Finkenberger: Fehrer war einige Jahre Ortsgruppenleiter der NSDAP in Gerbrunn und seit 1938 hauptberuflich tätig im Apparat der Gauleitung der NSDAP in Mainfranken. Damit war er alles andere als ein "kleines Licht". Seine direkten Vorgesetzten waren der Gauleiter und dessen Stellvertreter. Das konterkariert auch seine Aussagen nach dem Krieg, in denen er versucht hat, sich als ein kleines Rädchen im großen Betrieb darzustellen. Das war er gerade nicht, im Gegenteil: Als Leiter des Personalamtes hatte Fehrer sogar eine Schlüsselposition inne.
Nach Ihrem Vortrag in Gerbrunn kam von einem Zuhörer der Vorwurf, Sie würden nur Kleinigkeiten über Fehrer vorbringen. Sie stellen ihn aber als aktiven und gesinnungstreuen Nazi dar. Also doch keine Kleinigkeiten?
Finkenberger: Dass ein Zuhörer versucht hat, Fehrers Wirken aufzuwiegen und damit die NS-Zeit als "Kleinigkeit" abzutun – das habe ich auch vernommen. Aber mir geht es gar nicht darum, Fehrers Tätigkeit als Bürgermeister und seine Erfolge seit 1956 für Gerbrunn infrage zu stellen. Mir geht es darum, seine Gesamtbiografie zu betrachten, auch, weil Fehrer Ehrenbürger der Gemeinde ist. Und dazu gehören eben auch seine Funktionen zwischen 1933 und 1945 in der Deutschen Arbeitsfront und der Gauleitung der NSDAP. Das lässt sich nicht als Kleinigkeit abtun.
Hat er auch vom System profitiert?
Finkenberger: Durchaus. Fehrer hat sich, salopp gesagt, 1942 das Haus von Klara Oppenheimer unter den Nagel gerissen. Er hat sich also das Vermögen einer in den Tod deportierten Jüdin angeeignet. Das ist schon ein sehr fragwürdiger Vorgang.

Wie ging denn Fehres Weg nach der NS-Zeit weiter?
Finkenberger: Fehrer stand den neuen politischen Verhältnissen noch längere Zeit ablehnend gegenüber. 1948 wurde er aus dem Internierungslager entlassen und als "Mitläufer" entnazifiziert. Dennoch hat er sich erst einmal in Kreisen bewegt, in denen sich ehemalige Parteigänger und lokale Funktionäre der Nazis gesammelt haben. Das war die Sozialistische Reichspartei (SRP), die 1949 gegründet worden ist. Als sie 1952 verboten wurde, fand bei Fehrer eine Hausdurchsuchung statt. Denn nach Ansicht der amerikanischen Sicherheitskräfte, die diese Netzwerke aufmerksam beobachteten, war er einer der maßgeblichen Akteure der SRP in Würzburg.
Was meinen Sie persönlich als Gerbrunner: Kann Fehrer mit dieser Vergangenheit Ehrenbürger bleiben?
Finkenberger: Das muss der Gemeinderat entscheiden. Ich habe nur meine Analyse als Historiker dazu beigetragen. Zumindest aber würde ich empfehlen, dass Fehrers Porträt nicht als das einzige im Gerbrunner Ratssaal hängen sollte. Es gibt ja noch andere Ehrenbürger. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn diese Galerie erweitert wird. Im Fall von Fehrer wäre es sicher auch angebracht, wenn seine Biografie vor 1956 erläutert wird. Denn Geschichte lässt sich ja nicht ausradieren, indem Bilder abgehängt werden.

Zur PersonDr. Martin Finkenberger studierte an der Universität Würzburg und der FU Berlin Politikwissenschaft und Neuere Geschichte. Er ist promovierter Historiker und seit vielen Jahren berufstätig in Bonn. Kindheit und Jugend hat er in Gerbrunn verbracht und hier bis Ende 1993 gewohnt.Quelle: tf