Aschaffenburg/Würzburg

Nitrat im Grundwasser: Wie gut ist Unterfrankens Messnetz?

Ist unser Grundwasser tatsächlich mit zu viel Nitrat belastet? Viele Landwirte befürchten, dass falsch gemessen wird. Was das zuständige Wasserwirtschaftsamt dazu sagt.
Die Stadtwerke Gemünden arbeiten im Stadtteil Seifriedsburg mit Landwirten zusammen, um das Trinkwasser zu schützen und die Nitratwerte nicht steigen zu lassen: eine von 60 freiwilligen Kooperationen zwischen Wasserversorgern und Landwirten in Unterfranken.
Foto: Michael Mahr | Die Stadtwerke Gemünden arbeiten im Stadtteil Seifriedsburg mit Landwirten zusammen, um das Trinkwasser zu schützen und die Nitratwerte nicht steigen zu lassen: eine von 60 freiwilligen Kooperationen zwischen ...

Wird Deutschland von der EU zu Unrecht für zu viel Nitrat im Grundwasser verklagt? Tausende Landwirte gehen wegen der neuen Düngeverordnung auf die Barrikaden. Neben verschärften Vorgaben, was künftig beim Düngen erlaubt ist, sollen noch strengere Regeln für Landwirte gelten, deren Äcker in "roten Gebieten" liegen. Dort haben die Wasserwirtschaftsämter den Zustand des Grundwassers als schlecht eingestuft, weil das Wasser zu viel Nitrat enthält.

Viele Landwirte bezweifeln die Aussagekraft der Messungen. Gemessen werde schlampig und an zu wenigen Stellen, die obendrein nicht repräsentativ und zu nah an der Oberfläche seien, so die Vorwürfe der Vereinigung "Land schafft Verbindung". Das Wasserwirtschaftsamt in Aschaffenburg beurteilt seit Jahren die Qualität des Grundwassers in den Landkreisen Würzburg, Main-Spessart, Kitzingen, Aschaffenburg und Miltenberg. Was sagen der Leiter des Amtes, Herbert Walter, und  Klaus Maslowski, Fachbereichsleiter technische Gewässeraufsicht, zu den Vorwürfen? 

Herbert Walter, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Aschaffenburg
Foto: Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg | Herbert Walter, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Aschaffenburg
Frage: Herr Walter, Herr Maslowski, wie entscheiden Sie, an welchen Stellen Sie unser Grundwasser prüfen?

Herbert Walter: Das Grundwasser wurde im Zuge der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) bis Mitte der 2000er-Jahre in möglichst einheitliche Grundwasserkörper eingeteilt. Unterschiedliche Gesteinsarten oder Wasserscheiden spielen dabei eine Rolle. Bayern hat mit der Donau im Süden und dem Main im Norden zwei große Wassereinzugsgebiete. Unterfranken hat Anteile an 45 Grundwasserkörpern. Für jeden Grundwasserkörper gibt es bis zu sieben staatliche Messstellen, die repräsentativ die Qualität dieses Wasserkörpers abbilden. Auf Basis dieser Messergebnisse wird bewertet, ob sich der Grundwasserkörper in gutem oder schlechtem Zustand befindet.

Ob die Messstellen repräsentativ sind, darüber wird heftig gestritten.

Klaus Maslowski: Die Messstellen wurden so ausgewählt, dass sie die jeweiligen Nutzungen – also Ackerbau, Wald und Siedlungen – anteilig widerspiegeln. Für die Auswahl gibt es festgelegte Qualitätskriterien. Darüber hinaus wird regelmäßig geprüft, ob die Messstellen noch geeignet sind – also, ob ihr Anschluss an den Grundwasserkörper noch gut ist oder ob sich in ihrem direkten Umfeld etwas geändert hat. So können wir herausfinden, ob das Wasser im Untergrund zum Beispiel mit Nitrat belastet ist.

Klaus Maslowski, Fachbereichsleiter technische Gewässeraufsicht
Foto: Wasserwirtschaftsamt Aschaffenburg | Klaus Maslowski, Fachbereichsleiter technische Gewässeraufsicht
Auch eine Streitfrage: Gibt es genügend Messstellen?

Walter: Um den Grundwasserkörper als Ganzes zu beurteilen, war das Messnetz bisher schon geeignet. Um allerdings kleinteiliger die stärker belasteten Bereiche von weniger belasteten unterscheiden zu können, brauchen wir mehr Messstellen, vor allem aber mehr Daten zu den Nitratgehalten im Boden. In einem ersten Schritt werden noch in diesem Jahr 100 zusätzliche Messstellen ausgewählt und beobachtet.

Ist das ein Eingeständnis, dass es zu wenig Daten gibt, um die Nitratbelastung des Grundwassers zu belegen?

Maslowski: Nein. Die Entscheidung, ob ein Grundwasserkörper in einem schlechtem Zustand ist, wird zwar auf Basis der staatlichen Messwerte getroffen. Doch in dem Moment, in dem ein roter Punkt auf der Karte auftaucht, also der Mittelwert der Nitratwerte aus zwei Jahren an dieser Messstelle über 50 Milligramm pro Liter liegt, wird anhand von bis zu drei weiteren Schritten geprüft, ob das Messergebnis plausibel ist. Wir schauen, ob man aufgrund weiterer Erkenntnisse zu einer anderen Bewertung kommt. So greifen wir insbesondere auf die Daten der Wasserversorger zurück. In Bayern wurden 9500 Messstellen der Wasserversorger ausgewertet, in Unterfranken rund 1150.

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (FW) versprach kürzlich in Iphofen (Lkr. Kitzingen) protestierenden Bauern, das Messnetz transparenter zu machen und die "Black Box zu beerdigen". Die Landwirte forderten, künftig bei allen Messstellen mitreden zu dürfen. Wie finden Sie das?

Walter: Transparenz ist wichtig, selbstverständlich stellen wir uns der Kritik. Die Wasserrahmenrichtlinie ist als transparenter Prozess angelegt. Öffentlichkeit und Verbände sollen einbezogen werden. Auf der Internetseite des Landesamts für Umwelt sind alle Berichte zur Wasserrahmenrichtlinie veröffentlicht, auch die Karten der Messstellen. Aktuell werden noch mehr Daten verfügbar gemacht. Zum Beispiel sind jetzt auch die Einzelmesswerte für Nitrat online abrufbar.

Was ist dran an dem Vorwurf, dass Sie immer dort messen, wo die Werte besonders schlecht sind?

Maslowski: Wenn wir über die Qualität eines Grundwasserkörpers urteilen, machen wir es uns nicht einfach. Die Messstellen sind möglichst repräsentativ verteilt und zielen nicht auf punktuelle Belastungsschwerpunkte ab. Es gibt in Unterfranken immerhin 30 Grundwasserkörper in gutem Zustand und 15, in denen die Nitratwerte zu hoch sind.

Wird in Deutschland zu nah an der Oberfläche gemessen?

Maslowski: Es wird das oberste Grundwasserstockwerk bewertet, wie von der EU-Wasserrahmenrichtlinie gefordert. Ergänzend ermitteln die Fachleute des Bayerischen Landesamts für Umwelt auch den Nitratgehalt im Sickerwasser. Das ist das Wasser, das in die Tiefe geht, wenn es regnet. In die Berechnung fließen viele Faktoren ein: Wie viel Nitrat nehmen die Pflanzen auf? Wie viel wird als Stickstoff in die Luft abgegeben? Wie viel geht in den Humusaufbau? Anhand dessen, was am Ende übrig bleibt, wird berechnet, wie hoch die Konzentration an Nitrat im Sickerwasser ist und wo Schwerpunkte der Belastung liegen.

Weshalb gibt es in einem "roten" Grundwasserkörper, also einer Fläche, in der der Wasserkörper als belastet gilt, überhaupt grüne Punkte, also Messstellen mit guter Wasserqualität und umgekehrt?

Walter: Rot heißt: Über die Gesamtfläche gesehen ist der Grundwasserkörper mit Nitrat belastet. Das bedeutet nicht, dass es überall an jedem Punkt des Wasserkörpers so ist! Die Stadt Würzburg liegt zum Beispiel mitten in einem roten Wasserkörper. Ihre Wasserversorgung hat aber kein Nitratproblem.

Ein anderer Vorwurf ist, es werde schlampig gemessen. Zu Recht?

Maslowski: Wir messen in belasteten Grundwasserkörpern zwei Mal im Jahr, an einer Stelle bis zu 200 Parameter. Bei Schwermetallen, Pflanzenschutzmitteln oder Industriechemikalien bewegen wir uns im Spurenbereich. Da ist Sorgfalt immens wichtig. Diejenigen, die die Proben nehmen, sind speziell geschult. So darf zum Beispiel keine Flasche geöffnet werden, wenn in der Nähe ein Stromaggregat läuft. Die Proben werden in zertifizierten Laboren gemessen. In unserem Amtsbezirk ist Nitrat der einzige Stoff, der Probleme macht, was die Qualität des Grundwassers angeht.

Wie können Sie so sicher sein, dass das Nitrat aus der Landwirtschaft kommt?

Walter: Nitrat findet man immer dort, wo intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen liegen. In bewaldeten, von Menschen weitgehend unbeeinflussten Gebieten wie etwa im Spessart und im Odenwald ist das Grundwasser im grünen Bereich. Dort werden Werte um die fünf Milligramm Nitrat pro Liter Wasser gemessen. Durch intensive Landwirtschaft hat sich mancherorts dieser natürliche Hintergrundwert mehr als verzehnfacht.

Woher kommt das Nitrat in Unterfranken?

Maslowski: Das Nitrat stammt aus der Düngung, die zum Anbau der verschiedenen Kulturen notwendig ist. Im Aschaffenburger Raum werden vor allem Mais, Getreide und Kartoffeln angebaut. Im Würzburger Norden, speziell Oberpleichfeld, Unterpleichfeld und Bergtheim, kommen Sonderkulturen wie Gemüse dazu. Auch im Kitzinger Raum werden Wein, Gemüse und Sonderkulturen angebaut.

Düngen unterfränkische Landwirte stärker als Landwirte andernorts?

Walter: Definitiv nein. Doch wie schnell sich Nitratkonzentrationen im Grundwasser verringern, hängt auch von den Niederschlägen und den Böden ab. Hier ist Unterfranken im Nachteil: Böden mit geringer Rückhaltefunktion sowie sehr geringe Mengen an Grundwasser, die sich pro Jahr neu bilden, sorgen dafür, dass die Nitratgehalte im Sickerwasser höher sind als andernorts. Es dauert somit länger, bis belastetes Grundwasser "verdünnt" wird. Grundwasser hat ein langes Gedächtnis. In Unterfranken müssen wir in Zeiträumen von zehn bis 30 Jahren und mehr denken.

Das heißt, die Aufregung derzeit ist groß, doch das Problem ist seit 30 Jahren bekannt?

Walter: Schon 1980 hat man gewusst, dass in bestimmten Gebieten das Grundwasser stark mit Nitrat belastet ist. Als die Bundesregierung 1986 festgelegt hat, dass Trinkwasser maximal 50 - und nicht, wie früher 90 - Milligramm Nitrat pro Liter enthalten darf, hat man beispielsweise in Aschaffenburg in den 90er-Jahren eine Aufbereitungsanlage gebaut. 

Ist die neue Düngeverordnung, die ja erst 2017 verschärft wurde, nicht absurd, wenn man erst nach so langer Zeit eine Verbesserung der Grundwasserqualität feststellen kann?

Maslowski: Nein, man benötigt jedoch ohne Zweifel einen langen Atem.

Walter: Erfolge sind jetzt schon sichtbar: Wo Wasserversorger mit Landwirten freiwillige Kooperationen eingehen, Landwirte weniger düngen und für ihren Minderertrag Ausgleichszahlungen von den Wasserversorgern erhalten, hat sich die Qualität des Grundwassers verbessert. Das Problem: Diese Kooperationen beschränken sich auf die Einzugsgebiete der Wasserversorger. Die Grundwasserkörper sind aber wesentlich größer.

Wie wird das Grundwasser in Unterfranken gemessen?
In Deutschland gibt es zwei staatliche Messnetze: das Messnetz der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und das der EU-Nitratrichtlinie. Unterfranken hat für beide Netze zusammen 80 staatliche Messstellen. 
Viele Messstellen haben mehrere Funktionen: 63 sind "Überblicksmessstellen", anhand derer die Qualität der Grundwasserkörper beurteilt wird. 46 der insgesamt 80 Messstellen dienen als "operative Messstellen" an Grundwasserkörpern, die in einem schlechten Zustand sind. Sie werden zwei Mal im Jahr geprüft. 18 Messstellen werden für die Einhaltung der EU-Nitratrichtlinie herangezogen.
Darüber hinaus greifen die Wasserwirtschaftsämter in Unterfranken auf die Daten von rund 1150 weiteren Messstellen - überwiegend von Wasserversorgern - zurück. 
 
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    Man muß mir mal erklären, warum wir deutlich mehr Fleisch in Deutschland produzieren als wir verbrauchen, um dann mit der Gülle unser Trinkwasser zu verseuchen.
    In Unterfranken spielt sicher der geringe Niederschlag und die massive, zum Teil unkontrollierte Düngung im Weinbau eine zusätzliche Rolle.
    Zum großen Teil sind die nitratbelasteten Stoffe ja noch gar nicht im Grundwasser sondern auf dem Weg dorthin.
    Wollen wir solange warten bis wir unser Trinkwasser nur noch in Plastikflaschen für teueres Geld kaufen können?

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