Immer mehr Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Doch in vielen Heimen bleiben sogar Plätze leer - weil nicht genug Personal da ist. Die Zahlen zu bundesweit fehlenden Pflegekräften reichen von derzeit rund 100.000 bis zu prognostizierten 500.000 im Jahr 2030. Verlässliche Daten fehlen, aber der Mangel ist eklatant.
Caritas-Geschäftsführer fordert Beschleunigung und Vereinfachung
Abhilfe könnten Pflegende aus dem Ausland schaffen. Bis sie aber wirklich ihren Dienst antreten können, müssen sie einen bürokratischen Spießroutenlauf absolvieren, heißt es bei der Caritas in Unterfranken. Er koste Zeit, Geduld und viel Energie: "Die Verfahren müssen dringend vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert werden", mahnt Georg Sperrle, Geschäftsführer der Caritas-Einrichtungen.
Die Caritas geht mit spezialisierten Agenturen verstärkt auch in die internationale Anwerbung. Zum einen, weil man die Not der Familien bei der Versorgung von Pflegebedürftigen sehe, sagt Sperrle. Daneben gebe es wirtschaftliche Gründe: Ein Heim, das mangels Personal nicht ausgelastet ist, lässt sich nicht kostendeckend betreiben.

Die staatliche Anwerbung im Ausland aber läuft bisher zäh. Im Juni wollen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien fliegen und um Pflegekräfte werben. Absprachen gibt es mit Indonesien und Mexiko. Von dort stammen Xanat Castro und Hector Rodriguez. Auf Initiative der Caritas kamen die beiden studierten Fachkräfte nach Würzburg und arbeiten seit wenigen Wochen im Caritas-Seniorenzentrum "Bischof-Scheele-Haus".
Hinter ihnen liegt ein beschwerlicher Weg mit zig Behördengängen, Nachweisen, Dokumentationen. Urkunden und Bestätigungen zählten oft nur im Original oder als beglaubigte Abschriften und mussten auf dem Postweg geschickt werden. Ein ganzes Jahr, sagt Sperrle, ging durch die Bürokratie verloren.

Sperrle und Heimleiter Sven Vinzens sind dankbar, dass die 27-Jährige und der 30-Jährige den Aufwand auf sich genommen haben. Zwei weitere Pflegekräfte aus Mexiko sind seit April da. Eigentlich hatte die Caritas zwölf Fachkräfte holen wollen - bis Februar 2022. Dass es bei einem Drittel blieb, mit mehr als einem Jahr Verspätung – ein Indiz für die Systemmängel.
Das vor zwei Jahren gestartete Förderprogramm "Faire Anwerbung Pflege Deutschland" des Bundesgesundheitsministeriums war schon nach wenigen Wochen ausgeschöpft. Von 6000 Euro, die als Förderung pro Pflegekraft aus Mexiko in Aussicht standen, erhielt die Caritas Unterfranken nur die Hälfte. Dabei ist die Anwerbung auch für die Träger ein Kraftakt. Auf 10.000 bis 12.000 Euro beziffert Sperrle die Vermittlungskosten pro Person. Auch bei der Wohnungssuche hilft die Caritas.

Castro und Rodriguez leben jetzt in einer WG in Rottenbauer, hoffen auf Freunde und Anschluss - und den Sommer. Täglich sprechen sie über Video-Anrufe mit ihren Familien, manchmal überkomme sie etwas Heimweh. Was sie besonders vermissen? "Die mexikanische Küche."
Anwerbung von Pflegekräften soll Problem nicht in Herkunftsländer verlagern
Noch arbeiten die beiden nur an zwei Tagen pro Woche im Seniorenzentrum, an den anderen besuchen sie an der Kolping-Akademie einen Deutschkurs für Pflegekräfte. Um ein Visum zu bekommen, mussten sie bereits in Mexiko Deutsch lernen – mit Sprachniveau B1 für die Alltagsverständigung. Über das Internet waren sie auf das Jobangebot in Deutschland aufmerksam geworden. Die Caritas, versichert Personalentwicklerin Helena Garz, werbe nur in Ländern mit einem Überhang an Arbeitskräften. Man wolle nicht Lücken woanders reißen.

Castro und Rodriguez waren in ihrer Heimatstadt Veracruz als Krankenpfleger in einem Hospital beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit sei in Mexiko auch im Pflegebereich hoch, berichten sie. Ihre Tätigkeit in der Klinik sei deutlich medizinischer gewesen. Im Würzburger Seniorenheim gehe es bislang vor allem um die Grundpflege, etwa beim Waschen und Anziehen.
Finanziell habe sich der Schritt gelohnt: In Mexiko kamen beide auf 500 bis 600 Euro Monatslohn. In Deutschland werden sie als Pflegefachkräfte etwa das Fünffache verdienen und unterstützten damit - wie so viele internationale Arbeitskräfte - auch ihre Familien in der Heimat.

Bei der Caritas sieht man die Pflegenden aus dem Ausland als großen Gewinn – für die betreuten Menschen wie für die Belegschaft: "Wir wollen Vielfalt gestalten", sagt Sperrle. Und ohne die ausländischen Pflegekräfte "würde die Pflege schon heute zusammenbrechen".
Viele kommen auch selbst, ohne Anwerbung, vor allem aus osteuropäischen Ländern. Und immer öfter gehen geflüchtete Menschen in die Pflege. Für sie fordert Sperrle flächendeckend gute Sprachkurse. Beschäftigte wie Arbeitgeber bräuchten mehr Rückhalt von den Behörden: klare Bleibeperspektiven und einen länger gesicherten Aufenthalt.

Die zugewanderten Pflegekräfte müssen ihre Fachkenntnisse nachweisen, bisher gleichen die Bezirksregierungen die eingereichten Zeugnisse mit der deutschen Ausbildung ab und erlassen Defizitbescheide". Was an Qualifikation fehlt, muss innerhalb einer bestimmten Frist nachgeholt werden. Dazu gibt es Anpassungslehrgänge, etwa bei Kolping.
Anerkennung ausländische Pflegekräfte soll ab Juli schneller gehen
Ab 1. Juli läuft die Anerkennung ausländischer Pflegekräfte in Bayern zentral beim Landesamt für Pflege. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) erhofft sich dadurch eine "einheitliche, digitalisierte und zügige Verfahrensabwicklung". Auch bei der Einreise und im Aufenthaltsrecht setzt er auf Beschleunigung, Behörden sollen besser zusammenarbeiten.
Der unterfränkischen Caritas wäre es nur Recht. Sie will weitere Pflegekräfte im Ausland anwerben. Zehn weitere sollen im Herbst über das Bundesprogramm "Triple Win" von den Philippinen kommen, sagt Geschäftsführer Sperrle. Anfang nächsten Jahres dann 13 Fachkräfte aus Indien.
Internationale Pflegekräfte in DeutschlandDer Anteil der Pflegekräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit hat sich laut Bundesagentur für Arbeit von acht Prozent in 2017 auf 14 Prozent in 2022 nahezu verdoppelt. Der Anstieg ist vor allem auf Drittstaaten außerhalb der EU und der Schweiz zurückzuführen. Die meisten der 244.000 ausländischen Pflegekräfte kommen aus Polen, Bosnien und Herzegowina, Türkei, Rumänien sowie Kroatien.Auch die Zahl der geflüchteten Menschen, die in Deutschland in der Pflege tätig werden, ist deutlich gestiegen. Den aktuellsten Zahlen zufolge waren im Juni 2022 insgesamt 20.000 Pflegekräfte aus einem der acht zuzugsstärksten Asylherkunftsländer in der Pflege tätig, vor der Flüchtlingszuwanderung im Jahr 2015 waren es weniger als 2000.Schleppend läuft dagegen die Anwerbung durch die Bundesagentur für Arbeit: Sie hat laut Bundesgesundheitsministerium im vergangenen Jahr gerade einmal 656 Pflegekräfte aus dem Ausland nach Deutschland vermittelt, 250 von ihnen kamen von den Philippinen.Quelle: BA