"Wie wäre das für dich, wenn deine Partnerin dir sagen würde: 'Deinen besten Freund fand ich schon immer anziehend. Mit dem würde ich gern mal schlafen?' Bei der Frage muss Phillip herzhaft lachen. "Solange ich mit dabei bin", sagt er grinsend und ergänzt: "Witzigerweise fände ich es mit Freunden sogar besser – sharing is caring".
Phillip ist 27 Jahre alt und studiert an der Universität Würzburg. Ungewöhnlich findet er seine sexuelle Orientierung nicht: "Es gibt solche und solche Menschen. Für die einen sind Sex und Liebe leicht voneinander zu trennen und andere können das gar nicht." Phillip fällt die Trennung nicht schwer. Schon in seiner ersten Beziehung hat er gemerkt, dass er sexuell mehr ausprobieren möchte und neugierig ist. Damals war er 22 Jahre alt. Heute geht er ganz offen mit seinem Beziehungsmodell um: Er bezeichnet sich selbst als "polyamor".
Polyamorie oder sexuell geöffnete Beziehung?
Hinter dem abstrakten Wort steckt eine einfache Erklärung. Es setzt sich aus dem griechischen Begriff "poly", was übersetzt "viel" oder "mehrere" bedeutet, und dem lateinischen Wort "amor" - "Liebe" - zusammen. Polyamorie ist ein Überbegriff für verschiedene Beziehungskonzepte, in denen die Intimität zwischen zwei Menschen auf mehrere Personen ausgeweitet wird.
Der ehemals in Würzburg tätige Soziologe Sven Lewandowski würde die Beziehungspräferenz von Phillip jedoch eher als "sexuell geöffnete Beziehung" bezeichnen. Er arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Sexualforschung, mittlerweile an der Universität Bielefeld, und erklärt: "Bei Polyamorie liegt die Betonung auf 'Amorie'. Ich würde sagen, dass Polyamorie da anfängt, wo eine gleichzeitige Liebesbeziehung zu mehreren Personen geführt wird." Dass sich Phillip trotzdem als polyamor bezeichnet, erklärt sich der Experte durch die gesellschaftliche Stigmatisierung. "Polyamorie bezieht sich auf die Liebe und gegen Liebe kann man heutzutage schlecht argumentieren." Bei sexuellen Neigungen würden Menschen häufiger gesellschaftliche Ablehnung erfahren als bei der Rechtfertigung über ihre Gefühle.
Die sexuelle Öffnung einer Liebesbeziehung habe er schon öfter beobachten können, sagt Lewandowski. Bei seinem aktuellen Forschungsprojekt zu amateurpornografischen Praxen falle ihm immer häufiger auf, "dass es eine sexuelle Öffnung bei Leuten gibt, von denen man es nicht erwarten würde". Dies seien häufig Menschen im mittleren Erwachsenenalter, um die 40 Jahre. Treue werde dann für einige Paare nicht mehr in erster Linie auf die Sexualität bezogen: "Das Exklusive liegt hier möglicherweise im Emotionalen und nicht mehr im sexuellen Beziehungsbereich."
Phillip ist besonders das "Wir" in der Beziehung wichtig
Mit dieser Definition kann sich auch Phillip identifizieren, denn ihm ist Treue, Vertrauen und Kommunikation in einer Beziehung sehr wichtig. Er will die romantische Beziehung auf seine Partnerin und sich begrenzen: "Ich will ihre Nummer eins sein", gibt er zu. "Ich finde, eine offene Beziehung unterscheidet auf emotionaler Ebene nicht viel von monogamen Beziehungen. Es geht darum, dass zwei Menschen Gefühle füreinander haben, sich aufeinander einlassen und versuchen, das Beste daraus zu machen."
Sexuelles und Emotionales trennt Phillip dabei strikt. Obwohl er den Platz im Herzen seiner Freundin nicht mit jemandem teilen möchte, gelten für das Bett andere Regeln: "Ich möchte, dass man gemeinsam etwas unternimmt, kleine Privatpartys oder Swingerclubpartys. Worauf wir halt Lust haben."

Wir - dieses Wort fällt immer wieder. Denn einseitig funktioniert eine Beziehung für Phillip nicht. Dennoch gebe es viele Menschen, die seine Vorstellungen von Beziehungen stigmatisierten. Mit Vorwürfen wie "Du willst doch nur nicht treu sein" oder "Du bist ein Aufreißer und Macho" kann Phillip nicht viel anfangen. "Jeder Mensch hat doch seine eigene Sexualität und Vorlieben. Das ist meine", sagt er – und noch etwas ist ihm sehr wichtig: "Was für mich gilt, gilt auch für meine Partnerin. Das ist nichts, was nur in eine Richtung funktioniert."

Auf Menschen mit ähnlicher Denkweise wie Phillip trifft auch Christina Domene Moreno bei ihrer Tätigkeit als Koordinatorin des Würzburger Poly-Stammtisches. "Bei unserem Stammtisch tauschen sich hauptsächlich Menschen aus der Region aus, die schon länger polyamor leben." Mit Blick auf die Gesamtgesellschaft meint Moreno: "Ich würde schon sagen, dass sexuell geöffnete Beziehungen tatsächlich sehr häufig vorkommen." Lediglich darüber sprechen würden nicht viele, da Sexualität eher etwas Privates ist. "Wenn ich polyamor lebe, dann ist das nach außen sichtbar, aber wenn ich mit meinem Partner zusammen in den Swingerclub gehe, dann muss das niemand wissen."
Gerade junge Menschen gehen Beziehungen offener an
Phillip sieht das weniger eng. Er spricht gern und offen über Sex. Auch, weil er sich von einer potenziellen Partnerin wünscht, dass diese seine Vorstellungen von einer offenen Beziehung teilt. Eine solche Frau zu finden, sei jedoch gar nicht so einfach, wie der Student zugibt. Heutzutage sei es ohnehin nicht leicht, eine funktionierende Beziehung zu führen. Zwanghaft auf der Suche nach einer festen Partnerin ist Phillip allerdings nicht. Denn mit einer Frau zusammen zu sein, nur weil sie seine Beziehungsansichten teilt, möchte der 27-Jährige nicht. Vor ein paar Jahren hat Phillip schon einmal eine "sexuell geöffnete Beziehung" geführt. Irgendwann hätte da jedoch die emotionale Komponente einfach nicht mehr gepasst, sagt er.
Dass sich gerade junge Menschen häufig für eine offene Beziehung entscheiden, überrascht Moreno vom Poly-Stammtisch Würzburg keineswegs. "Das sind dann vielleicht andere Gründe als bei den Menschen in den Vierzigern, die dahinter stecken." Viele junge Menschen möchten sich ihrer Einschätzung nach nicht festlegen und Freiheiten haben.
Vom Heiraten hält Phillip nicht viel
In früheren, monogamen Beziehungen sei er immer treu gewesen, sagt Phillip. Er habe aber klar kommuniziert, dass er auf Gruppensex stehe. Im Laufe der Zeit habe er aber gemerkt, dass er in einer solchen Beziehung nicht mehr glücklich leben kann. Vom Heiraten hält der Student nicht viel, Kinder hingegen könne er sich mit der richtigen Partnerin vorstellen. Eine sexuell geöffnete Beziehung und Kinder - für Phillip ist das kein Widerspruch.

An seine eigene Kindheit erinnert sich der 27-Jährige gern zurück. Obwohl ihm eine feste Vaterfigur fehlte, habe er ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter und den Geschwistern. "Die wissen, dass ich nicht so monogam lebe", sagt er. Offen darüber sprechen würde er allerdings nicht mit ihnen. Über Sex sei bei ihm zu Hause nicht gesprochen worden und auch eine intime monogame Beziehung habe er in seinem Elternhaus nicht vorgelebt bekommen.
Vielleicht ist es Phillip deshalb so wichtig, vorgelebte Muster zu durchbrechen. Denn über Sex spricht der 27-Jährige so entspannt wie andere Menschen über das Wetter. Mit rund 85 Frauen habe er schon geschlafen, sagt der Würzburger. Am Klientel im Swingerclub und auf anderen Gruppenpartys schätzt er besonders den von Respekt geprägten Umgang. Seinen ersten Swingerclub-Besuch beschreibt Phillip als "Befreiung". Er habe dabei gelernt, dass "Fantasie nicht Fantasie bleiben muss".
Poly - Was? Verschiedene Beziehungsmodelle im ÜberblickPolyamorie beschreibt eine Form des Liebeslebens, bei der die Beziehung für mehrere Personen geöffnet ist. Dahinter steckt die Idee, dass mehrere Personen gleichzeitig geliebt werden können. Dabei können die Partner jeweils weitere, voneinander losgelöste Beziehungen führen, aber auch eine Gruppenbeziehung, bei der alle Liebenden emotional miteinander verbunden sind. Die Grundidee von Polyamorie ist, dass alle Beteiligten voneinander wissen. Polygamie bezeichnet die klassische Viel-Ehe, die in Deutschland verboten ist. Eine Eheschließung ist hierzulande nur zwischen zwei Personen erlaubt. Es gibt aber auch Länder - insgesamt über 40 - wie zum Beispiel die Philippinen, Saudi-Arabien oder Indonesien, wo die Mehrfach-Ehe erlaubt ist. Dabei kann sowohl ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet sein (Polygynie) als auch eine Frau mit mehreren Männern (Polyandrie).Monogamie steht für eine Beziehungsform, die man ausschließlich mit einem einzigen Partner teilt und die in Deutschland die gesellschaftlich am weitesten verbreitete und akzeptierteste ist. Bei der Monogamie ist die Beziehung zweier Personen zueinander immer exklusiv - sowohl sexuell als auch emotional.Offene Beziehung: Das Modell beschreibt eine sexuell nicht exklusive Beziehung zwischen zwei Personen. Dabei können die Partner unabhängig voneinander sexuelle Kontakte haben oder sexuelle Erfahrungen mit mehreren Beteiligten gemeinsam erleben. Auch hier gilt: Beide Partner wissen von der sexuellen Öffnung, sind damit einverstanden und tauschen sich - wenn gewünscht - über die Erlebnisse außerhalb der Beziehung aus.Free Love / Freie Liebe: Ein Begriff, der ursprünglich in den 1970er-Jahren geprägt wurde und damals eine Bewegung bezeichnete, die forderte, dass Frauen nicht mehr zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse sexuelle Beziehungen eingehen und heiraten müssen. Dabei geht es um sexuelle Offenheit vor und außerhalb der Ehe - in welcher Form auch immer. Personen der Bewegung setzen sich dafür ein, sich von gesellschaftlich festgelegten Beziehungskonzepten zu lösen.Beziehungsanarchie steht für die Nicht-Hierarchisierung von Beziehungen. Dabei werden alle Arten von Beziehungen - zum Beispiel Freundschaften, andere platonische Beziehungen oder Liebesbeziehungen - als gleichbedeutend angesehen und keine über die andere gestellt. Die Ausprägung aller zwischenmenschlichen Beziehungen richtet sich in diesem Konzept nach den Bedürfnissen der Beziehungspartner.Quelle: Christina Domene Moreno, Koordinatoren Poly-Stammtisch Würzburg