Sie schafft richtige Kunstwerke für die Kirche. Was durch ihre Hände geht wird zu etwas Besonderem: einem prachtvollen Messgewand, einer bestickten Stola oder auch zu einem anderen textilen Gegenstand für den liturgischen Gebrauch. Jetzt aber surrt die Nähmaschine von Schwester Justilla Weiß nur noch gelegentlich. Denn die Paramentenwerkstatt der Oberzeller Franziskanerinnen muss schließen, weil das Kloster für die anspruchsvolle Tätigkeit keinen Nachwuchs mehr unter den Schwestern gefunden hat.
Liturgische Gewände
Wie Altäre und Kanzeln gehören das Gewand des Priesters, die Stola oder der Wandteppich zu Kirchen. Die liturgischen Gewänder werden nach Maß gefertigt und zum Teil bestickt. Reichhaltig ist das Angebot an Alben, Caseln, Tuniken für Priester und Diakone. Nach eigenen Entwürfen haben die Ordensfrauen Gewänder und Stolen bestickt. Darunter gibt es einige wertvolle Unikate. Schwester Justilla schöpft aus einem jahrzehntealten Erfahrungsschatz, denn die Ordensschwester hat sich über 60 Jahre ausschließlich diesem Kunsthandwerk gewidmet.
Neben handwerklichem Geschick in der Kunst der Paramentenherstellung, wie das textile Kunsthandwerk im Bereich der Kirche bezeichnet wird, sind nach Auffassung von Schwester Justilla Gespür für Formen, Farben, Muster und Materialien sowie die Kenntnis der Tradition unerlässlich. „Für die Arbeit braucht man feinmotorische Fähigkeiten.“ Und das Wissen um christliche Symbole und den theologischen Gehalt der Feste. Denn im Laufe des Kirchenjahres sind verschiedene Farben für die Gottesdienste bestimmt.
Die Werkstatt im Kloster würde 15 Schneiderinnen Platz bieten. Nun arbeiten dort nur zwei Schwestern – und die sind im hohen Alter. Ab und an kam eine Frau von außerhalb und half aus. Jetzt sind die Schwestern meist zu zweit. Der Grund: Der Nachwuchs ist dünn gesät. Deshalb hat die Werkstatt zu gemacht. Der Gemeinschaft ist die Entscheidung nicht leicht gefallen, da mit der Schließung eine über 160-jährige Tradition zu Ende gehe. Eigentlich hatte der Orden für Nachwuchs gesorgt. Doch die für die Arbeit ausgebildete jüngere Schwester hat die Gemeinschaft wieder verlassen.
Bedarf geht zurück
Gibt es außerhalb des Klosters keine Möglichkeit, andere Menschen für den Betrieb zu beschäftigen? Man wolle niemanden einstellen, weil es ein Bereich sei, der nicht so viele wirtschaftliche Früchte trage, erklärt Generaloberin Schwester Katharina Ganz. Denn mit der Zusammenlegung der Pfarreien gehe auch der Bedarf an Paramenten zurück, die Nachfrage werde geringer.
Und wie sieht es mit weltlichen Aufträgen aus? Denn neben kirchlichen Gewändern haben die Ordensfrauen auch Fahnen für Vereine hergestellt. „Ich freue mich immer, wenn ich eine unserer Fahnen bei der Fronleichnamsprozession in Würzburg sehe“, sagt Schwester Sigharda Müller. Die 78-Jährige arbeitet erst seit 1999 in der Werkstatt mit. „Ich bin eine Späteinsteigerin“, scherzt sie. 1999 fragte die damalige Generaloberin bei ihr an, ob sie vier Wochen hier aushelfen könne. Daraus sind 17 Jahre geworden.
Doch auch wenn nach wie vor viele Vereine, ihre Fahnen bei den Ordensschwestern ausbessern lassen wollen, das reicht nicht. Diese Verbände und Organisationen müssen künftig anderweitig nach Werkstätten suchen. In Würzburg gibt es keine mehr, die dieses traditionelle Handwerk anbietet.
Einst gedacht als Weiterbildung
In der Paramentenwerkstatt von Kloster Oberzell wurden seit der Gründung der Kongregation im Jahr 1855 textile Schmuckstücke gefertigt. Zunächst hatten die Ordensfrauen Paramente für den Eigenbedarf hergestellt. Um auch den eigenen Lebensunterhalt zu verbessern und ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein zu erwerben, fertigten die Oberzeller Schwestern laut Schwester Katharina von Anfang an für die Franziskaner-Minoriten in Würzburg solche Arbeiten. Eine Anmeldung als Gewerbebetrieb war nicht notwendig, die Paramentenstickerei wurde als rein klösterliche Arbeit betrachtet.
Einen neuen Weg schlug das Kloster 1930 ein. Im Mutterhaus wurde die besondere Stickerei als Parametenschule mit dem Ziel eröffnet, junge Schwestern auszubilden. Der Hintergrund: Infolge der immer größer werdenden Anforderungen, die die Anfertigung und Ausbesserung von Paramenten an die außenstationierten Handarbeitsschwestern stellte, sahen es die Verantwortlichen des Klosters als notwendig an, den Handarbeitslehrerinnen eine Möglichkeit der Weiterbildung anzubieten. Leiterin Schwester Adolfa Schwappach, hatte vor allem jüngere Schwestern mit Begabung und Talenten ausgebildet und in der Werkstatt eingesetzt.
Eine dieser jungen Frauen war Schwester Justilla, die 1953 in die Werkstatt kam und unter den Argusaugen der Leiterin diese Handwerkskunst erlernte. Seitdem hat sie unzählige wertvolle Behänge für Altäre und Amben sowie kostbare Boden- und Wandteppiche, Stolen und Leinentücher für das Abendmahl genäht und bestrickt. Für ein anspruchsvolles, schmuckes Messgewand mit Stickereien in Handarbeit braucht sie zwei bis drei Wochen.
Weit über Würzburg hinaus gefragt
Die künstlerisch starken Entwürfe der Paramentemeisterinnen des Klosters und die hohe Qualität der angefertigten Messgewänder aus der Werkstatt haben weit über Würzburg hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Überwiegend seien die Aufträge aus der Diözese Würzburg, dem Erzbistum Bamberg und aus dem Nürnberger Raum von Priestern, Diakonen und Pfarreien gekommen. Dabei habe sich in all den Jahren die Arbeitstechniken kaum verändert, erklärt Schwester Justilla. Die Produkte hingegen aber schon. Insbesondere seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterlägen die kirchlichen Gewänder einer Mode.
Hochzeiten der Paramentenwerkstatt der Oberzellerinnen waren laut Schwester Justilla die 1970er und 1980er Jahre. An die 15 Ordensfrauen waren dort beschäftigt. Die beiden verbliebenen Paramentenstickerinnen werden ab jetzt nur noch intern klostereigene Sachen ausbessern. Aufträge von Außen nehmen sie keine mehr an. In Schränken lagern noch Stoffe und Garne in leuchtenden, fein abgestuften Farben und Nuancen. Was tun damit? Im Antonia-Werr-Zentrum in St. Ludwig gibt es eine Damenschneiderin, die Uniformen näht und Borten braucht. Sie soll aussuchen, was sie eventuell verwenden kann, erzählt Schwester Katharina.
Und an ein Kloster in Trier habe man bereits Stoffe und Garne übergeben und dafür eine Spende erhalten. „Unser Anliegen ist, dass Messgewänder mit den wertvollen Stoffen hergestellt werden“, so die Generaloberin.
Paramente Textilien, die in der Liturgie und im Kirchenraum verwendet werden nennt man Paramente. Oft sind diese künstlerisch aufwendig gestaltet Der Begriff Paramentik leitet sich vom lateinischen parare mensam (wörtlich übersetzt „den Tisch bereiten“) ab. Einige Klöster fertigen Paramente an und nehmen auch Ausbesserungsarbeiten vor. Paramentenwerkstätten haben ihren Sitz oft in Wallfahrtsorten oder am Bischofssitz einer Diözese beziehungseise Erzdiözese. Im Haus der Seidenkultur, einer früheren Paramentenweberei in Krefeld und im Mutterhaus der Franziskanerinnen in Gengenbach (Baden-Württemberg) befinden sich ein Kunst- und Paramentenmuseum.