Sansibar – schon der Name verheißt Magisches, Mystisches, Märchenhaftes. Wie ein Märchen aus 1001 Nacht hört sich auch die frühe Geschichte der Prinzessin Sayyida Salme an. Geboren am 30. August 1844 als Tochter des Sultans Bargash ibn Said und einer seiner zahlreichen Nebenfrauen verbrachte sie eine unbeschwerte Kindheit in Luxus und Reichtum – zunächst auf einem riesigen Landsitz inmitten herrlichster Natur zwei Kilometer außerhalb der Stadt. Hier wohnten der Sultan (wenn er nicht gerade in seinem riesigen Stadtpalast war) zusammen mit seinen 73 Nebenfrauen und 36 Kindern, betreut und versorgt von etwa 800 Bediensteten. Später zog Salme dann mit ihrer Mutter in einen eigenen Palast in der Stadt. Dort veränderte sich ihr Leben in eine völlig unerwartete Richtung.
Sansibar war im 19. Jahrhundert ein wichtiger Umschlagplatz für den Handel zwischen Europa, Afrika und dem Orient. Vor allem der Handel mit Gewürzen war ein einträgliches Geschäft, und so waren auch einige deutsche Handelshäuser mit Niederlassungen in Sansibar vertreten. Eines Hansing & Co. aus Hamburg, das von dem jungen Kaufmann Heinrich Rudolph Ruete vertreten wurde, ehe er in Sansibar eigene Unternehmen gründete und leitete.
Ruete wohnte unmittelbar neben Salmes Stadtpalast, und die junge Prinzessin wurde wohl Augen- und Ohrenzeugin so manch fröhlichen Gelages der Geschäftsleute, die fern der Heimat meist ohne ihre in Deutschland zurückgelassenen Familien lebten. Ruete und die Prinzessin lernten sich kennen, kamen einander näher und verliebten sich.
Das war im streng muslimischen Sansibar des 19. Jahrhunderts schon Tabubruch genug. Eine Heirat zwischen der muslimischen sansibarischen Prinzessin und dem christlichen hanseatischen Kaufmann: ein Ding der Unmöglichkeit. Doch es kam noch schlimmer. Denn die 22-jährige Salme wurde schwanger. Ein riesiger Skandal bahnte sich an, und die Prinzessin befand sich in allergrößter Gefahr, denn ihre Schwangerschaft war nach islamischem Recht eine Todsünde.
Seit 1856 war Salmes Halbbruder Majid, zu dem sie stets ein vertrauensvolles Verhältnis pflegte, Sultan von Sansibar und Oman. Er wusste von der Affäre, schwieg aber zunächst. Und er wollte seiner Schwester eine Chance geben.
Die aber hatte inzwischen ganz andere Pläne. Sie hatte sich entschlossen, ihre große Liebe Heinrich zu ehelichen und mit ihm ein europäisches Leben in Deutschland zu führen. Und für Ruete war klar, dass er Sansibar verlassen musste. Sultan Majid erlaubte ihm noch, seine Geschäfte zu ordnen und ließ ihn nach Aden ausreisen.
Auch die schwangere Prinzessin konnte nicht in ihrer geliebten Heimat bleiben. Ihr drohte die Steinigung. Ihr blieb nur die Flucht. Am 24. August 1866 floh sie bei Nacht und Nebel mit dem britischen Kriegsschiff „Highflyer“ nach Aden. Dort brachte sie am 7. Dezember ihren Sohn Heinrich jr. zur Welt.
Im April 1867 ließ sich die Prinzessin taufen und nahm nach der Hochzeit mit Heinrich in Aden den bürgerlichen Namen Emily Ruete an. Seinen ersten Sohn sollte Heinrich Ruete sen. nicht mehr lebend sehen. Er starb, bevor Ruete in Aden eintraf. Es sollte nicht der letzte Schicksalsschlag des Paares sein.
Das junge Ehepaar Ruete siedelte danach nach Hamburg über, wo Heinrich wieder seinen Geschäften nachging. Beide wohnten in einer stattlichen Villa. Am 24. März 1868 wurde Tochter Antonie Thawka Ruete geboren, am 13. April 1869 kam Rudolph Said-Ruete zur Welt und am 16. April 1870 die zweite Tochter Rosalie Guza Ruete.
Aber schon bald meinte es das Schicksal abermals nicht gut mit der Familie Ruete: Vater Heinrich verunglückte am 6. August 1870 tödlich, als er beim Abspringen von einer Pferdebahn überrollt wurde. Seither gilt er in Hamburg als einer der ersten Verkehrstoten.
Für Emily Ruete brachen nun ganz schwere Zeiten an. Die deutschen Behörden verweigerten ihr das Erbe ihres verstorbenen Mannes. Ebenso wurden alle von ihr angemeldeten Ansprüche auf ihre Besitzungen in Sansibar abgelehnt. Dort war inzwischen Sultan Bargash, der Bruder von Majid, an der Macht, der jegliche Kontaktaufnahme mit seiner Schwester verweigerte.
Bei einem Staatsbesuch in London ließ er sie ebenso wenig zu sich vor wie bei zwei Reisen nach Sansibar, die Emily 1885 und 1888 unternahm. Die Menschen in Sansibar jubelten ihr zu, während ihr Bruder ihr die die kalte Schulter zeigte.
Aber auch in Deutschland entwickelten sich die Dinge nicht gut für die Prinzessin, die versuchte ohne Beruf und Ausbildung ein bürgerliches Leben fern der Heimat zu führen. Mehrfach musste sie Wohnort und Wohnung wechseln, weil das Geld knapp wurde, denn sie musste ja auch ihre drei Kinder groß ziehen. So wohnte sie, nachdem sie Hamburg verlassen hatte, unter anderem in Dresden, Berlin, Darmstadt, Rudolstadt und Jena. Zwischenzeitlich lebte sie auch in Beirut und in Jaffa.
Im Deutschen Reich, das Kolonialziele in Ostafrika verfolgte, wurde sie zum Spielball politischer Interessen. Bismarck bediente sich ihrer, um die deutschen Vorstellungen im Rahmen deutsch-britischer Gebietsstreitigkeiten durchzusetzen. Aber nachdem alle Schwierigkeiten durch die Berliner Kongokonferenz und den späteren Helgoland-Sansibar-Vertrag ausgeräumt waren, ließ die deutsche Politik Emily Ruete sang- und klanglos fallen.
Mit Arabischunterricht versuchte sie, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Als zusätzliche Einnahmequelle erwies sich ihr 1886 erschienenes Buch „Memoiren einer arabischen Prinzessin“, das ursprünglich gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Es sollten lediglich Erinnerungen über das Leben im Sultanspalast für ihre Kinder sein. Von diesem Leben hatte sie ihren Kindern bis dato nichts erzählt.
Das Buch wurde in Deutschland ein Bestseller, wie man heute sagen würde, lieferte es doch erstmals umfassende und authentische Einblicke über den Alltag an einem arabischen Sultanshof. Später veröffentlichte Emily Ruete mit „Briefe nach der Heimat“ noch ein zweites Buch, in dem sie sich kritisch mit ihrer zweiten Heimat Deutschland auseinandersetzt.
In Deutschland wurde Emily Ruete nie wirklich glücklich. Sie vermisste die Sonne und den Strand, das Meer und die Palmen, ihre Freunde und Verwandten. In der hanseatischen Kaufmannsgesellschaft blieb die Araberin eine Einzelgängerin und Außenseiterin. Auch zur christlichen Religiosität hat sie nie wirklich Zugang gefunden. Lediglich ihr Buch bescherte ihr eine gewisse Aufmerksamkeit.
In ihren Memoiren zog sie schließlich eine traurige und bittere Bilanz ihres Lebens, das am 29. Februar 1924 in Jena endete: „Ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche.“ Beigesetzt wurde Emily Ruete auf einem Friedhof in Hamburg. Auf ihrem Grabstein steht: „Der ist im tiefsten Sinne treu, wer die Heimat liebt wie du.“ Denn ihre Heimat Sansibar hat sie nie vergessen. Und so gaben ihr die Angehörigen ein kleines Säckchen, das sie ihr ganzes Leben lang bei sich getragen hatte, mit ins Grab: Darin befand sich Sand vom Strand in Sansibar.
Was ist geblieben von Sayyida Salme alias Emily Ruete? In Sansibar erinnert heute nicht mehr sehr viel an die Prinzessin, obwohl ihre Lebensgeschichte jedem bekannt ist. Der Palast Beit Il Mtoni, in dem sie ihre frühe Kindheit verbrachte, ist nach einem Feuer nur noch eine Anlage aus mehreren Ruinen, aber immer noch ein beliebtes Ausflugsziel.
Der Palast ist vom Verfall bedroht
Auch von Bububu, wo sie nach ihrem Wegzug von Beit Il Mtoni wohnte und die geerbten Nelkenplantagen verwaltete, sind nur noch ein paar Fragmente erhalten. Der Sultanspalast, das „House of Wonders“, ist, obgleich er zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, vom Verfall bedroht. Erst vor kurzem ist ein Teil des Gebäudes eingestürzt. Und im Palastmuseum erinnert nur ein mehr schlecht als recht rekonstruiertes Zimmer an die Prinzessin. Originale Erinnerungsstücke sind dort nicht vorhanden.
Immerhin: Seit Februar 2014 gibt es ein kleines Princess-Salme-Museum in der Altstadt von Stonetown, das von Said Al Gheithy gegründet wurde und von ihm betreut wird. Dort gibt es auf Text- und Bildtafeln viel Wissenswertes und Informatives über die Prinzessin. Al Gheithy bietet auch Führungen und Touren auf den Spuren der Prinzessin an.
Die deutsche Filmemacherin Tink Diaz hat das Leben Salmes in der einstündigen Filmdokumentation „Die Prinzessin von Sansibar“ (2007) nacherzählt, in der auch Nachkommen zu Wort kommen.
Und literarisch hat sich der Schweizer Schriftsteller Lukas Hartmann in seinem 2013 erschienenen Roman „Abschied von Sansibar“ mit dem tragischen Schicksal von Emily Ruete beschäftigt. In dem Buch lässt er ihre Geschichte aus der Perspektive ihrer drei Kinder erzählen, deren Biografien ganz unterschiedliche Verläufe genommen haben, wie in dem lesenswerten Roman beschrieben wird.
Die Fotoausstellung beim Africa Festival in Würzburg
Wer Sansibar im Indischen Ozean erreicht, befindet sich am Tor zu Afrika. Gefangen vom magischen Rhythmus aus Orient und den Gezeiten ist der traumhafte Archipel eine eigene Welt und nimmt den Besucher mit auf seine Reise. Der Fotograf Mario Gerth und seine Frau waren in Sansibar, um alte Traditionen zu por-trätieren. Die Fotografien von Gerth, der als Banker in Deutschland und als Fotograf in Afrika arbeitet, werden in der das Würzburger Africa Festival begleitenden Ausstellung präsentiert, und zwar im Spitäle, Zeller Straße 1, 97082 Würzburg, vom 29. Mai bis 21. Juni. Geöffnet täglich (außer Montag) von 11 bis 18 Uhr. Das Leben von Prinzessin Salme Bücher: Lukas Hartmann: „Abschied von Sansibar“, Roman, Diogenes Verlag Zürich, 2013. Eine sehr lesenswerte Romanbiografie aus der Perspektive der Kinder von Emily und Heinrich Ruete.
Nicole Vosseler: „Sterne über Sansibar“, 2010, 540 Seiten. Das kitschige Titelbild täuscht – ein detailreich geschriebener und leicht zu lesender historischer Roman. Emily Ruete: „Memoiren einer arabischen Prinzessin“, als Neuauflage erschienen unter dem Titel „Leben im Sultanspalast“, Hamburg 2013. Die Memoiren sorgten bei ihrem Erscheinen im Jahr 1886 für viel Aufsehen. Emily Ruete: „Briefe nach der Heimat“, Berlin 1999.
DVD-Dokumentation: „Die Prinzessin von Sansibar“, 60 Minuten, Deutschland 2007, Dokumentarfilm mit Spielszenen von Tink Diaz. Der Film wird am Sonntag, 7. Juni, um 21 Uhr im Arte Kinozelt auf dem Africa Festival gezeigt.
CD: Die Scheibe „Memoirs of an Arabian Princess“ ist 2014 bei dem deutschen Label Winter & Winter erschienen. Liebevoll verpackt und mit vielen Informationen versehen hört man auf ihr die traditionelle Musik Sansibars, wie sie wohl zu Zeiten Prinzessin Salmes geklungen hat. Es spielt der Komponist Rajab Suleiman, einer der bekanntesten Musiker Sansibars, mit seinem Ensemble Kithara und mit anderen Musikern.