Darf ein Bürger Recht brechen, wenn ihm sein Gewissen keine andere Wahl lässt? Diese Frage muss das Amtsgericht Würzburg an diesem Mittwoch, 2. Juni, beantworten. Die Ordensfrau Juliana Seelmann ist angeklagt, weil sie zwei jungen Frauen aus Nigeria in den Jahren 2019 und 2020 im Kloster Oberzell (Lkr. Würzburg) Kirchenasyl gewährte.
"Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt", sagt die Würzburger Staatsanwaltschaft. "Eine Gewissensentscheidung", sagt Schwester Juliana, die sich gegen einen Strafbefehl über 1200 Euro wehrt. Jürgen Heß vom Würzburger Flüchtlingsrat nennt die Ermittlungen eine politisch motivierte "Einschüchterungsstrategie".

Die beiden Nigerianerinnen waren ursprünglich über Italien in die Europäische Union eingereist, wo sie, so schildert es Schwester Juliana, Zwangsprostitution und Gewalt erlebt hätten. Trotzdem wollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die beiden Frauen nach Italien abschieben, weil dort – gemäß den europäischen Dublin-Regeln – ihre Asylanträge hätten bearbeitet werden müssen.
Schwester Juliana: Keine grundsätzliche Kritik am Rechtsstaat
Um die beiden traumatisierten Frauen vor weiterer Gewalt zu schützen, öffnete Schwester Juliana schließlich die Klosterpforte. Das sei jedoch nicht als grundsätzliche Kritik am Rechtsstaat zu verstehen: "Es sind einzelne Härtefälle, in denen ich nach meinem Gewissen und Glauben entscheide", sagt die Ordensfrau.
Der Würzburger Bischof Franz Jung zeigt sich vor dem Prozess solidarisch: "Schwester Juliana hat aus tiefster christlicher Überzeugung gehandelt." Aus seiner Sicht legt das Kirchenasyl "humanitäre Härten im Rahmen des europäischen Asylsystems" offen.

Erst Ende April sprach das Amtsgericht Kitzingen den Benediktinermönch Abraham Sauer in einem vergleichbaren Fall frei. Das Kirchenasyl sei zwar rechtswidrig gewesen, urteilte die Richterin, doch Sauer habe ohne Schuld gehandelt. Unter Juristen wird derweil kontrovers diskutiert, ob sich aus der Glaubens- und Gewissensfreiheit ein strafrechtlicher Entschuldigungsgrund herleiten lässt.