Auf Intensivstationen kämpfen die Teams täglich um Menschenleben. Leiden und Sterben sind Teil des Alltags, nicht erst seit Corona. Die Pandemie aber hat die Arbeit auf den Stationen ins Rampenlicht gerückt, die Bilder von Covid-Patientinnen und Covid-Patienten haben sich eingebrannt. "Es war furchtbar", sagt Dr. Teresa Deffner. Die 38-jährige Psychologin der Intensivstation im Uniklinikum Jena ist Sprecherin der Sektion "Psychologische Versorgungsstrukturen in der Intensivmedizin" der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Ein Gespräch über Ängste, die man nicht nehmen kann, Krisenmanager, die an ihre Grenzen kommen - und Geburtstage auf der Intensivstation.
Frage: Die Pandemie hat die Angst vieler Menschen vor Intensivstationen verstärkt. Wie erleben Sie Patientinnen und Patienten, die auf ihre Station kommen?
Dr. Teresa Deffner: Wenn man sich auf der Intensivstation wiederfindet, ist das zumindest zu Beginn eine Extremsituation und das geht immer mit intensiven Emotionen einher. Natürlich spielen bei vielen Erkrankten Ängste eine Rolle, vor allem, wenn man plötzlich spürt, dass der Körper nicht mehr richtig funktioniert, dass etwa die Atmung oder der Herzschlag stockt. Wichtig ist es, darüber zu sprechen, zu informieren, zu beruhigen und vor allem zu erklären. So können Patientinnen und Patienten ihre Emotionen leichter einordnen. Wir versuchen, als Team Sicherheit zu vermitteln.
Wie nimmt man Menschen die Angst zu sterben, wenn sie real ist?
Deffner: Die existenzielle Angst zu sterben, das ist keine Angst, die wir Patienten mit einem beruhigenden Gespräch nehmen können. Das kann auch nicht das Ziel sein. Wir bieten eine Begleitung an. Dabei geht es darum, solche existenziellen Empfindungen anzusprechen, zu reflektieren und zu überlegen, wo können wir konkret Entlastung schaffen in dem Moment. Todesangst ist ein so existenzielles Gefühl, dass es in erster Linie darum geht, die Menschen zu stützen und nicht alleine zu lassen.

Hat die Pandemie solche Ängste verschärft?
Deffner: Die Pandemie war eine Ausnahmesituation, und wir haben auf der Intensivstation erlebt, dass Covid-Intensivpatienten mehr Angst als andere Intensivpatienten hatten. Denn sie alle sind mit der gleichen Erkrankung gekommen und haben im Nachbarbett gesehen, was ihnen bevorstehen könnte. Hinzu kam die hohe mediale Präsenz der Thematik. Nachvollziehbarerweise hatten Betroffene dann große Angst. Einerseits, weil sie schlecht Luft bekommen haben und Luftnot mit Todesangst einhergeht – andererseits durch die Bilder, die sie im Fernsehen zu Covid-19 gesehen haben. Es war vielen Patienten sehr wohl bewusst, dass ihnen keiner versprechen kann, dass sie nach Beatmung und "künstlichem Koma" wieder wach werden.
Wenn ein geliebter Mensch auf die Intensivstation muss, ist das wahrscheinlich auch für die Angehörigen kaum zu ertragen.
Deffner: Angehörige von Intensivpatienten haben oft eine schwierige Position. Sie sind selbst betroffen, belastet und befinden sich häufig in einer krisenhaften Situation. Zugleich sind sie die Stellvertreter für den Erkrankten und sollen seinen Willen kommunizieren. Das ist sehr anspruchsvoll, weil die Bedürfnisse sich manchmal widersprechen. Natürlich möchte ich den Patienten im Leben halten – aber ich muss gleichsam in der Lage sein, die Perspektive zu wechseln und zu überlegen, was ist in seinem Sinne. Dafür sind oft viele Gespräche mit den Ärzten, Pflegenden und auch uns als Psychologen notwendig, damit Angehörige Entlastung erfahren können.

Aus Ihren Antworten wird deutlich: das Sprechen ist auf Intensivstationen enorm wichtig. Theoretisch kann ja jedes Gespräch das letzte sein. Erdrückt diese Dimension?
Deffner: Ich glaube, das unterstellt man gerne von außen. Meine praktische Erfahrung aber ist eine andere: Erkrankte und ihre Familien haben häufig großes Vertrauen in die Ärzte und Pflegenden und damit die Behandlung auf der Intensivstation. Das bedeutet, dass sie sich trotz oder gerade wegen der Krisenhaftigkeit der Situation oft dem zuwenden, was Hoffnung spendet und sie stützt. Es geht häufig um die primären Bedürfnisse, darum, was im Moment wichtig ist, womit man dem Patienten etwas Gutes tun kann. Für die Erkrankten selbst ist es wichtig, dass die Angehörigen für sie da sind und sie auch als ganzen Menschen, nicht nur in der Rolle als Patient, sehen.
Hat die Pandemie die Gespräche verändert?
Deffner: In der Corona-Pandemie haben wir den Menschen vor dem Legen des Beatmungsschlauches immer noch einmal Kontakt mit ihren Angehörigen angeboten. Und in dieser Situation war es den Menschen sehr wohl bewusst, dass es sein kann, dass sie sich zum letzten Mal sehen oder sprechen. Das war auch für uns als Team sehr berührend. Oft wurde dann zwar wenig gesagt, aber man hat gemerkt, dass ihnen die Dimension dieses Kontaktes so bewusst ist. Das zu erleben fand ich unglaublich schwer, weil diese Momente so häufig gewesen sind.

Wie verkraftet man das? Wie schafft man es, jeden Tag so viele Emotionen zu erleben, auch so viel Leiden und Sterben?
Deffner: Zunächst ist es Teil der Professionalität von Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden. Und es ist nicht in der Pandemie neu aufgetreten, dass Menschen intensive Emotionen bei uns zeigen. Die Mediziner und Pflegenden sind durch ihre Aus- und Weiterbildungen vorbereitet. Dennoch glaube ich, dass bei der Personalfürsorge auf Intensivstationen noch mehr passieren muss. In anderen Bereichen, wie etwa in der Palliativmedizin, wird Mitarbeitergesundheit- und Fürsorge von vorneherein anders mitgedacht. Es gibt verpflichtende Formate wie Supervisionen oder Runden, in denen sich das ganze Team in Ruhe über den Patienten austauschen kann. Das kann eine Entlastungsstrategie sein. Für Intensivstationen braucht es noch viel mehr Angebote und zusätzliches Personal, das bei der psychosozialen Versorgung unterstützt.
"Es war furchtbar. Anders kann man das nicht zusammenfassen."
Dr. Teresa Deffner über die Belastungen während der Hochphase der Pandemie
Bisher gehören nur auf wenigen Intensivstationen in Deutschland Psychologen fest zum Team.
Deffner: Zum Glück werden es mehr – auch, weil in der Pandemie der Fokus auf die Belastungen auf den Intensivstationen gelegt wurde. Ich kann aus eigenem Erleben nur sagen: Es war furchtbar. Anders kann man das nicht zusammenfassen. Es hat sich jeder nach Kräften bemüht, die beste Versorgung zu bieten. Aber allein die Fülle an Patienten, die immer wieder nachgeströmt sind, und die Drastik der Situation haben es wirklich zu einer schweren Erfahrung gemacht. Seitdem gibt es immer mehr Kliniken, die sich freiwillig einen Psychologen auf der Intensivstation leisten. Aber aus unserer Sicht braucht es eine Verpflichtung dazu.
Wie können Mitarbeitende solche furchtbaren Erlebnisse und Bilder wieder loswerden?
Deffner: Ärzte und Pflegende auf Intensivstationen sind Krisenmanager, sie haben das gelernt. Aber bei aller Professionalität gibt es eine Grenze, niemand kann unendlich viele dramatische Situationen pro Tag professionell begleiten. Irgendwann braucht es neben guter sozialer Unterstützung und Angeboten der Personalfürsorge eine zeitliche und räumliche Pause von dem Geschehen, das trägt unmittelbar zur Erholung bei. Genau diese Pausen gab es in der Pandemie jedoch kaum, weil zu viele Patienten da waren. Und wenn dieser Ausgleich nicht möglich ist, kann auch bei gesunden und stabilen Menschen Überlastung auftreten. Was die Bilder angeht, hängt die Wirkung stark von der Art und Weise ab, wie die Patienten begleitet wurden.

Was meinen Sie damit?
Deffner: Die Pandemie war eine Katastrophenlage, aber so eine Situation hat Abstufungen. Wenn alles handhabbar ist und man das Gefühl hat, man kann die Patienten trotz allem fachlich gut versorgen und würdevoll begleiten, ist die Belastung ertragbar. Reichen aber die eigenen Ressourcen nicht oder man hat das Gefühl, Patienten nicht angemessen versorgen zu können, können extreme Belastungen auftreten. Vielleicht macht das ein Beispiel deutlich, von dem ich denke, jede Pflegekraft weiß sofort, wovon ich spreche: Die Covid-Patienten mussten aus Infektionsschutzgründen nach ihrem Tod in spezielle Plastiksäcke gepackt werden. Das konnte enorm belastend sein, weil es die Würde in der Versorgung Verstorbener untergraben hat.
Wie gehen Sie selbst damit um, jeden Tag Menschen in Extremsituationen zu erleben und immer diejenige sein zu müssen, die stark bleibt?
Deffner: In der Tat empfinde ich das als meine Aufgabe. Es ist einfach mein Arbeitsgebiet, dass Menschen in Belastungssituationen zu mir kommen und erwarten, dass ich offen zuhöre. Ich bin ein Stück weit der Container für all das Schwere, was sie empfinden. Wobei ich nicht in erster Linie für das Personal da bin, sondern für die Patienten und Angehörigen. Es muss noch andere Unterstützungsstrukturen für die Mitarbeitenden geben. Ich nutze selbst auch Möglichkeiten zur Supervision und Gespräche, damit die Arbeitsqualität erhalten bleibt.
"Ich bin ein Stück weit der Container für all das Schwere."
Dr. Teresa Deffner über ihre Arbeit als Psychologin
Gibt es auch Patienten, die man nicht vergessen kann?
Deffner: Tatsächlich habe ich viele Erinnerungen an anrührende Interaktionen, an kleine Sequenzen zwischen Patienten und Angehörigen. Wenn beispielsweise eine 75-jährige Dame stirbt, viele Enkel zur Verabschiedung kommen und uns zeigen, wie wichtig die Oma für sie war. Oder umgekehrt, wenn wir Geburtstage auf der Intensivstation feiern. Zu sehen, wie sich die Menschen bemühen, dass dieser Tag trotz allem ein bisschen den Ganz von etwas Besonderem erhält. Das berührt. Hingegen war es extrem belastend, dass persönliche Abschiede von Sterbenden während der Pandemie teilweise unmöglich waren. In meinem Verständnis ist es ein Menschenrecht, dass man sich in existenziellen Situationen nahe sein darf. Die Besuchsverbote, auch in einem späten Stadium der Pandemie noch, haben mich persönlich in meiner Haltung sehr getroffen. Das empfand ich als sehr verletzend.
Veranstaltung "Intensivstation – Pflege zum Leben"Wie sieht der Alltag auf einer Intensivstation aus? Wie arbeiten die Teams und was bewegt sie? Darum geht es in der Veranstaltung "Intensivstation – Pflege zum Leben" der Universitätsklinik Würzburg in Kooperation mit der Akademie Domschule Würzburg an diesem Donnerstag, 30. Juni. Die Psychologin Dr. Teresa Deffner aus Jena hält den Einführungsvortrag, danach findet eine Podiumsdiskussion mit Expertinnen und Experten der Uniklinik statt. Beginn ist um 18 Uhr im Hörsaal des Zentrums Operative Medizin (ZOM). Es besteht FFP2-Maskenpflicht, für Besucher gilt die 2G-Plus-Regel.Anmeldung bei der Akademie Domschule Würzburg unter Tel. (0931) 386 43 111 oder per Mail an info@domschule-wuerzburg.de. Teilnahmegebühr fünf Euro, Anmeldeschluss ist 30. Juni, 13 Uhr.Quelle: UKW/sp