Kommt die Rente mit 68 oder gar mit 70? Regierungsberater haben gerade eine Erhöhung des Renteneinstiegalters auf 68 im Jahr 2045 vorgeschlagen. Das Institut für Wirtschaft fordert sogar 70 Jahre. Der Würzburger Volkswirt Professor Peter Bofinger wiegelt ab. Heute über das Rentenalter von 2045 zu sprechen, verunsichere nur.
Herr Professor Bofinger, Rente erst mit 70. Wenn man an die steigende Lebenserwartung denkt, ist das nicht ganz unwahrscheinlich, oder?
Peter Bofinger: Heute das Renteneintrittsalter im Jahr 2040 oder gar 2060 zu diskutieren, führt zu unnötiger Verunsicherung. Selbst wenn die Bundesregierung das heute beschließen würde – jede nachfolgende Regierung könnte das sofort wieder ändern. Wenn dann beispielsweise das Institut der deutschen Wirtschaft die Rente mit 70 für das Jahr 2052 ins Schaufenster stellt, kommt das in den Medien so an, als sei schon morgen.
Das heißt: Das ist nur unnötige Aufregung?
Bofinger: Grundsätzlich ist es natürlich so: Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten alle länger leben, was ja sehr erfreulich ist, lässt es sich nicht vermeiden, dass wir einen Teil dieses längeren Lebens, die Berater sprechen von einem Drittel, in Arbeit verbringen. Das ist ja der Kern des Gutachtens.
Gleichzeitig muss man doch heute schon in die Zukunft planen. Man weiß doch heute schon, wie die Altersverteilung in 20, 30 Jahren etwa sein wird.
Bofinger: Aber man weiß nicht wirklich, wie die Bevölkerungsdynamik sein wird, wie sich die Erwerbstätigkeit und der Gesundheitszustand entwickeln. Laut dem Gutachten soll das Rentenalter zwischen 2030 und 2040 allmählich von 67 auf 67,8 Jahre ansteigen. Wenn die Entwicklung tatsächlich so kommen wird, reicht es dann nicht aus, die notwendigen Entscheidungen erst gegen des Jahrzehnts zu treffen. Konkret würde das dann beispielsweise bedeuten, man erfährt im Jahr 2029, dass man bei einem Renteneintritt im Jahr 2035 fünf Monate länger arbeiten muss. Das wird keine Begeisterung auslösen, aber man kann damit umgehen.
Keiner möchte natürlich arbeiten bis zum Umfallen.
Bofinger: Natürlich muss eine längere Lebensarbeitszeit mit Maßnahmen flankiert werden, die Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen. Die Regelungen zur Erwerbsminderungsrente müssen deshalb entsprechend angepasst werden. Darauf haben die Berater explizit hingewiesen.
Eine weitere alarmierende Aussage des neuen Gutachtens war, dass künftig die Hälfte des Bundeshaushalts für Rentenzahlungen draufgehen könnte.
Bofinger: Dass ist eine Schätzung für das Jahr 2060, die zudem unter der Annahme gemacht wurde, dass keinerlei Anpassungen vorgenommen werden. Was die Gutachter jedoch gar nicht berücksichtigt haben, ist, dass man die Rentenkassen ja auch entlasten kann. Vor allem indem man die Selbstständigen in die Rentenkasse mit aufnimmt. Wenn junge Selbstständige heute der Rentenversicherung beitreten, dann zahlen sie ja erstmal 30, 40 Jahre lange ein, bis sie einen Anspruch haben. Und wenn sie dann einen Anspruch haben, sind wieder neue junge Selbstständige da. Berechnungen des Sachverständigenrats aus dem Jahr 2016 zeigen, dass man das System damit bis zum Jahr 2060 erheblich entlasten kann.
Müssten nicht auch die Beamten aufgenommen werden?
Bofinger: Bei den Beamten ist das Problem, dass das die gesetzliche Rentenversicherung entlasten würde, aber den Staat belasten. Für einen jungen Beamten zahlt der Staat erst in 40 Jahren eine Pension, aber für die Rentenbeiträge müsste er bereits jetzt Geld in die Hand nehmen. Und das Geld fehlt dann wieder an anderer Stelle. Aber eine echte Entlastung wären die Selbstständigen. Zumal es ja auch kein Zustand ist, dass viele Selbstständige gar nicht fürs Alter abgesichert sind. Und die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung ist gar nicht so schlecht. Das Umlagesystem der Gesetzlichen Rentenversicherung ist ja im Prinzip ein genialer Mechanismus. Ich zahle heute einen Beitrag aus meinem Arbeitseinkommen und erwerbe damit einen Anspruch auf die Arbeitseinkommen der Zukunft. Die Kosten sind sehr niedrig, es bietet eine breite Risikostreuung. Für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist es aber auch zwingend, dass möglichst die Breite der Gesellschaft dazu beiträgt. Deswegen müssen die Selbstständigen mit rein, da die Trennungslinie zwischen selbsständiger und unselbständiger Arbeit in der Zukunft immer schwerer zu ziehen sein wird.

Andere Länder um uns herum haben es geschafft, ihre Rente auf eine bessere Basis zu stellen. Österreich, zum Beispiel, oder Schweden. Wo können wir uns etwas abschauen?
Bofinger: Österreich hat höhere Rentenversicherungsbeiträge als wir. Das macht schon etwas aus, weil dadurch mehr ins Rentenversicherung reinkommt. Schweden setzt auf private Vermögensbildung, aber eine, die besser funktioniert als Riester. Mein Ansatz wäre ja, dass man die private Vermögensbildung offener gestaltet. Im Moment genießen Sie staatliche Förderung nur, wenn Sie in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen oder in die Riester-Rente. Wenn sich aber jemand zur Altersvorsorge eine Immobilie kauft, bekommt er für die Tilgungszahlungen keine steuerliche Begünstigung. Das sollte man öffnen. Warum gibt der Staat nicht jedem einen steuerlichen Freibetrag von beispielsweise 4000 Euro für die Alterssicherung, egal ob die nun in Aktien, Immobilien oder die Riesterrente investiert werden?
In der Schweiz werden mehr Wochenarbeitsstunden gearbeitet und die Menschen haben weniger Urlaub. Dafür liegt das Renteneintrittsalter stabil bei 65. Wäre das auch ein Modell für Deutschland? Also mehr arbeiten, dafür früher in Rente.
Bofinger: Ich weiß nicht, ob das helfen würde. Nach unserer bisherigen Logik würde es kaum funktionieren. Denn danach erwerbe ich ja, wenn ich mehr arbeite, auch höhere Rentenansprüche.
Wie haben Sie für die Rente vorgesorgt?
Bofinger: Ich hab's da einfach, ich bin Beamter. Ich bin ja bereits in Pension. Einen wichtigen Gedanken des Gutachtens fand ich übrigens, dass man den Renteneintritt flexibler gestalten kann. Dass man nicht mehr in Rente geschickt wird, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat. Ich zum Beispiel hätte gerne weitergearbeitet als ganz regulärer Professor.
Peter BofingerDer 66-jährige Wirtschaftswissenschaftler hatte bis zu seiner Pensionierung an der Universität Würzburg seit 1991 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen inne. In Würzburg forscht er als Seniorprofessor weiterhin, zudem berät er den Irak in Sachen Wirtschaft. Der gebürtige Pforzheimer wurde 2004 wurde er auf Empfehlung der Gewerkschaften Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Die Wirtschaftsweisen“). 2019 schied er aus.
