Voller Sorge und Ungewissheit schaut die junge Frau in die Ukraine. Sie habe Angst vor der Zukunft, aber sei sich mit einer Sache sicher: "Die Regierung Russlands repräsentiert nicht alle Russinnen und Russen, nicht jeder vertritt die Meinung Putins." Gegen den Krieg seien hingegen fast alle, die das Wissen dazu haben. "Gegen den Krieg, gegen diesen Einmarsch, gegen die Invasion." Die 20-jährige russischstämmige Studentin aus Würzburg möchte lieber anonym bleiben, da sie "keine Angriffsfläche für Leute mit einer anderen Meinung bieten möchte".

Ihr Vater ist Russe, ihre Mutter Russlanddeutsche, sie selber hat eine doppelte Staatsbürgerschaft. Viele ihrer Verwandten leben noch in Russland, aber auch in der Ukraine, sie hat also "zu beiden Seiten einen Bezug".
Die junge Frau macht sich Sorgen um die ukrainische und russische Bevölkerung
Wenn sie auf die aktuelle Situation in der Ukraine blickt, sieht sie sich in einem Zwiespalt: "Mir tun beide Seiten Leid." Sie habe Angst um die Bevölkerung in der Ukraine und mache sich aber auch Sorgen um die Menschen in Russland, "die sich gegen Putin aussprechen und mundtot gemacht werden."
"Die Sanktionen sind das Eine, aber ist es der richtige Weg, die ganze russische Bevölkerung zu bestrafen?"
Russischstämmige Studentin aus Würzburg
Auch die Sanktionen, die der Westen verhängt, um Russland zu einer Beendigung des Krieges zu bewegen, bringen die Studentin zum Nachdenken. "Die Sanktionen sind das Eine, aber ist es der richtige Weg, die ganze russische Bevölkerung zu bestrafen?", fragt sie sich.
Der Konflikt falle in den Hintergrund
Schon seit Jahren sei sie "gegen das, was Putin macht". Der ab 2014 schwelende russisch-ukrainische Konflikt sei immer wieder präsent in deutsch-russischen Kreisen. "Dass es immer wieder Tote gibt und es durchgehend ein militärischer Konflikt ist, das war uns allen klar". Mit einem Kriegsfall hätten laut der Studentin allerdings die Wenigsten gerechnet.

Von den in Deutschland lebenden Russen erzählt sie, dass es "schon öfter mal zu Streitigkeiten kam", da es oft zwei klare Seiten gebe. "Die alten Generationen sind so aufgewachsen." Jetzt in der Situation des Krieges spricht die Studentin aber eher von einem Zusammenhalt der beiden Seiten. "Wie ich es mitbekomme, ziehen alle hier grad eher an einem Strang. Landesinterne Auseinandersetzungen sind die eine Sache, aber ein Krieg mit Invasion ist etwas Anderes."
Propaganda stelle eine große Gefahr dar
"Ich habe Angst, dass die Leute in Russland immer mehr mundtot gemacht werden und ihnen untersagt wird, ihre Meinung gegen Russland und das Regime zu äußern", sagt sie. Sie habe Angst, dass die Propaganda "noch schlimmer" werden könnte und das letzte Stück Demokratie wegfalle. "Alleine, dass man das Wort Krieg nicht in den Mund nehmen darf, da sollte einem doch auffallen, dass da irgendwas faul ist", sagt die junge Frau. Der Kreml spricht nach wie vor von einer militärischen Operation in der Ukraine und vermeidet das Wort "Krieg". Auch die Medien in Russland dürfen das Wort nicht benutzen

"Die Wahrheit stirbt in einem Krieg zuerst", das treffe laut der Studentin auch auf die aktuelle Situation zu. Sie erzählt von ihren Erfahrungen, wie sie sich fühlt, wenn Putin eine Rede hält: "Seine Rhetorik, seine Tonlage sind sehr gewählt und darauf ausgerichtet, möglichst viele Menschen damit abzuholen." Zu wenige würden das hinterfragen.
"Wir haben Angst, dass eine neue Welle an Rassismus losgetreten wird"
Die 20-Jährige schildert ein Problem, das nun noch dazukomme: "Viele haben jetzt den Gedanken: Putin ist doof. Russland ist doof. Die Russen sind doof." Sie fürchtet sich davor, dass sich dieses Bild in Köpfen verfestigt. "Wir haben Angst, dass es so weit kommen könnte, dass alle Russen so dargestellt werden, als seien alle Teil von diesem schrecklichen Regime." Personen, die sie kaum kenne, hätten sie schon gefragt, ob sie jetzt Russin oder Ukrainerin sei: "Da schwang ein gewisser Unterton mit."
Auch in ihrem Bekanntenkreis gebe es schon erste Auswirkungen des Krieges. So berichten russische Bekannte von ihr, die in Deutschland Nagelstudios oder Friseursalons betreiben, dass ihnen die Kunden weglaufen würden.
"Ich wünsche mir ein schönes Russland, Frieden in der Ukraine und ein Miteinander auf der ganzen Welt!"
Russischstämmige Studentin aus Würzburg
"Es ist diskriminierend. Dieses Regime spiegelt doch nicht die Meinung der gesamten russischen Bevölkerung wider", sagt die Studentin. Sie wisse, dass sie nicht für alle sprechen könne, aber für ihr russisches Umfeld. Dort seien alle "gegen Krieg, gegen Töten, gegen diesen Konflikt".
Ihr Wunsch für die Zukunft
Für die Zukunft wünscht sich die Studentin, dass "die schlafende Bevölkerung in Russland es schafft, die Augen zu öffnen und anzufangen, sich von den Ketten zu lösen, in die sie die Regierung schon Generationen zuvor gelegt hat".
Sie hofft auf ein Russland, in dem jeder frei seine Meinung äußern kann. "Ich wünsche mir ein schönes Russland, Frieden in der Ukraine und ein Miteinander auf der ganzen Welt!" Am Ende des Gespräches macht sich die junge Frau auf den Weg, denn sie sei jetzt Teil eines Vereins, der "mit anpackt und Hilfe in die Ukraine schickt".