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Würzburg/Schweinfurt: Schnellverfahren nach Gewaltdelikten: Würzburger Strafrechtler rät zu Zurückhaltung

Würzburg/Schweinfurt

Schnellverfahren nach Gewaltdelikten: Würzburger Strafrechtler rät zu Zurückhaltung

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    Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg sollten Schnellverfahren nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen.
    Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg sollten Schnellverfahren nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen. Foto: Angie Wolf

    Die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Sonntag in Schweinfurt war erneut nicht angemeldet, dazu aufgerufen wurde über die Online-Plattform Telegram. Doch die Polizei zeigte diesmal deutliche Präsenz, unterband Aufzüge durch Absperrungen – und drohte für Verstöße den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray an. Trotzdem widersetzten sich einige Demonstranten den Anweisungen und wurden handgreiflich.

    Vier Täter – drei Männer und eine Frau – kamen in Gewahrsam und wurden am darauffolgenden Tag vom Amtsgericht Schweinfurt in Schnellverfahren zu teils drastischen Strafen verurteilt: zwischen 1600 Euro Geldstrafe und zwölf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wie sind beschleunigte Verfahren und Strafmaß in diesem Zusammenhang zu bewerten? Fragen an Professor Eric Hilgendorf, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Würzburg.

    Frage: Hat es Sie überrascht, wie schnell gewalttätige Querdenker-Demonstranten aus Schweinfurt verurteilt wurden?

    Prof. Eric Hilgendorf: Diese Schnelligkeit hat mich in der Tat überrascht. Wir sind ja eher langwierige Verfahren gewohnt. Grundsätzlich sind zügige Verfahren besser, weil dem Täter und auch der Allgemeinheit vor Augen geführt wird, dass sich Straftaten nicht lohnen.

    Aber war es hier auch rechtmäßig, die Schnellverfahren anzuwenden?

    Hilgendorf: Davon gehe ich aus. Die Paragrafen 417 bis 420 der Strafprozessordnung regeln das Verfahren ziemlich detailliert. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich das Gericht nicht daran gehalten hat.

    Welche wesentlichen Kriterien gelten denn dafür?

    Hilgendorf: Voraussetzung eines solchen Verfahrens ist stets, dass es sich um einen einfachen Sachverhalt handelt oder die Beweislage klar ist. Es muss also Klarheit darüber herrschen, was genau geschehen ist.

    Kann ein sauberes Urteil überhaupt gefällt werden, wenn keine 24 Stunden ermittelt wurde?

    Hilgendorf: Ja, vor allem dann, wenn der Angeklagte das ihm vorgeworfene Verhalten nicht bestreitet, oder wenn die Sachlage aus anderen Gründen eindeutig ist.

    Wann ist eine Beweislage denn klar? Reichen dafür zum Beispiel Zeugenaussagen?

    Hilgendorf: Mehrere Zeugenaussagen reichen, wenn sie in den wesentlichen Punkten übereinstimmen, und keine Zeugenaussage einer anderen in einem relevanten Punkt, also nicht in einer bloßen Nebensächlichkeit, widerspricht.

    Welche Rolle spielt Videomaterial?

    Hilgendorf: Videomaterial besitzt grundsätzlich einen hohen Beweiswert, auch wenn wir alle wissen, dass es gefälscht werden kann. Darauf gibt es hier aber keine Hinweise.

    Ist es denkbar, dass Demonstranten selbst belastendes Material über soziale Medien und Kanäle wie Telegram liefern?

    Hilgendorf: Natürlich. Viele Täter stellen Videos ihrer "Heldentaten" selbst ins Netz, oder sie werden von anderen Demonstranten gefilmt und diese Filme dann online gestellt. Besonders hohen Beweiswert besitzen Polizeivideos.

    Wie bewerten Sie das Strafmaß bei den vier Schnell-Verurteilungen von Schweinfurt? Wurde hier verhältnismäßig hart durchgegriffen?

    Hilgendorf: Mich hat die hohe Strafe von einem Jahr auf Bewährung gegen den 50-Jährigen überrascht. Immerhin hat sich der Mann offenbar bisher nichts zuschulden kommen lassen. In einem solchen Fall wäre es vielleicht doch sinnvoll, die Hintergründe des Täterverhaltens, seine Motive und mögliche psychische Belastungen genauer aufzuklären.

    Kann dies nachträglich über eine Hauptverhandlung noch geschehen?

    Hilgendorf: Eine Hauptverhandlung findet auch beim beschleunigten Verfahren statt. Das ist in Paragraf 418 der Strafprozessordnung geregelt. Gegen das Urteil können wie üblich Rechtsmittel eingelegt werden, und dann kommt es in der Regel zu einem neuen, ausführlicheren Verfahren.

    Warum greift man überhaupt zu beschleunigten Verfahren? Sollen sie vor allem abschrecken?

    Hilgendorf: Zum einen folgt die Strafe der Tat sozusagen "auf dem Fuße", was mit Sicherheit in vielen Fällen pädagogische Vorteile hat. Zum anderen wird die Justiz entlastet. Abschreckungseffekte sollten keine allzu große Rolle spielen, und können für sich allein genommen die Wahl eines beschleunigten Verfahrens nicht rechtfertigen.

    Wenn wir auf Schweinfurt blicken: Können die schnellen Urteile ein Warnsignal sein oder könnten sie im Gegenteil radikalisierte Gruppen noch stärker gegen den Staat aufbringen?

    Hilgendorf: Es könnte durchaus sein, dass Menschen, die sich ohnehin ausgegrenzt fühlen, sich nun weiter radikalisieren. Andererseits kann ein klares Signal des Staates, Unrecht nicht zuzulassen, auch hilfreich sein. Hier benötigen die Richterinnen und Richter Fingerspitzengefühl und große Kommunikationskompetenz.

    Sind den Richterinnen und Richtern bei der Anwendung von Schnellverfahren auch Grenzen gesetzt?

    Hilgendorf: Ja, durchaus. So ist die Höhe der im beschleunigten Verfahren möglichen Freiheitsstrafen auf maximal ein Jahr begrenzt. In der Regel bleiben die Gerichte deutlich darunter.

    Seit wann gibt es eigentlich Schnellverfahren? In der Öffentlichkeit werden sie normalerweise kaum wahrgenommen...

    Hilgendorf: Schnellverfahren hat es im Prozessrecht immer schon gegeben. Seine jetzige Form verdankt das beschleunigte Verfahren dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994. Das Schnellverfahren wird von der deutschen Justiz zurückhaltend eingesetzt, weil seine rechtsstaatlichen Probleme bekannt sind. Diese Zurückhaltung verdient aus meiner Sicht unbedingt Zustimmung.

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