Zu Ehren des in Würzburg geborenen Lyrikers Jehuda Amichai, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, verleiht die Stadt Würzburg am 9. Oktober erstmals – und zukünftig in zweijährigem Turnus – einen Literaturpreis mit Bezug zu jüdischer Geschichte und Kultur. Der Hauptpreis ist mit 15.000 Euro dotiert und geht an die Schriftstellerin Barbara Honigmann. Der Förderpreis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird an die ukrainische Autorin Marianna Kijanowska verliehen, teilt die Stadt Würzburg in einer Presseinformation mit.
"Nicht nur wegen der mehr als 900 Jahre währenden Geschichte der jüdischen Gemeinde Würzburgs und der damit verbundenen, tiefen Verankerung jüdischen Lebens in unserer Stadt, fühlen wir uns der jüdischen Geschichte und Kultur deutlich verbunden. Wir sehen uns vielmehr auch angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und damit einhergehender Radikalisierung in der Pflicht, die Geschichte aber auch die Gegenwart jüdischer Kultur zu vermitteln und besonders zu fördern. Dies tun wir nun auch mit dem Jehuda-Amichai-Literaturpreis", wird Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt in der Pressemitteilung zitiert.
Vielfältig geehrt: der in Würzburg geborene Jehuda Amichai
Jehuda Amichai, einer der bedeutendsten jüdischen Lyriker und Romanciers des 20. Jahrhunderts, wurde 1924 als Ludwig Pfeuffer in Würzburg geboren. Mitte der 1930er Jahre wanderte er – bedroht von den nationalsozialistischen Diskriminierungen – mit seiner Familie nach Palästina aus. Amichai starb im Jahr 2000 in Jerusalem im Alter von 76 Jahren. Für sein Werk, insbesondere aber die revolutionäre Änderung der Sprache der hebräischen Dichtung, erhielt er, neben vielen internationalen Auszeichnungen, im Jahr 1982 auch den "Israel Preis" des Staates Israel. Seine Geburtsstadt Würzburg ehrte ihn 1981 mit dem Kulturpreis der Stadt und benannte 2005 eine Straße nach ihm. Sein 100. Geburtstag wurde im Mai 2024 mit einem Festakt im Würzburger Rathaus begangen.

Mit dem Jehuda-Amichai-Literaturpreis möchte die Stadt Würzburg laut Pressemitteilung herausragende literarische Einzelwerke sowie literarische Lebenswerke würdigen, die einen wertvollen Beitrag zur Sichtbarmachung, Vermittlung und Reflexion jüdischen Lebens und jüdischer Kultur leisten. Der Preis sei offen für zeitgenössische deutschsprachige oder ins Deutsche übersetzte Literatur, die entweder von jüdischen Autorinnen und Autoren verfasst ist oder jüdisches Leben, Kultur und Geschichte (mit)thematisiert. Der Preis wird unterstützt von der Sparkassenstiftung für die Stadt Würzburg und dem Zentralrat der Juden in Deutschland.

Jury: Preisträgerin beschreibt jüdische Familienkonstrukte
Die Schriftstellerin Barbara Honigmann, die den ersten Jehuda-Amichai-Literaturpreis erhält, wurde 1949 in Ost-Berlin geboren. Sie stammt aus einer jüdischen Familie und wuchs in der DDR auf. An der Humboldt-Universität zu Berlin studierte sie Theaterwissenschaft und arbeitete zunächst als Dramaturgin und Regisseurin, bevor sie als freie Schriftstellerin tätig wurde.
"Barbara Honigmann erforscht in ihren Romanen jüdische Familienkonstrukte, die von historischen Umständen und der daraus entstehenden Zerrissenheit geprägt sind: Schonungslos, ehrlich, immer auch mit einem feinen Gespür für tiefsinnigen Humor", so die Jury laut der Pressemitteilung in ihrer Begründung. Ihre Sprache sei "zugleich klar wie poetisch, nie stellt sie ihre Figuren aus und traut sich dennoch da hinein, wo wir als Gesellschaft häufig nicht hinsehen wollen". Mit ihren Geschichten schreibe Honigmann "die jüdisch-europäische Geschichte in die deutschsprachige Literatur ein".
Förderpreis für ukrainische Dichterin Marianna Kijanowska
Der Jehuda-Amichai-Literaturförderpreis geht an Marianna Kijanowska für ihren Gedichtband "Babyn Jar. Stimmen". Die ukrainische Schriftstellerin, Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin, geboren 1973 in Schowkwa nahe Würzburgs Partnerstadt Lwiw, studierte nach ihrem Schulabschluss Philologie an der Nationalen Iwan-Franko-Universität in Lwiw. In ihrem literarischen Schaffen fokussiert sie sich hauptsächlich auf Gedichte und Übersetzungen.
Zu ihrem Werk äußerte sich die Jury laut der Pressemitteilung folgendermaßen: "Marianna Kijanowska ist eine ukrainische Dichterin, die die titanenhafte Aufgabe auf sich genommen hat, um die jüdische Bevölkerung ihres Landes zu trauern. In einem Akt des Schmerzes und der Solidarität mit dem Schicksal der Opfer hat sie ein Stimmendokument der Klage erschaffen: Durch ihre Dichtung spricht die bunte jüdische Bevölkerung Kiews, die 1941 in einem zweitägigen Massaker in Babyn Jar ermordet wurde."
Marianna Kijanowska erfinde "poetische Stimmen für diejenigen, die keine Zeugen hatten, die den Untergang ihres Lebens festhalten, die überhaupt von ihrer Existenz Zeugnis ablegen konnten. Es ist eine ergreifende, schockierende Dichtung, die wieder zeigt, dass es kein fremdes Leid gibt, wenn es um Opfer von Gewalt geht".