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WÜRZBURG/MÜNCHEN: Seelsorge: Im Chat nach Rat und Hilfe suchen

WÜRZBURG/MÜNCHEN

Seelsorge: Im Chat nach Rat und Hilfe suchen

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    Ruth Belzner
    Ruth Belzner Foto: Pat Christ

    Der junge Mann fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er kam sich anders vor als die anderen, fremd. Ruth Belzner, Leiterin der ökumenischen Würzburger Telefonseelsorge, fragte im Chat behutsam nach: Woran liegt das? Der Mann teilte ihr mit, dass er sich für Sachen interessiert, die für die meisten seiner Altersgenossen langweilig sind: „Er liebt es zum Beispiel, stundenlang in der Natur Tiere zu beobachten.“ Im Chat vermittelte Belzner ihm, dass er nicht „falsch“ sei. Obwohl er unter dem Gefühl des Ausgegrenztseins litt, hätte der junge Mann wohl nie zum Telefonhörer gegriffen, vermutet Belzner. Online traute er sich, seine Sorgen zu äußern.

    Damit steht Belzners Chat-Partner nicht alleine da. Menschen wie er profitieren davon, dass immer mehr Telefonseelsorgen in Deutschland in die Chat-Beratung einsteigen. „Um die 40 sind es derzeit“, berichtet die Würzburgerin, die auch Bundesvorsitzende der evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge ist.

    Auch Würzburger Seelsorger sollen zu Chat-Beratern ausgebildet werden.

    Zu den Vorreitern gehört die Evangelische Telefonseelsorge München. „Wir sind seit 2009 im Chat und seit 2015 in der Mail-Seelsorge mit rund 20 Ehrenamtlichen aktiv“, sagt Martha Eber vom Leitungsteam. Auch die Würzburger Telefonseelsorge will künftig bei der bundesweiten Chat-Beratung aktiv werden. Sechs der 96 Ehrenamtlichen haben sich bereits fortgebildet. Vier weitere werden folgen. Bereits jetzt können Hilfesuchende aus der Region das Chat-Angebot nutzen, auch wenn sie eventuell an einen Seelsorger außerhalb Unterfrankens verwiesen werden.

    Ausgebildet werden die Helfer unter anderem mittels „Übungschats“. Die reine Vor-Ort-Beratung gehört allmählich der Vergangenheit an, überall in Bayern bemühen sich Beratungsstellen, auch einen Online-Service anzubieten.

    Menschen in Krisensitutationen virtuell auffangen.

    Die Psychologische Beratungsstelle der Diakonie Regensburg hat damit schon Erfahrung. „Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die viel im Internet unterwegs sind, finden auf diesem Weg einen leichteren Zugang zu Unterstützung“, sagt Einrichtungsleiterin Rosl Ramming. Auch Mütter mit kleinen Kindern nutzten das Angebot, aber auch Menschen, die sich zuvor persönlich beraten ließen, schätzten die Möglichkeit, sich mitten in der Nacht das, was sie belastet, von der Seele zu schreiben. „Vielleicht hat das eine ähnliche Funktion wie das Tagebuchschreiben“, spekuliert Ramming.

    In diesen Mails geht es der Psychologin zufolge zum Beispiel um einen schlimmen Streit mit dem Ehemann, um den Trotzanfall eines Kindes oder um die soeben eingetroffene Nachricht, dass die Oma gestorben ist. Um Menschen in solchen Krisensituationen gut virtuell aufzufangen, ist laut Ramming eine fundierte Ausbildung unabdingbar.

    Die Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen des Evangelischen Beratungszentrums München bietet seit über zehn Jahren solche Online-Beratungen an. Nicht selten wird das virtuelle Angebot als erste Krisenhilfe genutzt, erzählt Einrichtungsleiterin Sabine Simon: „Zum Beispiel bei einer ungeplanten oder verdrängten Schwangerschaft.“ Oder auch, wenn die Schwangere Gewalt von ihrem Partner erfuhr. Allerdings sieht die Sozialarbeiterin auch kritische Punkte. „Die persönliche oder telefonische Beratung ist aus unserer Sicht fast immer vorzuziehen, denn Mail-Beratungen bringen Zeitverzögerungen mit sich“, sagt sie.

    Gefahr der Missverständnisse ist hoch.

    In der Beratungsstelle hat man außerdem die Erfahrung gemacht, dass Online-Beratung viel Zeit verschlingt. Gerade rechtliche Auskünfte seien aufwendig. „Auch bei anderen Beratungsinhalten ist die Gefahr des Missverständnisses, der Irritation oder Kränkung durch einzelne Formulierungen hoch“, sagt Simon.

    In Würzburg beschloss das Team der Schuldnerberatung der ökumenischen Christophorus-Gesellschaft, testweise eine Online-Beratung einzuführen. Sie bietet Klienten die Möglichkeit, ihre Fragen ohne Wartezeit loszuwerden, erläutert Einrichtungsleiterin Nadia Fiedler. Online-Beratung ist nach ihrer Ansicht vor allem dann hilfreich, wenn ein Fall sehr komplex ist: „Man kann sich mit anderen Beratern noch mal kurzschließen, bevor man antwortet.“ Ihr Team will ein halbes Jahr lang ausprobieren, ob die Online-Beratung eher positive oder eher negative Effekte zeigt. Der direkte Kontakt zu den Klienten dürfe aber auf keinen Fall verloren gehen.

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