Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: Sepp, der Schrauber

WÜRZBURG

Sepp, der Schrauber

    • |
    • |
    Umgeben von Hunderten von Schachteln und Dosen: „Schrauben-Sepp“ Josef Vogt in seinem Laden in der Bronnbachergasse 43.
    Umgeben von Hunderten von Schachteln und Dosen: „Schrauben-Sepp“ Josef Vogt in seinem Laden in der Bronnbachergasse 43. Foto: FOTOS: Thomas Obermeier

    Sollte der Tag kommen, ist er vorbereitet. Das Szenario ist fest im Kopf verankert. Wenn es soweit ist, wird er die Schachteln mit den Tausenden von Schrauben, Dübeln, Muttern und Werkzeugen schließen. Er wird sich einmal umschauen, lächeln, eine kurze Notiz schreiben und die Tür hinter sich schließen. Für immer. „Das passiert an dem Tag, an dem ich keine Lust mehr habe“, sagt Josef Vogt, den nicht nur die Würzburger als „Schrauben-Sepp“ kennen. Seit 13 Jahren berät, verkauft und philosophiert er im gleichnamigen Laden in der Bronnenbachgasse – Urlaub hatte er seither nie.

    „Ich erhol' mich am Sonntag.“ Der 58-Jährige sitzt vor seinem Laden und grinst unter seinem Schnurrbart hervor. Die zwei Klappstühle und der blaue Holztisch mit dem „Reserviert“-Schild sind sein Luxus, die schmale Gasse mitten in der Innenstadt seine Oase. „Wenn ich den ganzen Tag drinnen rumwurstel, freu ich mich auf die Luft“, meint er in unverkennbarem fränkisch.

    „Drinnen“, das sind rund 50 Quadratmeter – verteilt auf zwei Stockwerke. Die Wände sind vollgestellt mit Regalen, die wiederum mit Tausenden von Behältern. „Das müssten so grob 600 verschiedene Schraubenarten sein“, schätzt der „Sepp“. Verpackt sind sie in alten Zigarettenschachteln, denn „die Dinge sind stabil und Verpackungsmüll gibt's genug.“ Dazu kommen Dübel, Hammer, Schraubenzieher, Autoreiniger, Klarlacke, Beutelpressen, Füllspachteln und alles, was das Tüftlerherz begehrt.

    Es war im Jahr 1993, als für Josef Vogt eine kleine Welt zusammenbrach. Damals schloss das Haushaltswarengeschäft Schum am Schmalzmarkt von einem Tag auf den anderen seine Türen. „Ab dann musstest du wegen jedem Mist rausfahren auf die grüne Wiese.“ Die großen Baumärkte seien zwar praktisch, aber viel zu weit weg. Zehn Jahre später hatte Josef Vogt seinen Job als Fachprojektleiter – „dieses Wort hab' ich nie leiden können“ – für Stahlbrückenbau beendet, als der Familienrat eine Entscheidung traf.

    „Bei gewissen Dingen, was willst du da viel überlegen?“ Als eines seiner Geschwister beim „dumm babbeln“ auf die Idee kam, einen neuen „Schum“ ins Leben zu rufen, sei er direkt darauf angesprungen. Kurz darauf entdeckte der gelernte technische Zeichner das leer stehende Geschäft und der Handwerker „Sepp“ machte Nägel mit Köpfen.

    „Hier gibt's kein Gelump“, fasst der Würzburger seine Geschäftsphilosophie zusammen. Das erste dreiviertel Jahr sei hart gewesen, kaum jemand habe das kleine Geschäft in der Bronnbachergasse wahrgenommen. „Ich hab eine Strichliste gemacht, wie viele Leute hier am Tag überhaupt durchlaufen. Das waren an guten knapp fünfzehn.“

    Am Ende war es ein Lederladen, der ihm den ersten Schwung Kunden brachte. Wenn jemand eine kaputte Handtasche zum „Leder Milz“ brachte, schickten ihn die Verkäufer rüber zum „Sepp“. Der reparierte die Henkel und warb damit für die Vielseitigkeit seines Ladens. „Zum Glück sind Frauen anders als Männer und reden darüber“, meint Vogt lachend. Denn nach und nach kamen auch die Partner der Damen zu ihm – und das Rad begann sich zu drehen.

    Wer zum „Schrauben-Sepp“ kommt, geht selten ohne etwas raus. Sei es ein guter Wunsch („Frohes schrauben!“), eine Lebensweisheit – „Geschwindigkeit ist nicht gleich Fortschritt“ – oder doch ein Werkzeug, der Würzburger liebt den direkten Kontakt zu den Menschen und nimmt selten ein Blatt vor den Mund.

    Kann er selbst mal nicht weiterhelfen, weiß er immer, wer es könnte. „Ein Kunde hat mal zu mir gesagt: 'Wenn du eine Auskunftsdatei hättest und für jede Auskunft einen Euro verlangen würdest, dann müsstest nichts mehr schaffen.'“

    Eigentlich gibt es nur eine Sache, die den ausgeglichenen „Sepp“ in Rage bringt: die Mietpreise in Würzburg, die ein Dasein für viele andere inhabergeführte Geschäfte unmöglich machen. „Da vorne an der Preußenrennbahn, da kannst du es komplett vergessen.“ Mit dem Finger deutet Vogt zur Schönbornstraße, die die großen Filialketten unter sich aufgeteilt haben.

    Um das zu ändern, habe er sogar eine Petition beim Bundestag eingereicht, passiert sei dennoch nichts. Er selbst habe mit seinem Vermieter großes Glück, kämpfe aber für andere kleine Läden. Denn die Nachfrage sei groß. „Zu mir kommen Leute von überall her und freuen sich, dass es so etwas noch gibt.“ Statt Preislisten wird das Geld grob überschlagen, abgezählt wird nie. „Das klappt nur mit gegenseitigem Vertrauen“, betont der 58-Jährige. Bislang sei das nur ein einziges Mal missbraucht worden, als zwei Damen einen Schraubenzieher geklaut haben.

    „In so einem Laden lernt man immer wieder dazu, über sich, andere und das Leben.“ Josef Vogt ist hinter seine Holztheke gegangen und schiebt sich die Pulloverärmel nach oben. In den vergangenen 13 Jahre habe er keinen einzigen Werktag sein Geschäft zugelassen, sagt er dann. Zu sehr liebe er seine Arbeit, seine Schrauben, seine Kunden. Genauso wolle er noch lange weitermachen. Bis zu dem einen Tag, an dem der „Sepp“ tatsächlich keine Lust mehr hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden