Als Simone Barrientos 2014 von Berlin nach Ochsenfurt zog, suchte sie einen Ort, um zur Ruhe zu kommen und den Trubel des Großstadt hinter sich zu lassen. Wer konnte damals ahnen, dass sie 2017 für die Linke in den Bundestag gewählt würde und als Abgeordnete in ihre frühere Wahlheimat zurückkehrt. Umso wichtiger ist ihr das Refugium im Herzen der fränkischen Kleinstadt geworden. Am 26. September stellt sich Barrientos erneut zur Wahl, als Direktkandidatin für den Wahlkreis Würzburg und auf Platz fünf der Landesliste. Ihre Chancen auf eine zweite Amtszeit seien gut, sagt die Abgeordnete.
Simone Barrientos ist in der DDR aufgewachsen, hat Betriebselektrikerin bei der Reichsbahn gelernt, bevor der Kulturbetrieb ihr Lebensinhalt wurde. Die Zeit nach der Wende erlebte sie arbeitslos, war als alleinerziehende Mutter auf Sozialhilfe angewiesen. Später hat sie unter anderem als Dolmetscherin und Bühnen-Rezitatorin gearbeitet, gründete ihren eigenen Verlag und hat sich ehrenamtlich für die Rechte der Sinti und Roma und seit 2015 in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Es ist die eigene Lebensgeschichte, die ihre Agenda als Bundestagsabgeordnete bestimmt. "Im Bundestag sitzen viel zu wenige, die wissen, wie es einem geht, wenn es einem schlecht geht", sagt sie. Neben Frauenrechten, der Gleichstellung von Minderheiten und der sozialen Gerechtigkeit zählt vor allem die Kultur zu den Schwerpunkten ihrer Parlamentstätigkeit. Die Bundestagsfraktion der Linken hat Simone Barrientos zu ihrer kulturpolitischen Sprecherin gewählt.
Dabei ist ihr Kulturbegriff denkbar weit gefasst. "Ich stelle alles unter den Oberbegriff Kultur, auch die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und ob man sich das Dach überm Kopf noch leisten kann", sagt Simone Barrientos. Auch Gerechtigkeit und soziale Verantwortung seien letztlich eine Frage der Kultur.
"Dort, wo es keine Kultur gibt, ist es unattraktiv zu leben."
Simone Barrientos, Bundestagsabgeordnete (Die Linke)
In der parlamentarischen Realität geht es eher um den Kulturbetrieb als solchen, dessen gesellschaftliche Bedeutung gerade während der Corona-Pandemie deutlich wurde. Mit Befriedigung nimmt Simone Barrientos deshalb zur Kenntnis, dass die Forderung nach mehr sozialer Sicherheit für Kulturschaffende und Solo-Selbstständige inzwischen auch in der politischen Mitte angekommen ist. "Wir haben das vor Jahren schon gefordert und sind damals im Bundestag dafür ausgelacht worden", erinnert sie sich.
Aber ist Kulturpolitik nicht eher ein Thema für die Großstädte? Barrientos widerspricht energisch. Gerade für die ländlichen Räume spiele Kulturpolitik und -förderung eine wichtige Rolle. "Dort, wo es keine Kultur gibt, ist es unattraktiv zu leben", sagt sie. Deshalb sei es höchste Zeit für ein entsprechendes Bundesministerium. "Bisher gibt es nur eine Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, aber die Kultur darf nicht am Katzentisch sitzen, sondern muss an den Kabinettstisch."
Eigenes Bundesministerium für Kultur
Noch steht einem solchen Ministerressort der Föderalismus im Weg. Kultur ist Ländersache, und das hat aus Barrientos' Sicht auch gute Gründe. "So etwas wie eine gleichgeschaltete Kulturpolitik wollen wir nie mehr." Aber es sei längst an der Zeit, das geltende Kooperationsverbot durch ein Kooperationsgebot zu ersetzen und Kultur als staatliche Pflichtaufgabe festzuschreiben. "Dass finanzschwache Kommunen heute alles kaputtsparen müssen, bevor sie Hilfe bekommen, ist doch irre und am Ende viel teurer."
2017 ist Simone Barrientos als eine von sieben bayerischen Abgeordneten der Linken in den Bundestag eingezogen. Seitdem geht es der kleinen Landesgruppe darum, im ganzen Land sichtbar zu werden und Themen zu besetzen. Simone Barrientos hat dazu ein zweites Abgeordnetenbüro in Hof eingerichtet und scheut sich nicht davor, auch bei Verbänden vorstellig zu werden, die man eher nicht auf der Favoritenliste der Linkspartei verortet - so wie kürzlich bei einer Veranstaltung des Bayerischen Bauernverbands. "Ich fürchte mich davor nicht", sagt sie, "jedes Gespräch, bei dem etwas hängenbleibt, ist wichtig."
"Als Juniorpartner in einer Koalition nur Kröten schlucken zu müssen, das würde uns unglaubwürdig machen."
Simone Barrientos, Bundestagsabgeordnete (Die Linke)
Das gleiche gilt auch für die Endphase des Wahlkampfs. Wie schon vor der Wahl 2017 will sie Anfang September eine Tour durch den Landkreis Würzburg starten. Rund 80 Stationen stehen auf dem Programm. Plakate kleben, Zeitungen verteilen, das Gespräch suchen – das ist die Strategie, auf die die Abgeordnete in den letzten Wochen vor der Wahl setzt.
Ausgehend von den 6,1 Prozent, die die Linke bei der Bundestagswahl 2017 in Bayern erreicht hat, liegt die Partei derzeit in den Umfragen leicht darunter. Mit Platz fünf auf der Landesliste schaut die Abgeordnete der Wahl dennoch mit einem guten Gefühl entgegen. "Ich bin verhalten optimistisch, aber natürlich ist nichts sicher", sagt sie.
Welche Optionen sich für die Linkspartei nach der Wahl auftun, und ob gar die Beteiligung an einer Koalition mit SPD und Grünen möglich sein könnte, darüber wagt Simone Barrientos nicht zu spekulieren. Die SPD habe sich in jüngster Zeit wieder mehr ihren sozialdemokratischen Wurzeln angenähert. "Ich weiß aus dem Plenum, dass viele SPD-Abgeordnete an vielen Stellen lieber mit uns abgestimmt hätten, aber am Ende steht eine Koalition und da muss man Kröten schlucken."
Deshalb gebe es sicherlich große Schnittmengen zwischen den sozialdemokratischen Kräften in der Linken und den linken Kräften in der SPD. Ähnliches gelte für die Grünen. "Es müsste aber einen wirklichen Politikwechsel geben, als Juniorpartner in einer Koalition nur Kröten schlucken zu müssen, das würde uns unglaubwürdig machen."
Simone BarrientosDie Direktkandidatin der Partei "Die Linke" wurde am 5. Oktober 1963 in der Lutherstadt Eisleben geboren und wuchs in Neustrelitz als Kind einer alleinerziehenden Mutter auf. Sie hat eine Abbildung als Betriebselektrikerin bei der Reichsbahn und später als Gebrauchswerberin absolviert, war seit 1990 in Berlin unter anderem als Dolmetscherin und Mitinhaberin einer Künstleragentur tätig, bevor sie 2008 den Verlag "Kulturmaschinen" gründete, der unter anderem das Prosawerk des Liedermachers Franz Josef Degenhardt herausgibt. Seit 2014 lebt sie gemeinsam mit ihrem Partner, dem Schriftsteller und Vizepräsidenten des PEN-Zentrums Deutschland Leander Sukov, in der Altstadt von Ochsenfurt. Bei der Kommunalwahl 2020 trat Simone Barrientos als Landratskandidatin für ihre Partei an und wurde in den Würzburger Kreistag gewählt.Quelle: meg