Einsamkeit ist ein großes Thema unserer Zeit. Auch Einsamkeit im Alter. Laut Statistischem Bundesamt lebte in Deutschland 2023 jeder dritte Mensch über 65 Jahre in einem Singlehaushalt. In Unterfranken waren es fast 40 Prozent. Natürlich sind nicht alle Alleinlebenden einsam. Aber viele von ihnen wünschen sich eine neue Partnerschaft.
Die Sehnsucht nach einer neuen Liebe löst in fortgeschrittenem Alter andere Fragen und Ängste aus als in jungen Jahren.
, darüber spricht der Würzburger Diplom-Psychologe und Paartherapeut Dr. Thomas Hilsenbeck im Interview.Der 62-Jährige gibt keine schnellen Selbsthilfetipps. Im Gegenteil: Er macht Mut zur Langsamkeit und Nachdenklichkeit bei der Partnersuche. Er ermuntert dazu, sich zuerst auf eigene Fragen einzulassen und dann auf einen anderen Menschen.

Frage: Herr Dr. Hilsenbeck, was braucht es, um sich auch in fortgeschrittenem Alter neu verlieben zu können?
Thomas Hilsenbeck: Zunächst mal ein echtes Bedürfnis danach. Motivation beginnt mit einem Wunsch. Oder mit einer Angst. Der Wunsch könnte sein, wieder in einer Partnerschaft zu leben. Die Angst, den letzten Lebensabschnitt alleine verbringen zu müssen.
Manche Menschen spüren vielleicht beides.
Hilsenbeck: Das ist gut möglich. Ich würde gerne allen Mut machen, in sich zu horchen und sich zu fragen: Was ist alles da? Gibt es eine Sehnsucht, eine Offenheit, jemanden kennenzulernen? Sind da Bedenken, Befürchtungen, Widerstände? Wenn wir ambivalente Gedanken und Gefühle wertfrei nebeneinander wahrnehmen, öffnen wir einen Raum. Darin kann dann die Frage wachsen: Wie gehe ich es an?

Inwiefern ändern sich Bedürfnisse in Sachen Liebe, Nähe, Zärtlichkeit und Sexualität im Alter?
Hilsenbeck: Das ist individuell und nicht pauschal zu beantworten. Wir sind soziale Wesen. Die meisten haben einen Wunsch nach Verbundenheit, nach Nähe, nach Berührungen. In meiner Arbeit mit jungen Menschen beobachte ich, dass es bei vielen eine Phase gibt, in der sie ihre Neugierde ausleben. In der sie Partnerschaft probieren oder andere Beziehungsmodelle. Eine Phase der Freiheit, der Fantasie, des Spielens. Meine Wahrnehmung ist: Dieses Ausprobieren fällt im Alter weg.
Wer sich mit 20 verliebt, ist noch recht unerfahren in Sachen Liebe. Wer sich mit 70 verliebt, hat in der Regel ein halbes Jahrhundert mehr Beziehungserfahrung. Macht das die Partnersuche im Alter einfacher oder schwieriger?
Hilsenbeck: Ich vermute beides. Wenn wir unsere ersten Beziehungserfahrungen machen, dann sind wir noch auf eine Art unverletzt. In fortgeschrittenem Alter sind wir durch Erlebnisse und Erfahrungen geprägt, haben vielleicht eine Ehe, eine Scheidung oder den Tod eines geliebten Menschen mitgemacht. Wir bringen Wunden und Narben mit. Sich neu verlieben, auf jemand zugehen heißt, auch damit umzugehen. Gleichzeitig wissen wir viel besser als in jungen Jahren, wer wir sind, was wir wollen - und was wir nicht oder nicht mehr möchten.

Wie können ältere Menschen mit früheren Verletzungen umgehen, um wieder offen für eine neue Partnerschaft zu sein?
Hilsenbeck: Das Wissen, wo die eigenen Schalter sind, ist sehr hilfreich, bevor sie ein anderer Mensch versehentlich drückt. Denn wenn sich eigene Muster blind und unreflektiert wiederholen, ist das sehr frustrierend und löst ein Gefühl von Ohnmacht aus. Ich erlebe viele Menschen, die im Alter bitter werden. Bitterkeit verschließt. Es ist manchmal schade, dass Verletzungen inhaltlich nicht besser ausgewertet werden, gehoben werden wie ein Schatz, der sich ja auch darin verbergen kann. Lieber beschwichtigen sich Menschen selbst. Das ist, glaube ich, das Dümmste, was man tun kann.
Warum?
Hilsenbeck: Weil das negiert, dass eine Erfahrung schmerzhaft war. Und weil es die Möglichkeit verwehrt, etwas aus ihr zu lernen. Wenn wir jemanden in unser Leben lassen wollen, dann muss irgendeine Tür in uns zumindest einen Spalt breit offen sein. Wenn etwas in uns die Türen von innen zuhält, dann kann niemand eintreten.
"Es ist manchmal schade, dass Verletzungen inhaltlich nicht besser ausgewertet werden, gehoben werden wie ein Schatz, der sich ja auch darin verbergen kann."
Dr. Thomas Hilsenbeck, Diplom-Psychologe
Älterwerden geht mit Welken, manchmal auch mit körperlichen oder gesundheitlichen Einschränkungen einher. Manche Menschen befürchten, dadurch nicht mehr zu genügen. Was kann bei Selbstwertproblemen helfen?
Hilsenbeck: Erst mal möchte ich Menschen ermutigen, Selbstzweifel ernstzunehmen. Und sich wirklich auseinanderzusetzen mit Fragen wie: Wer bin ich, abgesehen von meinen Falten oder meiner Einschränkung? Was habe ich noch zu bieten? Ich würde empfehlen, die Antworten aufzuschreiben, wie bei einer Bewerbung auf eine Stellenanzeige. Wem nicht viel einfällt, der könnte vertraute Menschen fragen: "Sag mal, wie nimmst du mich wahr? Was gebe ich dir?" Das könnte ein Weg sein, um sich seinen Wert für andere bewusster zu machen. Das alleine wird aber vielleicht nicht genügen.
Was empfehlen Sie noch?
Hilsenbeck: Wenn möglich: radikale Akzeptanz. Das heißt, Einschränkungen anzunehmen und mit Grenzen zu leben. Denn es nützt ja nichts, sich schönzureden, dass man zum Beispiel gerne große Wanderungen mit einer neuen Bekanntschaft machen würde, wenn das körperlich einfach nicht mehr geht. Akzeptanz ist viel besser als Bitterkeit. Und letztlich auch das einzige Hilfreiche, wenn sich etwas nicht ändern lässt. Das gilt in jedem Alter.

Und wenn trotzdem die Angst bleibt, abgelehnt zu werden?
Hilsenbeck: Sich diese Angst bewusst zu machen und anzuerkennen, dass das tatsächlich passieren kann, ist für manche schon befreiend. Ebenso, sich mit der Angst jemandem anzuvertrauen. Wer sich verliebt, geht das Risiko ein, verletzt zu werden. Daran geht kein Weg vorbei. Ich würde mir erste Hilfe für den Notfall überlegen: Wen rufe ich an? Wer tröstet mich?
Die entscheidende Frage ist aber doch: Was sagt es über mich und meinen Wert aus, wenn ein anderer Mensch nicht den Wunsch hat, mich weiter kennenzulernen, wenn er sich nicht in mich verliebt?
Hilsenbeck: Das ist schön! Was würden Sie antworten?
"Wenn wir jemanden in unser Leben lassen wollen, dann muss irgendeine Tür in uns zumindest einen Spalt breit offen sein."
Dr. Thomas Hilsenbeck, Paartherapeut
Dass das nichts über mich aussagt, sondern nur etwas über den Wunsch und die Gefühle des anderen.
Hilsenbeck: Wenn diese Art von freundlichem Selbstgespräch gelingt, wäre das wunderbar! Ich würde dem inneren Dialog trotzdem Trost vorschalten. Trost wird unterschätzt, auch wenn er allein nicht genügt. Für ein Weitergehen braucht es das Auswerten. Es ist ein Irrglaube, dass schmerzhafte Erlebnisse größer werden, indem man sie anschaut. Sie werden eher zu Scheinriesen, wenn man das nicht tut.
Wie können sich Menschen auf Partnersuche ihrer eigenen Wünsche und Erwartungen bewusst machen?
Hilsenbeck: Indem sie sich zum Beispiel im Rückblick auf vergangene Partnerschaften fragen: In welchen ging es mir gut, in welchen nicht? Was waren die Gründe dafür? Zu welchem Kompromissen bin ich bereit? Was will ich in keinem Fall wieder zurückstellen? Und was würde das für eine neue Beziehung bedeuten? Statt Erwartungen zu formulieren, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen eine künftige Partnerin oder ein künftiger Partner mitbringen müsste, empfehle ich, Sehnsuchtszustände zu beschreiben: Wie möchte ich mich mit einem neuen Menschen an der Seite fühlen? Das für sich zu formulieren, kann auch dazu beitragen, sich für eine neue Liebe zu öffnen.
Sind Sie auf Partnersuche? Melden Sie sich!Sie sind über 65 Jahre alt und auf der Suche nach einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner? Wir suchen Sie! Für einen Artikel über Partnersuche in fortgeschrittenem Alter würden wir gerne mit Menschen aus Unterfranken sprechen, die bereit sind, uns ihre Geschichten zu erzählen und Fragen wie diese zu beantworten: Auf welchem Weg suchen Sie eine neue Liebe, welche Erfahrungen machen Sie dabei und was wünschen Sie sich für eine gemeinsame Zukunft? Falls Sie sich das vorstellen können, melden Sie sich gerne unverbindlich per E-Mail an natalie.gress@mainpost.de. ng