Die Würzburger Straßenbahn (WSB) muss in den nächsten 13 Jahren mächtig investieren. Die 38 Züge sind in die Jahre gekommen und bis 2030 auch noch abgeschrieben. Die Kosten für eine Neuanschaffung: 145 Millionen Euro.
Diese Anschaffung war im Stadtrat nicht umstritten, wohl aber das Anforderungsprofil für die neuen Züge. Der Knackpunkt war hier, wie man die Barriere-Freiheit erreichen kann. Paul Lehmann, Technikchef der WSB, setzt hier auf eine technische Lösung. Daher war bisher in der Ausschreibung auch eine Kneeling-Funktion – der Zug neigt sich dem Fahrgast entgegen – und eine Niveauregulierung – die Straba wird abgesenkt – enthalten.
WSB darf investieren
Und daran entzündete sich die Debatte in der Stadtratssitzung. Nach zwei Stunden gab es eine Lösung gegen eine Stimme im Rat: Die Würzburger Straßenbahn darf eine erste Tranche mit 18 neuen Zügen bestellen. Dadurch soll der Betrieb langfristig gesichert und zusätzliche Kapazitäten für neue Verkehre geschaffen werden. Diese Investition beläuft sich auf 65 Millionen Euro und ist in den Jahren 2021 bis 2023 geplant.
Ein Änderungsantrag einiger Mitglieder der Grünen wurde noch eingefügt. Darin ist das festgehalten: Die Barrierefreiheit ist durch die Anbieter nach den Standards unter Einsatz bewährter und zuverlässiger Technik sicher zu stellen. Die technischen Lösungen zur Schaffung der Barrierefreiheit bleiben den Anbietern überlassen. Es wird keine Festlegung im Lastenheft für die Ausschreibung geben auf eine Herstellung der Barrierefreiheit durch eine Niveauregulierung oder ein Kneeling. Die Vorgaben werden gestrichen.
Eine weitere Forderung, die Möglichkeit eines Lückenschlusses zwischen Bahnsteig und Straba-Eingang mit Hilfe einer kleinen Rampe als Einstiegshilfe für Rollstuhlfahrer, wird als Option mit ausgeschrieben.
Die Agenda 21 für Stadt und Landkreis hatte mit ihrem Sprecher Thomas Naumann für viel Nachdenklichkeit gesorgt in einem Brief an die Stadträte.
Darin hatte er sich vehement gegen die Niveauregulierung ausgesprochen. „Wir sind in Würzburg mit einer Bahnsteighöhe von 20 Zentimetern absolute Außenseiter“, hatte er bei einem Redaktionsgespräch gesagt. Das Normalmaß für eine Niederflurstraßenbahn mit Barrierefreiheit liege nämlich bei einer Höhe von 30 Zentimetern.
Agenda setzt auf Rampen
Er setzt auf bewährte Technik, und das seien Rampen für die Rollstuhlfahrer und auf bauliche Veränderungen an den Haltestellen im Stadtgebiet. Diese Veränderungen hatte auch der Verein WüSL – Selbstbestimmt Leben in Würzburg – gefordert. Alle Haltestellen, so die Forderung, sollten von 20 auf 30 Zentimeter angehoben werden.
Lehmann hatte für die entscheidende Sitzung eine Präsentation als Antwort auf die Agenda-Kritik mitgebracht. Er äußerte sich zuerst zu dem Thema Rampen. Würde die Straßenbahn eine Neigung von 18 Prozent statt der in den Regelwerken geforderten zwölf Prozent vom TÜV genehmigt und auch eine Rangierfläche eines Rollstuhlfahrers von 120 statt geforderter 150 Zentimeter erlaubt bekommen, dann könnten 64 Prozent der Haltestellen barrierefrei werden. Ohne Genehmigung des TÜV für den Würzburger Sonderfall wären es nur 50 Prozent.
Barrierefreiheit mit Niveauregulierung
Lehmann nahm sich als nächstes die Niveauregulierung vor. „Wir können damit für alle Haltestellen die Barrierefreiheit schaffen.“ Für ihn ist klar: Unterschiede bei der Höhendifferenz, die größer als fünf Zentimeter sind, müssen durch technische Maßnahmen in Form einer zuverlässigen wartungs- und verschleißarmen Niveauregulierung ausgeglichen werden. Diese Technik werde zum Standard bei nahezu allen derzeit laufenden Fahrzeugausschreibungen. Weltweit führende Zulieferer böten die Technik an genauso wie Fahrzeughersteller.
Lehmann erklärte auch die Folgen einer Erhöhung der Bahnsteigkante auf 30 Zentimeter. Dann müsste die bestehende Straba–Flotte schlagartig still gelegt werden. Bei den Fahrzeugreihen GT-E und GT-N ließen sich nämlich die Türen nicht mehr öffnen. Für Würzburg hieße das, alle Züge durch neue ersetzen, bevor mit dem Umbau begonnen werden könnte. Und der würde drei bis vier Jahre dauern und etwa drei Millionen Euro kosten.
Kritik am Verhalten der Straba-Verantwortlichen
Grünen-Stadtrat Michael Gerr, selbst betroffener Rollstuhlfahrer, kritisierte die Verantwortlichen der WSB: Sie hätten bisher noch nicht mit den Betroffenen selbst geredet, um deren Meinung einzuholen. Es sei ein Gebot der Fairness und Transparenz, den Behindertenbeirat zu beteiligen. Einige Stadträte brachten ihre Meinung so auf den Punkt: Es sei schwierig, diese komplexen technischen Fragen zu bewerten. Auf wen solle man vertrauen: Externen Aussagen oder den eigenen Fachleuten im städtischen Betrieb? Und ein Kritikpunkt war, dass die Aussagen der „Agenda 21“ zwar viel Kritik enthielten, aber schwach bei den Alternativen seien.
Einer sprang den städtischen Fachleuten von der WSB uneingeschränkt bei: Josef Hofmann (FWG) forderte für sie mehr Vertrauen. Aus seiner Erfahrung ist es technisch kein Problem für moderne Hydrauliken, bis zu 60 Tonnen zu heben und Straba-Züge wiegen weniger. Nach zwei Stunden gab es keine Wortmeldungen mehr und die Verantwortlichen der WSB können nun in die europaweite Ausschreibung gehen.