Erst das Knacken der Falttüren, dann der Geruch nach elektrischer Abluft, Öl und etwas Plastik - wer in eine der schmalen, rundlichen Straba-Wagen steigt, betritt das Würzburg der 60er bis 80er Jahre. Diese Reise in die Vergangenheit ist eine Folge des Ausfalls von 21 modernen Straßenbahnen: Seit drei Wochen stehen diese im Depot, weil sie Defekte am Fahrwerk haben könnten. Rund 50 Jahre alte Strabas der Düsseldorfer Waggonwerke (Duewag) sind die Retter in der Not.
"Unsere sechs Duewag-Straßenbahnen sind seit dem 6. November zwischen Sanderau und Hauptbahnhof im Einsatz", sagt Bernd Karl, Geschäftsführer der WVV-Tochter Würzburger Straßenbahn GmbH (WSB). Ohne die Oldies müssten auch hier Busse fahren. Karl: "Wir sind heilfroh, dass sie da sind und so gut in Schuss gehalten wurden."

Normalerweise helfen zwei GT-D8 (achtachsige Gelenktriebwagen) nur bei den Schülerbeförderungen am Morgen und zur Mittagszeit. Jetzt sind alle sechs zwischen 1967 und 1975 angeschafften Straßenbahnen den ganzen Tag im Einsatz. Das lockt Fans aus ganz Deutschland nach Würzburg.
Fotografen warten am Hauptbahnhof und am Betriebshof auf die Duewag-Strabas
Von "Duewag-Festspielen" schreibt jemand im Internetforum Drehscheibe-online, der wie viele andere in den letzten Wochen aktuelle Bilder und Filme der alten Straßenbahnen ins Netz stellte. "Grüppchen von Fotografen stehen am Hauptbahnhof oder auch am Betriebshof in der Sanderau", berichtet Geschäftsführer Karl. Neulich sei einer von ihnen einer Duewag-Straba mit dem Fahrrad gefolgt, um sie von hinten und von vorne abzulichten.

Die Begeisterung für die Strabas der Düsseldorfer Waggonfabrik rührt daher, dass diese ab den 50er Jahren in Deutschland weit verbreitet waren. Heute halten einige Städte sie noch als eiserne Reserve. "So viele Duewag-Straßenbahnen wie aktuell in Würzburg unterwegs sind, fahren aber aktuell nirgendwo in Deutschland herum", sagt Karl.

Aber nicht nur technikaffine Straba-Liebhaber freuen sich. Auch bei vielen Würzburgern wecken die rollenden Museumsstücke nostalgische Gefühle.
"Unsere Mitglieder freuen sich, dass die Duewag jetzt in der Stadt häufig zu sehen ist", sagt Konrad Schliephake, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Würzburger Straßenbahn (IWS). Beim 79-jährigen Schliephake wecken die Straba-Oldies Erinnerungen an seine Kindheit. "Als Bub bin ich mit 5 Pfennigen in der Hand in der Sanderau eingestiegen und in die Stadt gefahren."

Die 145 Fahrerinnen und -Fahrer der WSB haben alle gelernt, auch die Oldies zu fahren. Manche der Kollegen, so berichtet Fahrmeister Alexander Sommer, schätzen das "echte Fahrgefühl" bei den Duewags, obwohl diese weniger Komfort haben. Wie motorisierten Oldtimern fehlt auch Straba-Oldies elektronische Unterstützung beim Anfahren oder Bremsen. Es braucht mehr Gefühl, damit die Räder dabei nicht durchdrehen oder blockieren.
In modernen Straßenbahnen wie den jetzt ausgefallenen GT-N-Zügen steckt mehr Technik - was sie auch problemanfälliger macht. Laut Geschäftsführer Karl liegt das zum Beispiel am barrierefreien Einstieg. Die alten Wagen haben die Antriebstechnik am Wagenboden. Bei den tiefer gelegten neuen, sind Teile davon auf dem Dach - und damit die technisch kompliziertere Variante.

Weil die steilen Stufen der Duewags mit dem Rollstuhl gar nicht und für gehbehinderte Menschen oder mit Kinderwagen nur schwer zu schaffen sind, wird auf deren Strecke aktuell alle 50 Minuten ein Niederflurfahrzeug eingesetzt. "Trotzdem ist die Situation natürlich für manche Fahrgäste schwierig", sagt Karl und berichtet von einigen Unmut, den vor allem die Fahrerinnen und Fahrer zu spüren bekämen.
"Aber die Fahrgäste helfen sich auch vermehrt gegenseitig", beobachtet Karl. So würde älteren Menschen beim Ein- und Aussteigen Unterstützung angeboten und Einkaufstaschen oder Rollatoren die Stufen hochgetragen werden. Damit habe der Einsatz der unkomfortableren Straba-Oldies auch einen positiven Nebeneffekt: Mehr "menschliches Miteinander" im ÖPNV.

Infos zum aktuellen Straßenbahn-FahrplanNachdem ein technischer Defekt an einem Fahrzeug der Baureihe GT-N festgestellt wurde, stehen seit 6. November alle 21 Straßenbahnen der Baureihe still. 19 Straßenbahnen fahren auf den Linien 4 (Sandrau-Hauptbahnhof) und 5 (Rottenbauer-Grombühl) im Zehn-Minuten-Takt, in die Zellerau Busse. Infos: https://www.wvv.de/ersatzfahrplanQuelle: WVV