Pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren sollen im Heim gut versorgt sein. Doch die Einrichtungen stoßen immer häufiger an Grenzen – es fehlt an Personal. Wie schnell muss eine Pflegekraft im Zimmer sein, wenn ein Bewohner geklingelt hat?
Diese Frage steht im Mittelpunkt eines aktuellen Rechtsstreits im Landkreis Würzburg: Das landkreiseigene Kommunalunternehmen (KU), das acht Heime betreibt, klagt gegen das Landratsamt Würzburg. Darf die maximale Wartezeit wirklich nur fünf Minuten betragen? Oder ist es überzogen, wenn die Heimaufsicht diese Frist setzt und bei häufiger Überschreitung ein Zwangsgeld verhängt?
20 und 5o Minuten gewartet: Beschwerde bei der Heimaufsicht des Landkreises Würzburg
Der Fall liegt aktuell beim Verwaltungsgericht in Würzburg. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das Landratsamt erst einmal ausgebremst. Die Entscheidung könnte Präzedenzcharakter für alle bayerischen Seniorenheime haben.
Im Fokus der laufenden Auseinandersetzung steht das Seniorenzentrum in Eibelstadt. Laut Landratsamt geht im November 2021 eine telefonische Beschwerde bei der Heimaufsicht ein, der "Fachstelle Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht" (FQA). Der Vorwurf: Es habe 20 und 50 Minuten gedauert, bis das Pflegepersonal in dem Eibelstädter Heim auf das Rufsignal aus einem Zimmer reagiert habe.

Gleich am nächsten Tag kommt die Heimaufsicht zur Kontrolle in das gut belegte 60-Betten-Haus. Die eingesehenen Rufprotokolle hätten die Beschwerde bestätigt, sagt das Landratsamt. Doch es vergeht mehr als ein halbes Jahr, bis die Heimleitung von der Fachstelle zu dieser Begehung angehört wird. In den Folgemonaten werden weitere Protokolle gesichtet, die Aufsicht drängt auf eine Verbesserung, an der Situation im Heim ändert sich wenig.

Vor Gericht listet das Landratsamt auf: Im Oktober/November 2022 hätten Bewohnerinnen und Bewohner innerhalb von zwei Wochen 149 Mal länger als fünf Minuten auf die Pflegekraft gewartet. 48 Mal habe es über zehn Minuten gedauert, zehn Mal länger als 20 Minuten.
Heimaufsicht des Landkreises Würzburg drohte mit Zwangsgeld
Anfang August 2023, fast zwei Jahre nach dem gemeldeten Vorfall, erlässt das Landratsamt einen Bescheid: Das Seniorenzentrum soll ab sofort im Zwei-Wochen-Takt die Einhaltung der Fünf-Minuten-Frist dokumentieren. Andernfalls sind 3000 Euro Zwangsgeld fällig. Das Kommunalunternehmen hält diesen Bescheid für rechtswidrig und klagt als Heimträger dagegen vor dem Verwaltungsgericht Würzburg.
"Es gab keine konkreten Gefahren für Bewohner, und Notfälle wurden immer rechtzeitig erkannt", sagt Alexander Schraml, zur betreffenden Zeit noch KU-Vorstand und heute Vorstandssprecher der Kommunalen Altenhilfe Bayern. Die Heimleitung bestreitet nicht, dass es oft länger dauert, bis Pflegekräfte ins Zimmer kommen. Dies sei der hohen Arbeitsbelastung geschuldet.
"Es gab keine konkreten Gefahren für Bewohner."
Alexander Schraml, Vorstandssprecher der Kommunalen Altenhilfe Bayern
Die angemahnte Frist sei mit fünf Minuten völlig willkürlich von der Heimaufsicht gesetzt, sagt Schraml. Es gebe dazu keine verbindlichen Normen oder Richtlinien. Pflegekräfte könnten Bewohner gut einschätzen und wüssten, wann schnell auf ein Klingeln reagiert werden muss – und wann nicht. Das KU legt eine Auswertung vom Januar 2023 vor: In 88 Prozent der Fälle wurde eine Frist von zehn Minuten eingehalten. Zu keinem Zeitpunkt sei dadurch jemand gefährdet gewesen, so Schraml.

"Rufsignale im Bereich der stationären Altenpflege sind nicht mit Rufsignalen im Bereich der Krankenhausbehandlung vergleichbar", heißt es in der Klagebegründung. Die Rufanlage einer Senioreneinrichtung sei keine Notrufanlage. Im Seniorenzentrum Eibelstadt gehe es bei den meisten Klingelrufen um alltägliche Bedürfnisse: Toilettengang, Hilfestellungen, Ansprache, Getränke. "Wenn sich die Pflegekräfte stur an die Fünf-Minuten-Frist halten, müssten sie andere Bewohner vernachlässigen", warnt Schraml. Dies könne nicht die Lösung sein.
Landratsamt Würzburg: Bewohner müssten vor Gefährdungen geschützt werden
Das Landratsamt stützt sich seinerseits auf die Umsetzung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes. Anordnungen hätten den Zweck, Bewohner vor Gefährdungen zu schützen. Wartezeiten von mehr als fünf Minuten nach einem Klingelruf seien nicht akzeptabel und "stellen keine angemessene Qualität der pflegerischen Versorgung dar", heißt es in dem Bescheid von August 2023.
Auf Anfrage teilt das Landratsamt mit, die Heimaufsicht sei "aufgrund von mehreren Beschwerden hinsichtlich langer Wartezeiten der Bewohnerinnen und Bewohner auf ausgelöste Rufsignale" tätig geworden. Die gesetzte Frist von fünf Minuten basiere auf einem "intensiven Austausch mit Fachkräften der Sozialmedizin, Sozialpädagogik, Verwaltung sowie ärztlichen Einschätzungen".

Das Verwaltungsgericht Würzburg will den Fall im Hauptsacheverfahren klären. Den Antrag des Heimträgers, die Anordnung der Heimaufsicht bis zur Entscheidung auszusetzen, lehnte es ab. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in Ansbach jedoch hält eine aufschiebende Wirkung der Klage für geboten: Solange kein Urteil vorliegt, muss das Seniorenzentrum die Anweisung nicht umsetzen.
Große Zweifel: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof kritisiert Bescheid der Heimaufsicht deutlich
Die Ansbacher Richter haben "ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Fünf-Minuten-Frist, in Teilen sei der Bescheid rechtswidrig. Die Anordnung sei zu unbestimmt, es würden keine konkreten Maßnahmen benannt. Dazu bezweifelt der Verwaltungsgerichtshof, dass überhaupt ein Mangel vorliegt, der geahndet werden könnte.
Eine fachliche Grundlage für eine Fünf-Minuten-Frist als Qualitätsstandard gebe es nicht, heißt es im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs. Die tatsächliche Reaktionszeit gehe aus den Rufprotokollen auch nicht zwangsläufig hervor. Eine drohende Gefährdung sei nicht hinreichend nachgewiesen, sondern nur abstrakt angenommen worden. Dazu machten Ermessensfehler den Bescheid rechtswidrig. Der Klage des Heimträgers bescheinigt der Verwaltungsgerichtshof "offene Erfolgsaussichten".
Hebt das Landratsamt Würzburg den Bescheid auf?
Ob das Landratsamt Würzburg den umstrittenen Bescheid deshalb noch vor der Hauptverhandlung aufhebt, ist offen. Man werde die Hinweise der Richter in Abstimmung mit der Regierung von Unterfranken und dem bayerischen Gesundheits- und Pflegeministerium prüfen, so Sprecherin Madlen Müller-Wuttke. Eine Entscheidung sei noch nicht getroffen.