Unerschöpfliche Mengen an sauberem Strom und keine Nebenwirkungen: Nach Ansicht diverser Fachleute wäre es ein Durchbruch für die Menschheit – und könnte in einigen Jahren Wirklichkeit werden. Die Rede ist von der Kernfusion, dem Gegenstück zur Kernspaltung in Atomkraftwerken. Mittendrin: ein Unternehmen aus Würzburg.
Die Bilfinger Nuclear & Energy Transition GmbH im Würzburger Stadtteil Dürrbachau hat einen Anteil daran, dass die Forschung vorankommt: Sie stellt hochkomplexe Metallspulen her, deren Magnetfeld das Plasma im Reaktor kontrolliert schweben lässt und von der Reaktorwand fernhält.
Eine wichtige Voraussetzung bei der Kernfusion, denn sie findet in einem wabernden Wasserstoff-Plasma statt, das die Wände des Spezialbehälters nicht berühren darf. Geschieht das doch, bricht die Kernfusion ab.
Wann es vielleicht erste Kraftwerke mit Kernfusion gibt
Noch ist die Forschung nicht so weit, dass alltagstaugliche Kernfusion-Kraftwerke zur Stromerzeugung gebaut werden können. Noch muss mehr Energie in die Kernfusion gesteckt werden, als durch sie erzeugt wird. Und noch sind die erzeugten Plasmaphasen zu kurz für einen Dauerbetrieb.
Wolfgang Walter geht davon aus, dass erste Fusionskraftwerke für die Energieversorgung ab 2040 in Betrieb gehen werden – "plus minus X". Der 54-jährige Physiker ist als Technischer Manager bei Bilfinger in Würzburg mit der Herstellung der Spezialspulen für Kernfusionsreaktoren befasst.
Kernfusion ist wegen der Energiewende ein hochaktuelles Thema – und eigentlich ein altes. Erste internationale Anläufe für die Nutzung als unerschöpfliche Energiequelle gab es bereits vor etwa 80 Jahren. Seither bewegt sich die Forschung weltweit in sehr langsamen Schritten, weil die Materie hochkomplex ist.
Bilfinger arbeitet für Proxima Fusion: Prototyp des Fusionskraftwerks als Ziel
Bilfinger arbeite neuerdings mit dem Unternehmen Proxima Fusion zusammen, sagt Walter. Die Münchener wollen nach eigener Darstellung Anfang der 2030er Jahre den Prototypen eines Fusionskraftwerks bauen.
Das Würzburger Unternehmen werde für Proxima Fusion jene Magnetspulen liefern, die das Plasma in Schach halten, sagt der Technische Manager. Der Auftrag werde "uns vor allem ab dem nächsten Jahr beschäftigen". Über die Auftragssumme schweigt er.
Was Bilfinger in Würzburg mit Wendelstein 7-X zu tun hat
Sicher ist: Es geht um viel Geld. Denn Bilfinger hat laut Walter "einen zweistelligen Millionenbetrag" eingenommen, als das Unternehmen schon in den 1990er Jahren ähnliche Metallspulen für die Kernfusion-Forschungsanlage "Wendelstein 7-X" im mecklenburgischen Greifswald lieferte. Sie läuft seit 2015 unter der Regie des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik und gilt als weltweit größte Anlage ihrer Art. Kosten bislang: eine Milliarde Euro.

Was Bilfinger nach Greifswald lieferte und an Proxima Fusion liefern wird, sieht nach der Montage aus wie um einen riesigen Donut gewickelte Drähte. Die haben es in sich: Laut Walter werden sie in der neuesten Version aus Seltenen Erden hergestellt und sind Supraleiter. Auf minus 273 Grad heruntergekühlte, hat der Strom in diesen Leitungen keinen Widerstand. Er könne deshalb ewig ohne neue Energiezufuhr fließen, so Walter.
Kernfusion: Es geht um extrem hohe Temperaturen
Solche Supraleiter werden in Kernfusionsanlagen an jenen Spezialbehälter montiert, der die Form eines Donuts hat und in dem sich das gut 100 Millionen Grad heiße Plasma befindet. Der Strom in den Supraleitern erzeugt das starke Magnetfeld, das das Plasma in der gewünschten Position hält.
Was Bilfinger zur Marktreife von Fusionskraftwerken beiträgt, hat nach Ansicht von Michael Gehring eine weit greifende Dimension. Der 63-jährige Vertriebsexperte bei Bilfinger geht davon aus, dass weltweit etwa 40 Unternehmen in den Startlöchern stehen, um solche alltagstauglichen Kraftwerke zur Stromerzeugung zu bauen.

Das Würzburger Unternehmen ist eine Verästelung der früheren Noell-Firmengruppe, die bis in die 1990er in der Region ein großer Arbeitgeber der Stahlindustrie war. In den 1960er Jahren stieg Noell in die Nukleartechnik ein. Daraus wurde die heutige Bilfinger Nuclear & Energy Transition GmbH, die mittlerweile zum Mischkonzern Bilfinger in Mannheim gehört und etwa 250 Beschäftigte hat.
Die Würzburger sind nach wie vor intensiv mit der Nukleartechnik befasst. So haben sie einen millionenschweren Auftrag bekommen, Spezialmaschinen für das marode Atommülllager Asse in Niedersachsen zu entwickeln. Mit ihnen sollen später einmal zigtausende von Metallfässern voller radioaktivem Abfall aus dem ehemaligen Bergwerk geholt werden. Eine Herausforderung - mit langsamen Schritten wie die Stromerzeugung aus Kernfusion.
Strom aus Kernfusion Wie auf der Sonne: Beim Verschmelzen bestimmter Atomkerne werden große Mengen Energie frei. Sie kann über einen Wasserkreislauf zum Antrieb von Generatoren und damit für die Erzeugung von Strom verwendet werden. Es entsteht kein radioaktiver Müll wie bei Atomkraftwerken. Für die Fusion werden in Testanlagen Atomkerne von Wasserstoff-Varianten verwendet, die für einen kurzen Moment auf gut 100 Millionen Grad Celsius erhitzt werden. Der Vorgang ähnelt jenem auf der Sonne. Greenpeace hält die Stromgewinnung aus Kernfusion für unrealistisch. Die Politik setzt große Hoffnungen in die Kernfusion. Bayerns Staatsregierung stellte 2023 ihren "Masterplan Kernfusion" vor. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stellte 100 Millionen Euro für die Förderung der Fusionsforschung in Aussicht. Ähnliches hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Eine Milliarde Euro werde in den nächsten fünf Jahren in das Förderprogramm "Fusion 2040" gesteckt, hieß es im März. Um die Kernfusion so bald wie möglich für die kommerzielle Stromerzeugung nutzen zu können, haben sich ein Dutzend bundesdeutscher Unternehmen im Juni zum Verband "Pro Fusion" zusammengeschlossen. Gründungsmitglied ist das Würzburger Unternehmen Bilfinger, der Technische Manager Wolfgang Walter sitzt im Vorstand. aug