Wer alt ist, lebt gefährlicher? Was Stürze betrifft, stimmt das. Ältere fallen häufiger hin, tragen mehr Verletzungen davon. Warum das so ist, was sich dagegen tun lässt und wo Betroffene Hilfe finden, erklärt der Würzburger Altersmediziner Dr. Michael Schwab, Ärztlicher Leiter des Geriatriezentrums im Bürgerspital. Sein Vortrag zu diesem Thema im Würzburger Pflegestützpunkt war binnen weniger Stunden ausgebucht.
Frage: Herr Schwab, warum stürzen eigentlich ältere Menschen häufiger?
Dr. Michael Schwab: Im Alter ist man anfälliger für Gleichgewichtsstörungen. Daran sind Gehirn, Organe und Muskulatur beteiligt. Eigentlich sind die Augen eine sehr gute Kontroll- und Ausgleichsfunktion. Aber gerade im Alter kommt es häufig zu Sehstörungen – was dann leicht das Fass zum Überlaufen bringt. Auch der Verlust der Muskelkraft im Alter erhöht das Risiko für Stürze.

Sind Stürze im Alter auch mit Blick auf gesundheitliche Folgen gefährlicher?
Schwab: Definitiv, sie führen häufiger zu schweren Verletzungen. Das liegt schon daran, dass sturzmindernde Mechanismen nachlassen: Ein junger Mensch kann noch schnell reagieren und stützt sich beim Sturz mit der Hand ab. Ein älterer schafft das nicht mehr – er fällt nicht auf die Hand, sondern auf die Hüfte, die Schulter oder den Kopf. Folgen können ein Oberschenkelhalsbruch, Schulterverletzungen oder sogar Blutungen im Gehirn sein.
Es lässt also die Steuerung nach?
Schwab: Sturzmindernde Reflexe sind einfach nicht mehr so ausgeprägt. Dazu kommen manchmal neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson, die die Bewegung noch stärker beeinträchtigen. Und nicht zu vergessen: Durch altersbedingte Osteoporose sind Knochen bruchanfälliger.

Was sind die häufigsten Verletzungen bei Stürzen im Alter?
Schwab: Zunächst leichtere Verletzungen wie Schürfwunden oder Blutergüsse, die häufig nicht ernst genommen werden – was ein Fehler ist. Ein Sturz sollte nicht bagatellisiert, sondern als mögliches Warnsignal gesehen werden. In schlimmeren Fällen kommt es zu Knochenbrüchen – in Deutschland pro Jahr allein zu 160.000 Oberschenkelhalsbrüchen, rund 90.000 Brüchen des Oberarmknochens und besonders dramatisch: Stürze auf den Kopf, hier geht man von rund 60.000 jährlich aus.
Ein Sturz als "Warnsignal"... wofür?
Schwab: Jeder Sturz braucht einen Grund. Wenn ich stürze, ohne zu stolpern – dann muss ich den Grund finden. Ansonsten kann ich beim nächsten Mal noch viel schlimmer stürzen. Manchmal kommt erst beim Arztgespräch heraus, dass Patienten bereits mehrmals im Jahr gestürzt sind. Ein Sturz kann Hinweis auf eine behandlungsbedürftige Erkrankung sein oder auf Medikamente, die angepasst werden müssen.

Medikamente als Sturzursache?
Schwab: Es gibt Krankheiten, die das Sturzrisiko erhöhen – und Medikamente helfen dagegen. Es gibt aber auch Medikamente, die das Sturzrisiko erhöhen. Bei 20 Prozent der Stürze älterer Menschen findet man Medikamente, die eher ungünstig sind. In der Regel sind es Mittel, die dem Gehirn an Wachheit nehmen – wie etwa Schlaftabletten. Nicht selten werden zu viele Medikamente eingenommen, man sollte sie jährlich auf den Prüfstand stellen, gemeinsam mit dem Arzt.
Wo passieren denn die meisten Altersstürze?
Schwab: Da lohnt sich der Vergleich zwischen Straßenverkehr und dem eigenen Haushalt. Nach Zahlen von 2023 sind bei Unfällen im Straßenverkehr 1217 Menschen über 65 Jahren zu Tode gekommen, im Haushalt waren es 14.874 – in der Regel verbunden mit einem Sturz. In den eigenen vier Wänden ist es also am gefährlichsten. Dazu kommt eine dramatische Zahl: Allein in Deutschland kommt es pro Jahr zu einer Million Treppenstürzen mit 3000 Todesfällen. Die Treppe ist der gefährlichste Ort für einen älteren Menschen.

Warum ausgerechnet die Treppe?
Schwab: Weil die Treppe mehrere Herausforderungen verbindet: Gehen, stehen und die Anpassung an die Höhe. Man muss die Stufen richtig erkennen – das Kontrastsehen lässt im Alter nach – und richtig reagieren. Und vor allem: Sie verzeihen keine Fehler. Wenn ich auf der Treppe stürze, sind die Folgen oft fataler, weil man häufiger mit dem Kopf aufschlägt – wobei die erste und die letzte Stufe erwiesenermaßen die gefährlichsten sind. Studien haben außerdem gezeigt, dass sich mit Gleitsichtbrillen das Sturzrisiko auf der Treppe erhöht. Der untere Brillenbereich ist auf Leseabstand eingestellt, Menschen gehen deshalb mit der Gleitsichtbrille die Treppen oft unsicherer als ohne Brille. Weiterer Fehler: Auf der Treppe etwas zu tragen und die Stufen gar nicht zu sehen. Gehen ohne zu sehen – das ist eine der Todsünden.
"Wer über 70 ist und krank, sollte nicht mehr auf eine Leiter steigen."
Dr. Michael Schwab, Altersmediziner
Wo lauern sonst noch Sturzgefahren?
Schwab: Das zweite große Risiko sind die Lichtverhältnisse. Augen können viel ausgleichen, aber nicht in der Dunkelheit – da ist es dann besonders gefährlich. Einer der großen Fehler: Kein Licht anmachen und im Dunklen gehen. Und schließlich: die Leiter. Wer über 70 ist und krank, sollte nicht mehr auf eine Leiter steigen, über 80-Jährige nicht mehr, selbst wenn sie gesund sind. Die Leiter ist gefährlich, man fällt tief. Sie sollte tabu sein, wenn ich nicht mehr sicher auf den Beinen bin.
Gibt es Dinge, die man daheim verändern sollte?
Schwab: Es sollte natürlich keine Stolperfallen geben, die sollte man schnellstmöglich beseitigen. Dazu Licht, Licht, Licht. Und wenn ich unsicher bin, brauche ich eben Hilfsmittel – zum Beispiel einen Handlauf an der Treppe. Den muss man dann aber auch benutzen.

Gibt es so etwas wie ein Anti-Sturz-Training?
Schwab: Untersuchungen haben gezeigt: Wenn man drei Monate ein- bis zweimal pro Woche trainiert, kann man das Sturzrisiko um 30 Prozent senken. Das ist sehr viel und bringt mehr als jedes Medikament, das man dafür einnehmen würde. Man kann dazu einen Kurs – zum Beispiel in Vereinen – besuchen und dann zu Hause weitertrainieren. Wer es sich zutraut, kann auch mit Büchern arbeiten und sich Übungen heraussuchen. Man sollte beides trainieren: Gleichgewicht und Kraft.
Und wenn es dann doch passiert ist: Wie verhalte ich mich nach einem Sturz richtig?
Schwab: Jeder Sturz bedarf einer Klärung. War es nur die Stolperfalle? Ansonsten sollte man gemeinsam mit dem Hausarzt nach dem Grund suchen. Bin ich zweimal innerhalb von zwölf Monaten gestürzt: Immer zum Arzt gehen!