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Veitshöchheim: Transidenter Pfarrer: Ehrlichkeit kostet Mut - und zahlt sich aus

Veitshöchheim

Transidenter Pfarrer: Ehrlichkeit kostet Mut - und zahlt sich aus

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    Der Veitshöchheimer Pfarrer Sebastian Wolfrum wechselt an die Landeskirche Braunschweig. Im Gespräch erzählt er, wie er in der Gemeinde die prägendsten Jahre seines Lebens erlebt hat.
    Der Veitshöchheimer Pfarrer Sebastian Wolfrum wechselt an die Landeskirche Braunschweig. Im Gespräch erzählt er, wie er in der Gemeinde die prägendsten Jahre seines Lebens erlebt hat. Foto: Thomas Obermeier

    Über zehn Jahre lang hat er die Gottesdienste in der evangelischen Kirche Veitshöchheim gehalten – erst als Frau, dann als Mann. Zumindest äußerlich. Sebastian Wolfrum wurde im falschen Körper geboren, hat über 40 Jahre lang als Mann im Körper einer Frau gelebt, bis er sich dazu bekannt hat, transident zu sein. Seine "Häutung", wie er seine bewusste Entscheidung nennt, verkündete er 2017 in der Kirche. Bis dahin war es für ihn ein langer Prozess. Jetzt verlässt der 49-Jährige Veitshöchheim und wechselt an die Landeskirche Braunschweig. Im Gespräch erzählt Wolfrum offen, wie er die prägendsten Jahre seines Lebens in der 10 000-Einwohner-Gemeinde erlebte und wie die Menschen ihm dort zeigten, dass sich Mut und Ehrlichkeit auszahlen.

    Frage: Sie haben im Mai unter Corona-Bedingungen geheiratet. Herzlichen Glückwunsch erst einmal. Wie haben Sie gefeiert?

    Sebastian Wolfrum: Vielen Dank! Wir haben noch gar nicht wirklich gefeiert. Im Mai war nur die standesamtliche Hochzeit in Veitshöchheim im kleinen Kreis. Die kirchliche Hochzeit mit großer Feier war für den Sommer in Braunschweig geplant, die haben wir nun aber auf das nächste Jahr verschoben. Es wird alles etwas kleiner, aber natürlich nicht weniger schön.

    Nach über zehn Jahren als Gemeindepfarrer in Veitshöchheim werden Sie im September in die Landeskirche Braunschweig wechseln, in der bereits schon Ihre Frau seit Jahren arbeitet. Mal Hand aufs Herz. Freuen Sie sich auf einen neuen Schritt? Oder sind Sie traurig, Veitshöchheim zu verlassen?

    Wolfrum: Es ist eine Mischung aus allem. Ich freue mich natürlich, nicht mehr so viel Lebenszeit im ICE zwischen Würzburg und Braunschweig verbringen zu müssen. Auch freue ich mich sehr auf meine neue Stelle. Sie ist ganz anders als bisher, eine ganz andere Art von Pfarrdienst. Aber natürlich verlasse ich nach zehn Jahren Veitshöchheim nicht jauchzend und jubilierend. Ich war und bin sehr gerne hier in der Gemeinde. Hier haben wir ein großes Projekt, die Umgestaltung der Kirche – auf den Weg und zu Ende gebracht. Es sind Beziehungen und Freundschaften gewachsen. Ich werde viele Menschen zurück lassen, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, da ist natürlich ein bisschen Wehmut dabei. 

    Pfarrer Sebastian Wolfrum verlässt nach zehn Jahren die Pfarrgemeinde Veitshöchheim. 
    Pfarrer Sebastian Wolfrum verlässt nach zehn Jahren die Pfarrgemeinde Veitshöchheim.  Foto: Thomas Obermeier

    Sie sagen, dass Ihre neue Stelle eine ganz andere Art von Pfarrdienst ist. Was kann man sich darunter vorstellen?

    Wolfrum: Ich werde in den Bereich der Kindertagesstättenfachberatung wechseln. Und werde dort die Leitung dieses Arbeitsbereiches in der Landeskirche übernehmen. Gleichzeitig bin ich auch für die religionspädagogische Aus- und Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kitas und für die Begleitung der Träger zuständig.

    In Veitshöchheim haben Sie die wahrscheinlich prägendsten Jahre Ihres Lebens erlebt. In dieser Zeit haben Sie sich geoutet, zwar in einem Frauenkörper geboren, aber ein Mann zu sein. Was hat sich seit Ihrem Outing geändert?

    Wolfrum: Das ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Vieles ist stimmiger geworden, nun bin ich mit mir selber im Reinen und das haben auch die Menschen hier in der Gemeinde erlebt. Oft hatten wir die Situation – was ich im Nachhinein erfahren habe – dass die Menschen mich nicht richtig verstanden und mich oft als unruhigen Geist erlebt haben. Das ist weg. Dieses 'Bei sich selber ankommen' hat große Auswirkung auf die Arbeit, weil man diese nun endlich vernünftig machen kann und nicht mehr ständig gegen sich selber arbeiten muss. Da hat sich vieles gelöst, befreit. Ich bin zur Ruhe gekommen. 

    Welche Rückmeldungen haben Sie aus der Gemeinde bekommen?

    Wolfrum: Viel Wohlwollen, Akzeptanz und Respekt für den Schritt, sich so zu zeigen, wie man wirklich ist. Natürlich gab es auch kritische Stimmen und den ein oder anderen, der in die Distanz gegangen ist. Manche Menschen sind zurückgekommen, manche sind in der Distanz geblieben. Was ich jedoch gar nicht erlebt habe, waren offene Angriffe oder einen Proteststurm gegen meine Person. Menschen sind auf mich zugekommen und haben mir erzählt, dass sie Freunde und Bekannte haben, denen es ähnlich geht, wie mir es ging. Das ist natürlich eine gewisse Entlastung, zu merken, ich bin nicht der einzige. 

    Wurden Sie von diesen Menschen oder Gleichgesinnten auch um Rat gefragt?

    Wolfrum: Ja! Sogar bis zum heutigen Tag. Menschen rufen mich an oder schreiben mir – sei es per Mail oder über Social Media. Viele Personen haben Fragen bezüglich des kirchlichen Kontextes, wie dies mit dem Glauben vereinbar sei oder, dass sie Angst haben, von der Kirche nicht akzeptiert zu werden. Doch ich habe festgestellt, dass in den Kirchengemeinden sehr viel Offenheit diesbezüglich herrscht. 

    "Ich habe immer gespürt, dass ich angenommen werde, wie ich bin. Dass ich so sein darf, wie ich bin."

    Sebastian Wolfrum

    Apropos Glaube: Wie hat Ihr Glauben Ihnen in der Zeit vor dem Coming-Out geholfen?

    Wolfrum: Ich habe immer gespürt, dass ich angenommen werde, wie ich bin. Dass ich so sein darf, wie ich bin. Von Gott fühle ich mich durch mein Leben getragen. Ich werde begleitet durch alle Höhen und Tiefen. Der Vers aus der Bibel 'Ich kannte dich, bevor ich dich im Mutterleib gemacht hab' bedeutet mir sehr viel.

    Haben Sie seit Ihrem Outing den Gottesdienst anders gehalten?

    Wolfrum: Von den Abläufen her hat sich nichts verändert. Meine Gemeindemitglieder sagen mir immer wieder, dass sie mich seitdem ruhiger und klarer erleben – sei es in der Predigt oder im Handeln am Altar. Ich strahle Ruhe aus, die ich vorher nicht hatte. Das tut dem Gottesdienst sehr gut.

    Sie sind nun verheiratet, haben lesbisch gelebt, waren verheiratet mit einem Mann. Inwiefern helfen Ihnen diese Erfahrungen, jetzt das Amt in Braunschweig anzugehen?

    Wolfrum: Was einem in der Seelsorge immer hilft, ist zu wissen, dass das Leben ganz schön kompliziert sein kann. Und dass es nicht immer gerade Lebensläufe gibt, sondern dass Menschen in sehr unterschiedlichen Zugbewegungen unterwegs sind. Außerdem haben wir in den Kitas Kinder aus den unterschiedlichsten Familienkonstellationen, hierfür möchte ich eine gewisse Sensibilität schaffen. Es ist völlig normal, dass Kinder von Mann und Frau, von zwei Frauen, von zwei Männern oder von Transidenten erzogen werden. Die Kinder müssen ermutigt und gestärkt werden, zu ihren Eltern zu stehen und sich zu trauen, von ihren Eltern zu erzählen. 

    Was nehmen Sie aus ihrer Zeit in Veitshöchheim mit?

    Wolfrum: Ich nehme mit, dass sich Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz auszahlen. Ich bin sehr früh offen und ehrlich mit meiner Gemeinde umgegangen, das erfordert Mut, denn man weiß nie, wie die Menschen reagieren werden. Als ich 2012 meine Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, öffentlich gemacht habe, habe ich ein Stück weit etwas riskiert. In Veitshöchheim wurde mir sehr viel Sympathie und Vertrauen entgegen gebracht, weil die Menschen mich nun besser verstehen konnten. Ehrlichkeit zahlt sich aus, auch wenn es manchmal sehr anstrengend sein kann und Mut kostet. Außerdem nehme ich aus meiner Zeit hier mit, dass es gut ist, zu seinen Entscheidungen zu stehen und Gremien im Kirchenvorstand, aber auch die Gemeinde, sprachfähig zu machen. Das Miteinander in der Arbeit hat uns in der Kirchengemeinde enorm dabei geholfen, etwa die Generalsanierung der Christuskirche, bei der wir massiv in den liturgischen Raum eingegriffen haben, gut zu planen und durchführen zu können. 

    Zum guten Schluss: Auf was freuen Sie sich besonders in Ihrer neuen Heimat? Haben Sie schon die Braunschweiger Mumme probiert?

    Wolfrum: (lacht) Ja, das ist ein ganz typisches Malzgetränk in Braunschweig. Ich freue mich besonders auf die Landschaft. Viel Grün, viel Wasser, da schlägt das Herz des Anglers etwas höher. Der Main ist zu kompliziert zum Angeln, da ist es in Braunschweig etwas einfacher. Besonders gespannt bin ich außerdem auf den Menschenschlag.

    Was bedeutet transident?Als transident werden Menschen bezeichnet, die bei ihrer Geburt einem Geschlecht zugeordnet wurden, deren körperliche Erscheinung auch eindeutig männlich oder weiblich erscheint, deren Geschlechtsidentität aber damit nicht übereinstimmt.Transident ist ein Synonym zu "transsexuell". Der Begriff wurde in den 1980er Jahren eingeführt, um deutlich zu machen, dass es um eine Frage der Identität geht und nicht um eine Frage der Sexualität, wie es das Wort "transsexuell" fälschlicherweise suggeriert.Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

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