Und nun? Was sollen wir tun? Erstaunlich oft ist die Frage an diesem Montagabend zu hören. Erstaunlich deshalb, weil zuvor ein rhetorisch begnadeter Naturwissenschaftler eine knappe Stunde lang dargelegt hat, wie wir die Erde zugrunde richten. Weil er mit der analytischen Schärfe des Astrophysikers die fatalen, menschengemachten Veränderungen unserer Lebensgrundlage seziert hat. Und weil er mit dem ethischen Kompass des Philosophen den Zuhörern die gravierenden Folgen von Beschleunigung und Ökonomisierung für die Natur vor Augen führte.

Der Mensch, so die Kernbotschaft von Harald Lesch beim Diözesanempfang mit Bischof Franz Jung in Würzburg , lebt so, als sei er nicht auf die Natur angewiesen. Als könne er sie ohne negative Konsequenzen beliebig (ver)formen, besser gesagt: verhackstücken. Da bleibt vielen der 1200 Gäste im großen Hörsaal an der Hubland-Uni und in den beiden Sälen, in die der Auftritt live übertragen wird, nur ein Gefühl der Ohnmacht. Was sollen wir tun?
Die Zeichen stehen auf Sturm, aber wir können ihn noch verhindern."
Harald Lesch (58), Physiker und Naturphilosoph
Als "niederschmetternd" habe sie die Rede erlebt, sagt die evangelische Dekanin Edda Weise hinterher. Und ja: Der aus dem Fernsehen ("Leschs Kosmos") bekannte Physiker der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ist schonungslos. Hoffnungslos ist er nicht. Ohnmacht will er gerade nicht verbreiten, sondern Mut machen, dass die Kurve noch zu kriegen ist: "Die Zeichen stehen auf Sturm", sagt Lesch zum Schluss und erntet dafür einen langen Applaus, "aber wir können ihn noch verhindern." Unsere Gesellschaft habe kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.
Vielleicht ist es gerade die fachliche Versiertheit, die einen so nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Der 58-Jährige muss kein Moralin auftragen. Er, der Naturwissenschaftler, schildert die Dinge, wie sie sind. Das ist deprimierend genug. Die moralischen Imperative entstehen in den Köpfen der Zuhörer, oder: durch religiöse Richtschnüre. "Die Schöpfung bewahren" nennt Bischof Franz Jung das, was Wissenschaftler Lesch als "Retten der Natur" bezeichnet, die eben keine Umwelt sein soll, sondern eine "Mitwelt".
Wissenschaft mit ethischer Verantwortung
Hier die Religion, dort die Naturgesetze? An diesem Abend wird der vermeintliche Kontrast aufgehoben, denn mit Harald Lesch hat die Diözese (nach einem Jahr Pause wegen der Bischofsvakanz) einen Grenzgänger eingeladen. Einen, der sich in der Schnittmenge zwischen Naturwissenschaft und Religion bewegt. Für den das eine ohne das andere kaum denkbar ist. Einen Forscher, der wissenschaftliches Tun durch ein ethisches Prüfraster laufen lässt mit der Frage: Dient die Anwendung tatsächlich der Menschheit?
Eingeladen hat die Diözese einen bekennenden Protestanten, der ernst, eindringlich und nachdenklich seine Zuhörer in den Bann zieht, genauso aber mit Unterhaltungswert und einer Portion kabarettistischem Talent. Und einen, der über sich selbst schmunzeln kann: "Als Astrophysiker werde ich gerne zu Vorträgen eingeladen." Denn seine Grundlagendisziplin gelte als "mostly harmless" - weit entfernt von konkreter Anwendung und Versuchungen der Industrie, auf die wissenschaftliche Forschung Einfluss zu nehmen.
"Digitalisierung ist allein dazu da, um noch mehr Geld zu verdienen."
Harald Lesch (58), Physiker und Naturphilosoph
Dass nach Google jetzt auch Facebook massiv Gelder in die Erforschung Künstlicher Intelligenz an der TU München steckt - das will Lesch aus Respekt gegenüber den universitären Kollegen im Gespräch mit der Redaktion lieber nicht kommentieren. An der fortschreitenden Digitalisierung als solcher aber lässt er im Vortrag kein gutes Haar: "Das ist keine Bewegung, um die Welt besser zu machen, sondern allein dazu da, um noch mehr Geld zu verdienen."

Ein Urteil, das in seiner Pauschalität nicht allen Zuhörern gefällt. Doch Lesch stellt den vermeintlichen Gewinn der Beschleunigung in Frage, wägt ihn ab gegen einen zerstörerischen Energieverbrauch. Er hat kein Smartphone, hält es für einen Energiefresser. Er will bewusst nicht permanent online und erreichbar sein - eine Stunde am Tag in den e-Mails reiche.
Plädoyer für das Innehalten
Zu greifen ist an diesem Abend im Saal das kollektiv schlechte Gewissen, dass wir mit unserem westlichen Lebensstil den Planeten ruinieren. Aber nicht nur das: dass wir das Menschsein verlernen, weil unser Alltag bestimmt wird von materiellem Verschleiß, Gewinnmaximierung und fehlender Zeit für den Mitmenschen. Lesch sieht Vorträge wie beim Diözesanempfang als "Unterbrecher". Er wünscht sich solche Momente, Stunden, Tage des Innehaltens - zur Konzentration aufs Wesentliche.

Verzweifelt er nicht an der ökologischen Schwerfälligkeit und Untätigkeit? "Aufgeben ist keine Option", sagt der Physiker im Gespräch. Er halte es mit seiner Großmutter: "Handele jeden Tag so, dass Du morgen in den Spiegel schauen kannst und Du Dich nicht anspucken musst."
"Die Rettung der Erde geht nicht ohne unseren Verzicht."
Franz Jung, Bischof von Würzburg
Und Würzburgs neuer Bischof Franz Jung? Der mahnte in seiner Eingangsrede eine "gemeinsame Kraftanstrengung" an, zitierte aus der Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus, kritisierte die "Dominanz der Ökonomie und des Geldes" in Verbindung mit einem Dogma des Wachstums. Und der Bischof gab auch eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist: "Die Rettung der Erde geht nicht ohne unseren Verzicht."

Für Jung war es der erste Diözesanempfang in Würzburg, er wurde sogar übers Internet übertragen. Einigen hundert Interessenten musste die Akademie Domschule als Veranstalter absagen, so groß war die Resonanz. Wohl auch wegen des Neuen auf dem Bischofstuhl. Geduldig begrüßte Jung alle Gäste per Handschlag - und war ihm zu Beginn noch eine leichte Anspannung, ein inneres Sortieren anzumerken, so wurde er im Laufe des Abends immer gelöster, zahllose Teilnehmer suchten den direkten Austausch mit ihm. Der Bischof nahmt sich Zeit für alle, hörte zu - mal nachdenklich, dann wieder mit seinem herzerfrischenden Lachen. An diesem Montagabend, so der Eindruck, ist er ein weiteres Stück mehr in Würzburg angekommen.