Hierher kommt man, um Quellenstudium zu betreiben. Die Vergangenheit zu erforschen. Licht in dunkle Zeiten zu bringen. Dr. Ulrich Wagner tut dies seit 31 Jahren von Berufs wegen: So lange leitet er das Würzburger Stadtarchiv. Wenn er zum Jahresende in den Ruhestand geht, wird er „seiner“ Einrichtung weiter treu bleiben: „Dann werde ich als ganz normaler Besucher herkommen.“ Ob das nicht etwas seltsam sein wird? Wagner lacht: „Doch. Das denke ich schon!“
Gut erinnert sich der Historiker, wie das war, als er im September 1983 erstmals das Stadtarchiv betrat: „Ich war auf der Rückreise von einem Archivtag.“ Damals war er noch im Heidelberger Stadtarchiv als Leiter tätig, hatte sich jedoch schon auf die ausgeschrieben Stelle in Würzburg beworben. So machte er einen spontanen Stopp. Von den Würzburger Beständen war er äußerst angetan. Aber nicht nur davon.
Auch das Gebäude in der Neubaustraße war so ganz nach seinem Geschmack. Wie wunderschön das Treppenhaus, wie beeindruckend die Decke! Diese Faszination hat bis heute nicht nachgelassen. Wagner. „Ich gehe jeden Morgen sehr gern die Treppe in den Greisinghäusern hinauf.“ Auch wenn ein Stresstag bevorsteht.
Die Verwaltungsaufgaben halten mitunter enorm auf, gibt Wagner im Rückblick zu: „90 Prozent dessen, was ich tue, hat mit Verwaltung oder Organisation zu tun.“ Ist also mit Finanz- oder Personalfragen verknüpft. Oder mit bayernweiter Gremienarbeit. Seine Leidenschaft, historische Forschung zu betreiben, stand oft hintan: „Bücher kann man als Archivleiter eigentlich nur am Abend oder am Wochenende verfassen.“ Oder im Ruhestand. Zwei große Projekte hat sich der 66-Jährige für die Zeit nach dem Dienst im Archiv vorgenommen. Zum einen will er über den Bauernkrieg in Würzburg und Mainfranken forschen. Zum anderen ein Urkundenbuch verfassen.
Myriaden von Geschichten
Es sei ihm noch keinmal langweilig geworden, in all den 31 Jahren, betont Wagner, dessen Begeisterung für Geschichte sofort auf seinen jeweiligen Gesprächspartner überspringt. Jedes Regal im Archiv kann eine neue Überraschung bergen. Aber auch die Aufgaben, die durch die Stadtverwaltung an ihn herangetragen werden, erledigt Wagner gern. Manchmal wird eine ältere Personalakte benötigt, die in der zeitgeschichtlichen Sammlung des Archivs ausgehoben werden muss. Manchmal ist das Wissen des Historikers bei Projekten der Stadtverwaltung gefragt. So sind Wagner und sein Team selbstverständlich in das Projekt „Erinnerungskultur“ eingebunden.
In einem Stadtarchiv sind Myriaden von Geschichten gespeichert. Selbst ein Archivleiter lernt nur einen Bruchteil von ihnen kennen. Deshalb ist es auch kaum möglich, nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst einfach einen „Cut“ zu machen. Insgesamt acht Jahre, so Wagners Plan, möchte er sich mit den im Archiv aufbewahrten, historischen Urkunden aus der Zeit zwischen 1400 und 1440 befassen: „Es soll zwei Bände geben, die jeweils 20 Jahre beinhalten. Für jeden Band plane ich vier Jahre.“ Wunderschöne Urkunden mit beeindruckenden Siegeln schlummern im Stadtarchiv.
Sie wurden zum Beispiel ausgestellt, wenn ein Bürger wegen einer Schandtat in „Acht“ genommen werden musste. Auch wegen nicht zurückgezahlter Schulden konnte die Acht verhängt werden. Eine wunderschöne Urkunde aus dem Jahr 1563 stammt von Kaiser Ferdinand I. Darin verhängte dieser die Reichsacht über den fränkischen Reichsritter Wilhelm von Grumbach.
Ulrich Wagner nimmt nie einen Kugelschreiber zur Hand: „Dafür Füller und Bleistift.“ Was nicht heißt, dass sich der Archivleiter den neuen Medien verschließen würde. Ganz im Gegenteil. Digitalisierung und Verfilmung sieht er als äußerst wichtige Aufgabe eines modernen Archivs an. So wurden während seiner Amtszeit sämtliche Ratsprotokolle sicherheitsverfilmt und Repetorien sowie Bestände digitalisiert. Alle städtischen Urkunden vor 1500 sind inzwischen mit Regesten auf der Homepage des Projekts „Monasterium“ einsehbar. Über RISM, dem Internationalen Quellenlexikon der Musik, kann auf die Musikaliensammlung des Archivs zugegriffen werden.
Würzburger Stadtgeschichte
Zu den ersten Aufgaben Ulrich Wagners nach seinem Dienstanritt am 1. Oktober 1983 gehörte es, sich einen Überblick über den Stand der stadtgeschichtlichen Forschung zu machen. Trotz hervorragender Archivbestände gab es damals keine geschlossene Würzburger Stadtgeschichte. Zum Stadtjubiläum 2004 gab Ulrich Wagner eine dreibändige Stadtgeschichte heraus. Der erste Band erschien 2001, der zweite 2004, der dritte 2007. Das Interesse an der Veröffentlichung war immens. Die ersten beiden Bänden sind denn auch vergriffen. Als Vorbereitung zu den drei Bänden wurden von Wagner drei stadtgeschichtliche Symposien organisiert. Text: Pat