Wenn Tobias schlafen geht, dann macht er sich zuerst eine Wärmflasche. "Die packe ich immer ins Bett rein", sagt der BWL-Student. Tobias heißt eigentlich anders, aber er möchte anonym bleiben. Dass er es sich nicht leisten kann, die Heizung aufzudrehen, sollen nicht alle wissen.
Das Haus, in dem Tobias wohnt, ist alt. Sein Schlafzimmer karg. Lediglich ein Bett, ein Regal und ein in die Jahre gekommener Heizkörper befinden sich in dem Raum. Durch die Fensterfront zieht es. Geheizt werden in der WG trotzdem nur die Küche und das Bad. "Keiner von uns heizt sein Zimmer, das wäre finanziell gar nicht möglich", sagt der 26-Jährige. "Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich meine Heizung anhatte." Seine finanzielle Situation belastet ihn. Wie ihm geht es vielen Studierenden, die bald ihre Nebenkostenabrechnung erhalten.

"Der Winter war hart, wenn man morgens aufwacht und seinen eigenen Atem im Zimmer sieht, ist das schon ein Problem", erzählt Tobias. Rund 850 Euro hat er im Monat zur Verfügung. 650 Euro stammen aus einem KfW-Studienkredit, 200 Euro bekommt er von seiner Mutter. "Für sie ist das auch eine finanzielle Belastung", sagt er. "Meine Eltern sind getrennt und meine Mama hat auch nicht viel. Es fällt mir schon schwer, das anzunehmen, aber ich brauche diese extra Finanzspritze." Am Ende des Monats bleibe trotz großer Einschränkungen kaum Geld übrig.
Viele Studierende haben noch keine Energiepauschale bekommen
Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 etwa 38 Prozent der Studierenden in Deutschland armutsgefährdet. 2023 dürften es aufgrund von Inflation und Energiekrise wesentlich mehr sein.
Dass viele Studierende bislang noch keine Energiepauschale erhalten haben, findet Tobias ungerecht. "Die Regierung preist es immer als effektive Soforthilfe an, aber es ist weder effektiv, noch sofort. Ich fühle mich schon ein Stück weit alleingelassen", sagt der BWL-Student. "Aus meiner Perspektive sind 200 Euro schon viel, aber im Großen und Ganzen wird davon nicht viel übrigbleiben. Es deckt gerade so die Kosten, für mehr ist es auch nicht gedacht."
Das über Jahre aufgebaute Finanzkonstrukt einiger Studenten fällt in sich zusammen
Bei der Sozialberatung des Studentenwerkes Würzburg habe ein Großteil der Studierenden "Fragen hinsichtlich der Studienfinanzierung", erklärt man dort auf Nachfrage. Das kann auch Daniel Janke bestätigen, der sich neben seinem Informatikstudium bei der Studierendenvertretung der Uni Würzburg engagiert. Früher hätten sich die Studentenanfragen vorrangig um das Studium gedreht, aktuell habe er "jede Woche einen Fall mit finanziellen Sorgen". Oft gehe es um unvorhergesehene Einmalkosten – wie ein kaputter Herd oder Ofen. In letzter Zeit bezögen sich die Anfragen aber zunehmend auch auf steigende Nebenkosten.
"Ich kenne Studierende, die haben ihren Master zur Hälfte fertig und brechen ab, weil sie ihn sich nicht leisten können."
Daniel Janke von der Studierendenvertretung der Uni Würzburg
"Die Studierenden sagen: Jetzt funktioniert das Finanzkonstrukt, das ich mir über die Jahre gestrickt habe, nicht mehr, weil es so geplant war, dass es gerade so aufgeht", sagt er. Darunter seien viele, die bereits 20 Stunden neben dem Studium arbeiten würden und versuchten beides unter einen Hut zu bringen.

"Ich kenne Studierende, die haben ihren Master zur Hälfte fertig und brechen ab, weil sie ihn sich nicht leisten können", berichtet Janke. Andere wiederum würden sich eine Vollzeitstelle suchen und Seminare nur noch am Wochenende oder im Block belegen. Das widerspreche aber dem Sinn eines Vollzeitstudiums.
Er selbst habe trotz Bafög in Höhe von 700 Euro und finanzieller Unterstützung seiner Eltern circa 350 bis 400 Euro im Monat übrig. Ein Luxusleben könne er sich nicht leisten, weshalb auch ihm unvorhergesehene Kosten Sorgen bereiten. "Wenn die Nebenkostenabrechnung kommt und ich 150 bis 200 Euro nachzahlen muss –wovon ich ausgehe – dann werde ich die Energiepauschale brauchen", sagt Daniel Janke. Trotzdem komme der Zuschuss für viele Studierende zu spät. "Manche haben bereits einen Kredit aufgenommen, weil sie die Nebenkostenerhöhung schon im letzten Jahr erhalten haben."
Selbst Studenten, die nebenbei arbeiten, haben zu wenig zum Leben
Mithilfe von Krediten hat auch Sohraab Sherzad, der Nanostrukturtechnik an der Universität Würzburg studiert, phasenweise sein Studium finanziert. Wie schlecht es um seine finanziellen Verhältnisse bestellt ist, musste er im April 2020 an der Supermarktkasse erfahren, als er seinen Einkauf nicht mehr bezahlen konnte.
"Als das passiert ist, habe ich mich schon etwas geschämt und war auch überrascht. Du stehst an der Kasse, in der Öffentlichkeit, und deine Karte funktioniert nicht. Du weißt nicht, wieso und alle warten darauf, mit ihrem Einkauf fertig zu werden." Daraufhin hat er sein Konto gecheckt und festgestellt, dass er es überzogen hatte. "Ich wusste nicht, was ich in dem Moment machen sollte, weil noch der halbe Monat bevorstand", erzählt der 28-Jährige. Dabei hatte er Anfang 2020 eine Zusage für einen Minijob in der Gastronomie gehabt - doch dann mussten Restaurants, Cafés und Hotels aufgrund der Corona-Pandemie schließen.
Steigende Schulden durch Bankdarlehen
"Ich hätte meine Freunde, meinen Bruder oder meine Eltern fragen können, ob sie mir aushelfen. Meine Eltern hätten das auch sofort gemacht, aber da sie eh kaum Geld haben, wollte ich das nicht", sagt Sohraab Sherzad. Schließlich wandte er sich an seinen Bruder.
"Was mir finanziellen Druck gemacht hat, sind die Schulden, die immer mehr wurden", berichtet Sherzad. Da er in seinem Bachelorstudium die Regelstudienzeit überschritten hatte, wurde ihm das Bafög gestrichen. 2018 nahm er ein einjähriges Bafög-Bankdarlehen der KfW von fast 8000 Euro zu einem Zinssatz von 2,8 Prozent in Anspruch. 2019 musste er für sechs Monate einen weiteren Studienkredit in Höhe von 3.900 Euro bei einem Zinssatz von 6,1 Prozent beantragen. Kredite, die er nun zurückbezahlen muss.

Der Moment an der Supermarktkasse liegt mittlerweile drei Jahre zurück, doch der Student schließt nicht aus, dass ihm das nochmal passieren könne. Derzeit hat Sohraab Sherzad knapp 900 Euro monatlich zur Verfügung – wovon die Hälfte für Miete draufgeht – und liegt damit unter der Armutsgrenze von 1251 Euro pro Monat für einen Single-Haushalt. Finanzielle Unterstützung in Form eines Zuschusses hätte auch er schon längst gebraucht, obwohl er bis vor kurzem neben dem Studium gearbeitet hat.
Unvorhergesehene Ausgaben werden aufgrund von Inflation und Energiekrise zum Problem
Eigenes Geld verdient hat auch Lukas. Er möchte anonym bleiben und heißt in Wirklichkeit anders. Der Student, der gerade sein Staatsexamen absolviert hat, ist aufgrund von unvorhergesehenen Ausgaben in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Über die Jahre hatte er sich circa 4000 bis 5000 Euro als kleines Polster zur Seite gelegt. "Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich davon jeden Monat 500 Euro nehme, dazu kommen 450 Euro durch meinen Nebenjob, dann komme ich finanziell gut rum", erzählt er. Bis zum Ausbruch der Pandemie habe das auch funktioniert, dann sei es schwerer geworden, Geld auf die Seite zu legen. Im Winter 2022 waren seine Reserven aufgebraucht.

"Es war aber auch schon etwas Pech dabei", sagt Lukas. Er musste aus seinem günstigen Wohnheimzimmer ausziehen, im Job folgten Stundenkürzungen und seine Mutter brauchte finanzielle Hilfe, um sich einen Holzofen kaufen zu können. "Sie hat keinen Kredit von der Bank bekommen und da war klar, dass ich, wenn ich Geld übrig habe, aushelfe."
Lukas wohnte im Winter in einem Camper am Würzburger Hubland
Von Oktober bis Dezember habe er, auch weil er keine günstige Wohnung gefunden habe, am Hubland in Würzburg in einem Camper geschlafen. "Ich wusste, ich habe nichts zu zahlen, außer die Spritkosten. Das hat mich unglaublich entlastet in dieser Zeit", erzählt er. Er habe sich mit mehreren Pullovern und Decken, einem Schlafsack und zwei Wärmflaschen warmgehalten. Geduscht habe er im Sportzentrum und viel Zeit in der Unibibliothek verbracht.
"Ich wusste, ich habe nichts zu zahlen, außer die Spritkosten. Das hat mich unglaublich entlastet in dieser Zeit."
Ein Student über seine Zeit im Camper
Trotzdem ist er rückblickend dankbar, denn "ich hatte ein Bett, eine Tür, die ich schließen konnte, fließend Wasser und ein Kochfeld mit drei Platten, wo ich mir Essen kochen konnte". Seine geschiedenen Eltern um Geld zu bitten oder mit Mitte 20 wieder zu Hause einziehen, das wollte er zunächst nicht. "Geld war immer ein Mangel, deshalb habe ich versucht, das möglichst weit aus der Beziehung zu meinen Eltern rauszuhalten. Ich habe das immer als belastend wahrgenommen und wollte mir möglichst schnell selbst etwas aufbauen", sagt er.
Als es zu kalt im Camper wurde, wohnte er dann doch einige Wochen bei seiner Mutter. Finanziell sei es im Januar und Februar trotzdem knapp gewesen. Rückblickend sei alles "mehr oder weniger bis auf den letzten Cent aufgegangen", sagt Lukas. Mittlerweile hat sich seine finanzielle Situation gebessert: Er hat ein neues WG-Zimmer gefunden, wird von seinem Vater finanziell unterstützt und hat bereits eine Jobzusage.