Es sind schwere Entscheidungen am Lebensende: Welche medizinische Behandlung will ich noch haben? Was passiert mit Haus oder Vermögen? Wer vertritt meinen Willen, wenn ich ihn selbst nicht mehr zum Ausdruck bringen kann, weil ich zu krank oder schwach bin? Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung sind hier wichtige Hilfen – für Angehörige, Betreuende und Ärztinnen und Ärzte.
Fast ein Drittel von 832 Bewohnerinnen und Bewohnern ohne jedes Vorsorgedokument
Doch wie gut werden die Vorsorgedokumente genutzt? Ein Forschungsteam aus Würzburg hat dazu in Seniorenheimen recherchiert und Daten aus 13 stationären Pflegeeinrichtungen im Raum Würzburg ausgewertet. Ergebnis: Knapp ein Drittel von 832 Bewohnerinnen und Bewohnern hatte kein Vorsorgedokument hinterlegt. Bei 556 von ihnen, also gut zwei Drittel, gab es Patientenverfügungen, Vorsorge- oder Generalvollmachten, Betreuerverfügungen, Notfallpläne oder eine Kombination dieser Dokumente.
Genauer schauten sich die vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Fachhochschule und Universität die 265 vorliegenden Patientenverfügungen an. Für welche Situationen wurden sie verfasst? Am häufigsten (88 Prozent) für einen fortschreitenden Hirnabbau, etwa bei Alzheimer oder einer anderen Demenzerkrankung. Ein unabwendbarer Sterbeprozess und eine irreversible Gehirnschädigung folgen mit 74 und 73 Prozent.

Während sich eine große Mehrheit von über 90 Prozent Maßnahmen zur Linderung der Symptome wünscht, werden von ebenso vielen lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr für bestimmte Situationen abgelehnt.
Ein wichtiges Thema ist in drei Viertel der Patientenverfügungen die Frage einer Wiederbelebung. Über 90 Prozent der Verfasserinnen und Verfasser wollen sie nicht – wenn der Hirnabbauprozess fortschreitet oder bei einer tödlichen Erkrankung. Wer der Reanimation zustimmt, tut dies in Zusammenhang mit einem Unfall oder einer Komplikation im Rahmen einer OP.
Patientenverfügungen möglichst konkret formulieren
Weiteres Ergebnis der Studie: In 94 Prozent der analysierten Schriftstücke wurden vorgefasste Ankreuzformulare verwendet. Sie sind teilweise recht pauschal formuliert, Ärztinnen und Ärzte können daraus dann im Ernstfall nur schwer den Willen des einzelnen Patienten ableiten. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis lautet deshalb: Eine Patientenverfügung sollte man möglichst konkret und mit Bezug auf die eigene Situation formulieren, dann können Ärztinnen und Ärzte den Behandlungswünschen der Patienten am besten entsprechen.

"Man sollte die Patientenverfügung individuell um eigene Wertvorstellungen ergänzen", rät Prof. Tanja Henking von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. "Am besten erzählt man etwas über sich und seine Person, beschreibt rote Linien", sagt die Rechtswissenschaftlerin. Henking gehört neben der Psychologin Prof. Silke Neuderth, mit der sie gemeinsam das Forschungsprojekt leitet, dem Soziologen Malte Klemmt und Palliativmedizinerin Prof. Birgitt van Oorschot von der Würzburger Uniklinik zum Forschungsteam.
Häufig Zeitpunkt für eine Patientenverfügung verpasst
Die Palliativmedizinerin empfiehlt, in der Patientenverfügung auch die eigene Motivation zu beschreiben: "Warum halte ich das jetzt fest? Weil ich gerade eine Krankheit überstanden habe? Weil ich einen Sterbefall erlebt habe? Weil ich meinen Willen unbedingt respektiert wissen will?" Solche Gedanken könnten Ärzten und Angehörigen bei einer späteren Einschätzung der Patientin oder des Patienten sehr helfen, sagt van Oorschot.
Die Ärztin weiß aus dem Klinikalltag: Häufig haben Patienten den Zeitpunkt für eine Patientenverfügung verpasst. Oder sie haben sich einfach auf Tochter oder Sohn verlassen und deshalb keine Vorsorgevollmacht ausgefüllt. Liegt ein solches Dokument im Ernstfall nicht vor, haben es die Angehörigen schwerer und müssen ihre Glaubwürdigkeit anderweitig unter Beweis stellen.

"Es ist wirklich sinnvoll, frühzeitig eine Vertrauensperson zu benennen", sagt die Palliativexpertin. "Das kann eine große Erleichterung für das Personal sein." Allerdings sollten sich die Betreffenden nicht unter Druck gesetzt fühlen. Medizinrechtlerin Henking geht noch einen Schritt weiter: "Zur Selbstbestimmung gehört auch, keine Patientenverfügung zu hinterlegen."
Dass nur ein knappes Drittel der befragten Heimbewohnenden eine echte Patientenverfügung hatte, überrascht Henking nicht: "Das fügt sich ins allgemeine Bild." Eine höhere Quote wäre zwar wünschenswert, "aber immer auf freiwilliger Basis, niemand sollte dazu gedrängt werden". Es sei, sagt die Professorin, " eben auch traurig, wenn Behandlungen geschehen, obwohl dieser Patient sich sein Lebensende anders vorgestellt, aber dies nicht rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat".