Wenige Monate nach dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise steht die technische Ausstattung der Gesundheitsämter im Freistaat in der Kritik. "Ich verstehe nicht, warum in Zeiten einer Pandemie-Bekämpfung immer noch mit Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen gearbeitet wird und jedes Gesundheitsamt sein eigenes Programm verwendet", sagt Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der Grünen und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bayerischen Landtags. Auch der unterfränkische Hygieneexperte Oskar Weinig bemängelte im Gespräch mit dieser Redaktion veraltete Software-Programme und eine Datenerfassung wie "aus der Steinzeit". Wie aber kann das sein?
In Bayern gibt es 76 Gesundheitsämter. Seit Beginn der Corona-Krise arbeiten sie teilweise und immer wieder am Limit. Eine Ursache dafür offenbart die Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der Landtags-Grünen: Zur Verwaltung der Covid-19-Fälle und der Daten ihrer Kontaktpersonen kamen und kommen in den Ämtern unterschiedliche Programme zum Einsatz. Zwar hat das Gesundheitsministerium im Mai mit der Ausrollung einer neuen Fall-Software namens BaySIM begonnen. Genutzt wird die kostenlose Online-Plattform aber längst noch nicht überall. Bayernweit würden inzwischen 22 Gesundheitsämter mit BaySIM arbeiten. In Unterfranken sind es gerade mal zwei. 33 seien für den Einsatz der Software geschult; in Unterfranken sind es drei, teilt ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage mit.
"Ich verstehe nicht, warum in Zeiten einer Pandemie-Bekämpfung immer noch mit Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen gearbeitet wird."
Kerstin Celina, Abgeordnete der Grünen im Bayerischen Landtag
Genau da liegt für Kerstin Celina das Problem: "Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Teilnahme an dieser Software freiwillig ist, wenn die Gesundheitsämter phasenweise immer wieder überlastet sind." In Unterfranken kämen an den insgesamt neun Gesundheitsämtern noch immer sechs verschiedene Systeme zum Einsatz, so Celina. Viele verwendeten nach wie vor Excel-Tabellen, kritisiert die Landtagsabgeordnete aus Kürnach (Lkr. Würzburg). Der Nachteil: "An einer Tabelle können keine zwei Mitarbeiter gleichzeitig arbeiten."
Mit ähnlich deutlichen Worten kritisiert auch Oskar Weinig, lange Jahre Vorsitzender des Bundesverbandes der Hygieneinspektoren, die technische Ausstattung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Aus Sicht des Experten aus Höchberg (Lkr. Würzburg) wäre auch die Datenpanne in den Corona-Testzentren an Bayerns Autobahnen mit modernen Software-Lösungen vermeidbar gewesen.

Das bayerische Gesundheitsministerium erklärt zu Weinigs Vorwurf: In allen Gesundheitsämtern würden einheitliche staatliche Programme "vor allem für das Meldewesen" eingesetzt. Als Beispiele nennt eine Sprecherin auch BaySIM. Zudem verfügten alle Ämter "über eine EDV-Ausstattung (Microsoft Office-Paket) für moderne Kommunikation" und seien an das Behördennetz angeschlossen. Für die EDV-Programme seien Updates üblich – "sodass angenommen werden darf, dass diese Programme aktuellem Stand entsprechen", so die Auskunft der Sprecherin.

Hygieneinspektor Weinig sieht das anders. Seiner Meinung nach gibt es vor allem bei der Datenerfassung gravierende Probleme. Immer wieder habe er in den vergangenen Jahren Modernisierungen angemahnt, ebenso eine bessere Vernetzung der einzelnen Gesundheitsämter untereinander sowie zur Regionalregierung und zum Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Der "Wildwuchs an Software-Lösungen", kritisiert Weinig, habe vor allem finanzielle Gründe.
Ähnlich formuliert es Grünen-Politikerin Kerstin Celina: "Die Gesundheitsämter waren jahrelang der Sparstrumpf. Es ist wenig investiert worden, weder in Software noch in Personal." Jetzt gebe es endlich eine sinnvolle Software - doch die Verwendung sei freiwillig und die Auslieferung viel zu langsam: "Das ist ein Trauerspiel."
Wie gut wären die Gesundheitsämter auf eine zweite Corona-Welle vorbereitet?
Das Ministerium erklärt, derzeit würden die Kreis- beziehungsweise Stadtverwaltungsbehörden die Kosten für die EDV-Ausstattung tragen. Auf Bundesebene werde allerdings an einer Vereinbarung für den öffentlichen Gesundheitsdienst gearbeitet, "in dem neben mehr Personal auch die IT-Ausstattung" finanziell unterstützt werden soll. Zudem werde zur bundesweit einheitlichen Übermittlung beispielsweise von Corona-Fällen ein elektronisches Meldeverfahren eingeführt.
Bleibt die Frage: Genügt das bei einer möglichen zweiten Welle von Corona-Neuinfektionen? Im Ministerium sieht man sich gut gerüstet. Mit mehr als 4000 Unterstützungskräften sei in den Gesundheitsämtern die erste Welle bewältigt worden, auch für eine zweite stünde Hilfe bereit. Kerstin Celina hingegen ist skeptisch. Sicher seien die Ämter während der Pandemie nicht durchgehend und auch nicht überall überlastet gewesen, so die Grünen-Politikerin. Aber: "Ich würde bei keinem Gesundheitsamt die Hand ins Feuer legen, dass es bei weiter steigenden Fallzahlen alles spielend hinbekommt."