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Würzburg: "Vielleicht dachten sie, ich überlebe ohnehin nicht": Wie Feras Alhamad aus Würzburg drei syrische Gefängnisse durchstand

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"Vielleicht dachten sie, ich überlebe ohnehin nicht": Wie Feras Alhamad aus Würzburg drei syrische Gefängnisse durchstand

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    Feras Alhamad aus Würzburg erzählt, was er durch Polizeigewalt in Damaskus und in syrischen Gefängnissen erleiden musste.
    Feras Alhamad aus Würzburg erzählt, was er durch Polizeigewalt in Damaskus und in syrischen Gefängnissen erleiden musste. Foto: René Ruprecht

    Feras Alhamad sitzt mit seiner Freundin in einer kleinen Bäckerei in Würzburg. Sein dreijähriger Sohn schaukelt ungeduldig mit den Beinen, während der 31-Jährige selbst ruhig und gefasst wirkt. Nichts an seinem Auftreten lässt erahnen, welche Erfahrungen er vor mehr als zehn Jahren in syrischen Gefängnissen gemacht hat. Und doch ist seine Geschichte ein Zeugnis der Gewalt und Unterdrückung, die das Assad-Regime über unzählige Menschen brachte.

    Der junge Vater kommt aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens, und lebt inzwischen seit fast zehn Jahren in Würzburg. Noch keine 20 Jahre alt war er, als die friedliche Revolution begann, die vom Assad-Regime gewaltsam zerschlagen wurde und das Land in einen verheerenden Bürgerkrieg stürzte. Damals studierte Alhamad Englisch in seiner Heimatstadt und träumte von einer Karriere im Tourismus. Doch als er und seine Freunde 2011 auf die Straße gingen, um für Freiheit zu demonstrieren, habe sein Leben eine drastische Wende genommen. "Wir glaubten, etwas bewegen zu können. Der Arabische Frühling hatte Syrien erreicht", sagt er, während sein Blick zu seinem Sohn wandert, "aber die Konsequenzen waren brutal."

    Vor seinem Kind will er nicht über seine Erlebnisse reden, die dann folgten. Bei einem Spaziergang durch die Würzburger Innenstadt erzählt er, wie er die Brutalität des Regimes am eigenen Leib erfahren hat. Nach einer friedlichen Demonstration in Damaskus im April 2011 seien er und drei seiner Freunde von der Polizei aufgegriffen worden. "Beim ersten Mal war es noch nicht so schlimm", erzählt er. Er habe einen Monat lang im Gefängnis gesessen, sei dort wiederholt zusammengeschlagen worden. Sein Vater habe ihn freikaufen können. Auch seine Freunde kamen wieder frei.

    Alhamad wurde auf offener Straße von Polizeibeamten mit Messern angegriffen

    Doch beim zweiten Mal, wenige Wochen später, sei die Gewalt eskaliert. Auf dem Heimweg nach einer Demonstration sei er von Polizisten brutal angegriffen worden: "Sie haben meinen Pass kontrolliert und wussten dann, dass ich schon einmal im Gefängnis saß. Dann haben sie mich geschubst und plötzlich mit Messern auf mich eingestochen." Sechs Stichwunden habe er davongetragen – am Rücken, am Arm und seitlich am Brustkorb. 

    Er sei zunächst blutend in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht und versorgt worden. Später sei er in einem Gefängnis aufgewacht. Dreimal habe man ihn in unterschiedliche Gefängnisse verlegt. In den neun Monaten Haft habe er überall das Gleiche erlebt: "Es gab kaum Essen, kein Tageslicht, und wir waren in der Zelle so viele, dass wir abwechselnd schlafen mussten. Während ein Teil der etwa 50 Leute schlief, musste der andere stehen." Alhamad schildert, dass die Folterungen der anderen Insassen Tag und Nacht zu hören waren: "Wenn die Wärter kamen, habe ich gehofft, dass ich nicht dran bin. Jeder, der aus der Zelle herausgenommen wurde, kam entweder halbtot zurück oder gar nicht mehr."

    "Sie haben mit der Hoffnung der Familie Profit gemacht"

    Feras Alhamad, der 31-Jährige lebt in Würzburg und arbeitet als Koch

    Einmal sei Alhamad aus der Zelle geholt worden. Er habe mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch anders als anderen Häftlingen blieb ihm die Folter erspart: "Ich war so schwach, dass sie mich nur verhört, aber ansonsten in Ruhe gelassen haben. Vielleicht dachten sie, ich überlebe ohnehin nicht." Ein weiterer Grund für sein Überleben, sagt er, könnte das Geld gewesen sein, das seine Familie den Gefängnisleitern zahlte. "Meine Eltern hatten damals noch die Mittel dazu." Laut Alhamad sei das ein gängiges System gewesen. Gefangene konnten entweder freigekauft werden, oder es ließ sich mit Zahlungen zumindest manchmal verhindern, dass sie gefoltert wurden.

    Viele Familien haben laut Alhamad versucht, Angehörige freizukaufen 

    Doch Garantien hätte es keine gegeben. "Manchmal haben sie das Geld genommen und die Gefangenen trotzdem gefoltert oder getötet. Sie haben mit der Hoffnung der Familie Profit gemacht." Auch sein Onkel sei seit Jahren verschwunden. "Für ihn hat die Familie auch gezahlt. Sie hatten gehofft, ihn retten zu können. Aber wir wissen bis heute nicht, ob er noch lebt." Es sei eine quälende Ungewissheit, die viele syrische Familien bis heute aushalten müssen.

    Eine Luftaufnahme zeigt das berüchtigte Saydnaya-Militärgefängnis nördlich von Damaskus. Viele Insassen sind nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad durch die Rebellen freigelassen worden. 
    Eine Luftaufnahme zeigt das berüchtigte Saydnaya-Militärgefängnis nördlich von Damaskus. Viele Insassen sind nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad durch die Rebellen freigelassen worden.  Foto: Ghaith Alsayed,dpa

    Alhamads Narben, die er vor der Kamera nicht zeigen möchte, zeugen von der rohen Gewalt des Assad-Regimes. Was er erzählt, deckt sich mit den Berichten über das Schicksal von politischen Gefangenen in Syrien. Laut Amnesty International und Human Rights Watch waren systematische Folter und unmenschliche Haftbedingungen an der Tagesordnung. Gefängnisse wie das berüchtigte Saydnaya gelten als Orte des Grauens.

    Häftlinge berichten von Schlägen, Elektroschocks und Isolation. Selbst vor Frauen und Kindern machte das Regime nicht halt. Mehr als 100.000 Menschen sollen sich in den Lagern des Regimes von Assad befunden haben. Fotos aus den Kerkern zeigen laut Amnesty-Berichten abgemagerte Leichen, verstümmelt, verbrannt, verätzt. Einigen fehlen Gliedmaßen oder Augen.

    Trotz der Erfahrungen hat der 31-Jährige keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen

    Alhamad hatte Glück. Nach neun Monaten habe sein Vater ihn freigekauft. Er sei zuerst in den Libanon, dann nach Ägypten, in die Türkei und 2015 schließlich nach Deutschland geflohen. "Ich habe bei null angefangen. Erst einen Sprachkurs gemacht, dann eine Arbeit gefunden." Heute arbeitet er in einem Restaurant in Würzburg als Koch. Er liebe seinen Job. "Ich habe hier meinen Platz gefunden". 

    Psychologische Hilfe habe er bislang nicht gesucht. "Die Zeit heilt alles", sagt er leise. Doch die Erfahrungen in den Gefängnissen haben Spuren hinterlassen: "Noch zwei Jahre danach hatte ich regelmäßig Albträume. Nachts allein auf die Straße zu gehen, das habe ich mich nicht getraut." Vor allem uniformierte Menschen hätten ihm lange Zeit Angst gemacht. "Wenn ich Polizisten gesehen habe, selbst hier in Deutschland, habe ich immer einen großen Bogen um sie gemacht. Das hat mich sehr lange begleitet."

    Trotz dieser Erfahrungen hat Alhamad in Würzburg ein neues Leben aufgebaut. Seine Freunde, die mit ihm im Gefängnis saßen, hätten unterschiedliche Schicksale erlebt. Zwei von ihnen sei die Flucht gelungen, sie seien nicht erneut in Haft gekommen. Auch sie leben heute in Deutschland. Doch nicht alle überlebten laut Alhamad: "Ein Freund wurde vor Jahren auf offener Straße erschossen".

    Heute richtet Alhamad seinen Blick nach vorn. Sein Sohn sei sein größter Halt. "Ich hoffe, dass er eines Tages Syrien kennenlernen kann – ein Land ohne Krieg. Im Moment ist es zu unsicher, aber irgendwann." Er bringe seinem Sohn ein wenig Arabisch bei, obwohl sie zu Hause meistens Deutsch sprechen. "Ich will ihm so ein Vater sein, wie meiner mir war. Er hat immer gekämpft, für uns, für unser Überleben."

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