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Würzburg: Virologe zu Corona: Keine Panik wegen des aktuellen Anstiegs

Würzburg

Virologe zu Corona: Keine Panik wegen des aktuellen Anstiegs

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    Professor Lars DölkenInstitut für Virologie und Immunbiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
    Professor Lars DölkenInstitut für Virologie und Immunbiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Foto: Uni Würzburg

    Nach Wochen des Lockdowns gewinnen wir jetzt langsam unser normales Leben zurück. Seit kurzem können Geschäfte unter Auflagen wieder öffnen. In Kürze folgen die Restaurants, dann Schulen, KiTas und Krippen. Am Beispiel der 11-Millionenstadt Wuhan in China können wir sehen, dass dies klappen kann. Das macht Hoffnung.

    Mit den Lockerungen steigt leider auch die Angst eines erneuten Anstiegs der Infektionszahlen. Über das letzte Wochenende stieg laut offizieller Berechnungen die Replikationszahl R des Virus kurzfristig auf 1,13 - leicht über den kritischen Wert von 1,0. Die Replikationszahl R gibt an, wie viele Menschen von einer infektiösen Person durchschnittlich angesteckt werden. Liegt R über mehrere Wochen über 1, kommt es unweigerlich zu einer neuen Infektionswelle.

    Wiedereröffnung von Geschäften waren nicht für den Anstieg verantwortlich

    Verantwortlich für den aktuellen Anstieg war allerdings keineswegs die Wiederöffnung von Geschäften, Friseursalons und Nagelstudios, sondern mehrere hundert Infektionen in einigen wenigen Unternehmen – hierbei insbesondere aus der fleischverarbeitenden Industrie. In ganz Deutschland infizieren sich derzeit etwa 700 bis 1000 Menschen pro Tag neu mit dem Virus. Daher hat der Nachweis von über 250 Neuinfektionen bei 1200 Mitarbeitern eines einzigen Betriebes innerhalb weniger Tage natürlich erhebliche Auswirkungen auf die deutschlandweiten Zahlen.

    Der aktuelle Anstieg von R braucht uns also nicht in Panik zu versetzen. Folgerichtig fiel R auch schnell wieder unter 1. Nur so lässt sich die sehr hohe Zahl an Infizierten erklären.

    Viele der Infizierten wohnten gemeinsam in Gruppenunterkünften. Das Virus zeigt mit dem Finger auf Arbeits- und Lebensverhältnisse, die unterhalb des wünschenswerten Lebensstandards in Deutschland liegen. Vielleicht ist dies eine der ganz wenigen positiven Nebenwirkungen der Krise - eine Chance für viele Menschen in ganz Europa, die es zu nutzen gilt.

    "Einzelne größere Ausbrüche werden sich in den nächsten Monaten nicht verhindern lassen."

    Würzburger Virologe Professor Lars Dölken

    Die Ende letzter Woche entdeckten Ausbrüche bringen aber ein neues Problem mit sich. Über drei bis vier Wochen nicht entdeckt, führen sie akut zu hohen Fallzahlen. Dabei steigt die Zahl entdeckter Neuinfektionen in einer Stadt oder einem Landkreis schnell über die kritische Schwelle von 50 Neuinfektionen pro Woche pro 100.000 Einwohner. Die dann anlaufenden Kontrollmaßnahmen können erhebliche Einschränkungen für viele nach sich ziehen. Der "Schuldige" ist schnell gefunden. Der öffentliche Druck auf jedes einzelne Unternehmen, jede Schule und KiTa wächst also.

    Einzelne solcher größeren Ausbrüche werden sich in den nächsten Monaten nicht verhindern lassen. Neben präventiven Maßnahmen, zum Beispiel Auflösung von Gruppenunterkünften beziehungsweise strenge Hygienemaßnahmen, lassen sich Infektionsherde nur über umfangreiche Labortests verhindern beziehungsweise frühzeitig identifizieren. So gibt es inzwischen ein SARS-CoV-2 Screening bei Patientenaufnahme in vielen Klinken, insbesondere bei zu operierenden Patienten, da sie intubiert und beatmet werden müssen. Zunehmend wird jetzt auch das Pflegepersonal von Alten- und Pflegeheimen regelmäßig vorsorglich auf SARS-CoV-2 getestet.

    "In Zukunft darf es einen deutschlandweiten Kompletten Lockdown nicht mehr geben."

    Virologe Professor Lars Dölken

    Leider zeigen insbesondere junge Leute bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 häufig keine oder zumindest so gut wie keine Symptome. Umso wichtiger ist es, dass sich jeder von uns, der in den nächsten Wochen und Monaten grippale Symptome wie Halsschmerzen, Husten oder Schnupfen entwickelt, möglichst schon am ersten bis zweiten Tag nach Symptombeginn auf das Virus testen lässt. Nur so können wir neue Ausbruchsherde frühzeitig identifizieren und abriegeln. Dabei spielt es keine Rolle, wie krank man sich dabei wirklich fühlt. Bis zum negativen Testergebnis sollte man unbedingt Abstand zu anderen halten und Kontakte vermeiden.

    Für Würzburg und Umgebung werden viele dieser Labortests von der virologischen Diagnostik bei uns am Institut für Virologie und Immunbiologie durchgeführt. Seit Wochen laufen zirka 3000 Corona-Tests pro Woche. Während in den Kliniken in vielen Bereiche jetzt so langsam wieder Normalität einkehrt, liegt dies für die Mitarbeiter unserer Virusdiagnostik noch in weiter Ferne. Ich möchte mich an dieser Stelle daher ganz herzlich bei allen unseren Mitarbeitern in der virologischen Diagnostik, Verwaltung und Haustechnik sowie bei unseren Reinigungskräften für ihren unermüdlichen, selbstlosen und bis an die absolute Belastungsgrenze gehenden Einsatz in den letzten Wochen bedanken.

    "Es liegt jetzt an jeden Menschen, alles dafür zu tun, Neuinfektionen zu vermeiden."

    Professor Lars Dölken

    Vor dem Lockdown gab es Stimmen, die meinten, dass ein Lockdown nichts bringen würde, weil die Pandemie nach dem Lockdown doch wieder anlaufen würde und sich im Vergleich zu vorher nichts geändert hätte. Jetzt ist klar, diese Stimmen lagen falsch. Deutschlandweit haben wir die Zeit des Lockdowns erfolgreich genutzt, Testkapazitäten hochzufahren, medizinische Schutzkleidung und Gesichtsmasken zu organisieren, die Intensivstationen mit Beatmungsgeräten auszustatten, die Gesundheitsämter personell aufzurüsten, sowie wirksame Konzepte zum Schutz der Alten- und Pflegeheime zu erarbeiten.

    Alle Länder, die mit dem Lockdown gezögert haben, mussten ihn dann letztendlich doch einführen, hatten aber viel mehr Tote als wir in Deutschland und brauchen jetzt zumeist länger bis sie die Restriktionen wieder lockern können. Umgekehrt sollte allen jetzt aber auch klar sein, dass es in Zukunft einen deutschlandweiten kompletten Lockdown nicht mehr geben darf. Dabei liegt es jetzt an den Menschen jedes einzelnen Dorfes, jeder Stadt sowie jedes Landkreises, alles dafür zu tun, Neuinfektionen zu vermeiden, um die Lockerungen beibehalten beziehungsweise ausweiten zu können. Hier sind wir alle gemeinsam gefordert! Wenn uns dies gelingt, bin ich als Virologe zuversichtlich, dass wir eine zweite Welle im Herbst vermeiden können bis ein Impfstoff verfügbar wird.

    Professor Dr. Lars DölkenSeit 2015 ist Lars Dölken Professor für Virologie und Leiter der virologischen Diagnostik am Institut für Virologie und Immunbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Geboren in Freiburg im Breisgau, studierte er Humanmedizin an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald sowie der University of Otago in Dunedin, Neuseeland. Nach seiner Weiterbildung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Max von Pettenkofer-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München ging er als Clinical Scientist Fellow des Britischen Medical Research Councils (MRC) für vier Jahre an die Universität Cambridge in England. Er ist verheiratet und hat einen knapp drei Monate alten Sohn.Quelle: red

    Hinweis: In einer früheren Version hieß es, ein kritischer Grenzwert sei ab einer Zahl von 50 Neuinfektionen pro Tag pro 100 000 Einwohner erreicht. Richtig ist, dass der kritische Grenzwert ab einer Zahl von 50 Neuinfektionen pro Woche pro 100 000 Einwohner erreicht ist.

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