Es gibt keinen Grund, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen. Sagt der römische Philosoph Seneca, Galionsfigur der Stoiker, jener Denkschule, zu der sich auch ein gewisser Erwin Pelzig bekennt. Und da dieser Erwin Pelzig ein Meister darin ist, hochkomplexe Inhalte auf den Punkt zu bringen - gelegentlich auch auf den "wunden Punkt" -, klingt das bei ihm so: "Schlimm jetzt - aber warum ned?"
Aber wie schlimm steht es wirklich? Mit der Welt, mit uns, mit der Demokratie? Darüber sinniert, schwadroniert, improvisiert, lamentiert und lästert Erwin Pelzig gute zwei Stunden lang. Und trifft dabei so zielgenau unendlich viele wunde Punkte, dass man sich wünschte, selbst das Zeug zum Stoiker zu haben. Aber, wenn wir ehrlich sind - Erwin Pelzig ist alles andere als ein Stoiker, sonst würden nicht so oft die Wut, der gallige Witz, die Leidenschaft und ja: die Menschenliebe mit ihm durchgehen.
Pelzig ist nicht nur versierter Philosoph, sondern auch scharfsinniger Psychologe
Am Freitag hat Frank-Markus Barwasser, Schöpfer und Verkörperer des Erwin Pelzig, zum letzten Mal sein Programm "Der wunde Punkt" gespielt - zum vierten Mal übrigens in den ausverkauften Mainfrankensälen in Veitshöchheim. Entstanden in der Pandemie, hat er es immer wieder aktualisiert, wobei Corona und die Folgen weiterhin eine große Rolle spielen. Was angesichts der Nachricht, dass die Aufarbeitung der Coronapolitik seitens der Bundesregierung wohl platzen wird, besonderes Gewicht bekommt.

Pelzig ist, wie sich längst herausgestellt hat, nicht nur versierter Philosoph, sondern auch scharfsinniger Psychologe. Die genial erdachte, äußerst beliebte Kunstfigur, die anfangs wirkte, als habe sie ein nahezu autarkes Eigenleben, hat sich in 30 Jahren - nicht zuletzt im Dreiklang mit den Kumpanen Hartmut und Dr. Göbel - vom listigen Lästerer zum durch und durch humanistischen Welterklärer entwickelt. Barwasser gelingen dabei mehrere Kunststücke gleichzeitig: Pelzig bleibt Pelzig, aber dass er heute aktuelle Statistiken und Studien benennt oder Siegmund ("Siiiiechmund") Freud und Hannah Arendt zitiert, wundert niemand. Pelzig ist an Barwasser gewachsen und vielleicht auch umgekehrt.

Inzwischen ist die Figur durchlässiger geworden, gelegentlich flackert sie wie ein Hologramm. Dann scheint ganz unironisch und nicht ohne "Baddos" (Pathos) der Mensch Barwasser durch. Aber auch das funktioniert, sein Publikum feiert ihn wie eh und je.
Erfrischend brachiale Pointen gibt es weiterhin im Minutentakt
Erfrischend brachiale Pointen gibt es weiterhin im Minutentakt. Etwa, wenn Pelzig auf seine Spickzettel mit wichtigen Fachbegriffen schauen muss. Da steht dann "maligne Narzissten" für all die Putins oder Xi Jinpings. Oder für Leute wie Trump: "Arschgeigen". So überzeugend Pelzigs Aufruf zu mehr Freundlichkeit ist, so hat er doch weiterhin brillante Beleidigungen wie "du Scheuer unter den Deppen" im Repertoire.
"Das Publikum sucht keine belehrenden Klugscheißer, sondern lieber einen, der hilft, diesen Irrsinn zu bewältigen", sagt Barwasser im Interview. Pelzig benennt den staatlichen Irrsinn von Lauterbach bis Aiwanger ("das irrlichternde U-Boot der AfD") und prangert doch die Schwurbler an. Er denunziert Diktatoren, Oligarchen und Milliardäre als "Kurzpimmel", die nur ihre gekränkte Männlichkeit kompensieren, und benennt doch die offensichtlichen Schwächen der westlichen Demokratien.
Ein ebenso lustiger wie lehrreicher Abend also. An dem auch noch ein lange gehütetes Geheimnis gelüftet wird: Dr. Göbels Vorname. Er lautet Roderich. Hartmut: "Roderich hesst der?! Ich brunz mir in die Kudde!"