Fünf Jahre genau ist es her: Eine "mysteriöse Lungenkrankheit", so die Deutsche Presse-Agentur, breitete sich seit Dezember 2019 in Zentralchina aus. Ende Januar wurden die ersten Fälle in Deutschland bestätigt, Anfang März 2020 dann auch in Unterfranken. Die Corona-Pandemie begann. Einer, der das Geschehen von Beginn an genau verfolgte, war der Würzburger Infektiologe und Tropenmediziner Prof. August Stich.
Er war damals noch am "Missio" unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte (KWM) tätig, heute forscht und arbeitet er an der Würzburger Uniklinik. Am 23. Januar 2020 veröffentlichte diese Redaktion ein Interview mit Stich zu den möglichen Corona-Gefahren: der erste längere Beitrag zu dem neuen Virus. Der Mediziner warnte immer vor einer "Corona-Panikmache", doch schon wenige Woche später nahm die Pandemie ihren Lauf.
Wie blickt der 64-Jährige fünf Jahre später auf die Pandemie und ihre Folgen?
Herr Stich, denken Sie noch oft an die Pandemie und ihren Anfang?
Prof. August Stich: Klar, weil wir hier in der Klinik immer noch Corona-Patienten haben. Auch wenn sich Covid-19 eingereiht hat in die große Gruppe von Atemwegsinfektionen, handelt es sich doch um ein neues, besonderes Virus, das auch andere Organe oder das Gehirn befallen kann. Es ist immer noch eine potenziell gefährliche Krankheit. Auch haben wir es zusätzlich mit Patienten zu tun, die stark unter Long oder Post-Covid leiden – und hier fehlt es uns noch an guten Versorgungsstrukturen. Es gibt keinen Test, der Post-Covid eindeutig bestätigen könnte. Und noch schlimmer: Wir haben keine wirklich gute Therapie anzubieten und kennen auch die Ursachen von Post-Covid noch nicht genau.

Was neue Ansteckungen angeht, sind wir mit der Pandemie durch, oder?
Stich: Nein, wir sehen immer noch Wellen mit hohen Zahlen, zuletzt im Herbst. Die letzte ist gerade wieder abgeflacht und hat anderen Atemwegserkrankungen Platz gemacht – einschließlich der Influenza. Die gibt es wieder. Durch Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Zeit hatte sich generell die Übertragung von Atemwegserkrankungen stark verringert. Mit dem Effekt, dass dadurch die Herdenimmunität teilweise verloren ging und mit den Lockerungen dann die Zahl dieser Infektionen wieder stark zugenommen hat.
Also können wir heute eine Corona-Infektion locker hinnehmen oder sollten wir noch aufpassen?
Stich: Die Infektion hat ein anderes Spektrum als bisher bekannte Atemwegserkrankungen, weil innere Organe betroffen sein können und es auch zu schweren Verläufen kommt – wenngleich deutlich seltener als in den ersten Wellen. Da war es wirklich schlimm. Ich erinnere mich gut: Ständig fuhren die Rettungswagen, die Intensivstation war voll, wir haben beatmete Patienten nicht mehr richtig untergebracht. Da war Krisenstimmung. Mittlerweile hat sich das Virus abgeschwächt und die Bevölkerung hat durch Impfung und Infektionen einen gewissen Schutz aufgebaut.

Haben wir die Pandemie unterm Strich eher gut oder schlecht bewältigt?
Stich: Ich glaube, in der Anfangszeit eher gut – wobei man viele der ergriffenen Maßnahmen mit dem Wissen von heute anders bewerten würde. Zum Beispiel die Schließung von Spielplätzen. Die hätte es nicht gebraucht. Aber in der damaligen Situation war es eine nachvollziehbare Entscheidung. Ich glaube, in den ersten Monaten haben Politik, Entscheidungsträger und Bevölkerung gut reagiert. Es war viel Solidarität und Hilfsbereitschaft zu spüren. Im Laufe der Zeit hat man dann kommunikativ Fehler gemacht, die Debatte um eine Impfpflicht hat zu Polarisierung und Spaltung beigetragen. Hinzu kam politischer Opportunismus, um aus der Situation Kapital zu schlagen. Da ist ein großer gesellschaftlicher Schaden entstanden.
Bestimmte Kreise stellen heute die Impfung infrage.
Stich: Man muss die wissenschaftlichen Daten zur Kenntnis nehmen, und die sind eindeutig: Die Impfungen haben viele Leben gerettet. Ja, es gibt Leute, die durch die Impfung Schaden genommen haben – bis hin zu Long-Covid-Erscheinungen als sogenanntes Post-Vac-Syndrom. Aber der Nutzen insgesamt war viel größer. Wir sehen das an der Sterblichkeitsrate: Sie war in den östlichen Bundesländern mit einer niedrigeren Impfrate höher als im Westen. Auch die wichtige Herdenimmunität wurde durch die Impfung aufgebaut. Insofern ist klar: Die Impfungen hatten und haben ihren großen Wert, aber sie waren nie ohne Risiko.

In afrikanischen Ländern ist die Impfung nie in der Breite angekommen. Es müssten dort massenhaft Menschen an Corona gestorben sein.
Stich: Wenn Sie eine Situation haben wie im Ost-Kongo mit einer viel höheren Sterblichkeit aufgrund von schlechter Versorgung und Krieg, verursacht Corona einen viel geringeren Ausschlag als bei uns. Außerdem ist die Bevölkerung in den Ländern des Südens viel jünger und war daher weniger anfällig für tödliche Corona-Verläufe. In vielen Regionen Afrikas waren die Kollateralschäden durch den Kollaps der Wirtschaft und der allgemeinen gesundheitlichen Versorgung größer als die direkten Schäden durch die Pandemie.
Hat uns in Deutschland die Pandemie nachhaltig verändert?
Stich: Mein Eindruck ist, dass sie viele Menschen sehr verunsichert und in Verbindung mit anderen Krisen wie Klimawandel oder Kriege zu einer negativen Grundstimmung mit Zukunftsängsten geführt hat: Man weiß nicht, wie es weitergeht. Nichts ist sicher, ständige neue Schreckensmeldungen... Das alles, die Pandemie inklusive, hat dazu geführt, dass sich Menschen in ihre Blasen zurückziehen und leicht von negativen Stimmungen davongetragen werden können.

Sind Chancen ungenutzt geblieben?
Stich: Die Pandemie hätte uns mehr Suffizienz, also Genügsamkeit lehren können: Was brauche ich wirklich für ein gesundes, zufriedenstellendes Leben? Es geht nicht um das Schneller, um das Mehr, um Wachstum und Effizienz – das erzeugt Stress und baut Druck auf Menschen auf. Durch Einschränkungen in der Corona-Zeit hat sich auch vieles entschleunigt, viele haben mehr zu sich selbst gefunden. Diese positiven Effekte haben die Pandemie leider wenig überdauert.
Bedauern Sie, dass keine ernsthafte Aufarbeitung der Pandemiebewältigung stattfindet?
Stich: Die gesellschaftliche Aufarbeitung braucht uns alle, die Politiker und jeden von uns. In meinen Kreisen, also in der Medizin, findet viel Aufarbeitung statt. Da werden Schutzmaßnahmen besprochen und bewertet, um uns für die Zukunft besser aufzustellen. Wobei klar ist: Der Erreger einer neuen Pandemie wird wieder anders sein – und er wird eines Tages kommen. Wann genau, weiß niemand. Aber wir wären jetzt besser vorbereitet, gerade in den Kliniken.